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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 126)

Menschen heute gefordert. lm Gegen- 
er intelligentere, das ist vielleicht nur der 
Necktere Teil der Studenten, hat schon 
fen, daß er mit der herkömmlichen Mittel- 
sigkeit und den verführenden Irrwegen 
Vernünftiges beginnt. Deswegen darf man 
gleich nach der beschränktesten aller in- 
uellen Einrichtungen, der Polizei, schreien. 
hr den Studenten während des Studiums 
n und Fragen zugemutet wird, desto mehr 
it darf man ihnen später zutrauen. Auch 
es frommen, ruhebedürftigen Ohren sehr 
iend vorkommen mag, so weiß ich doch 
xplorativer Erfahrung, daß gerade die 
nsten und an der Welt interessiertesten 
irzieher ihre künstlerische Tätigkeit manch- 
ffen, meistens aber unbewußt verdrängt 
lorbewußt als etwas Obszönes, ia Frem- 
rleben. Diese Wahrheit des Unbewußten 
nter gar keinen Umständen vorn Tisch ge- 
werden, da hier Großes, historisch Ent- 
endes sichtbar wird. Das Schlimmste wäre, 
eint es mir, der nur zu verständliche Rat, 
müsse der so Denkende eben die Aka- 
verlassen. Die Universitäten und Akade- 
sollten aus Sorge um das Schicksal der 
diese echte Betroffenheit ans Licht der 
lOh heben. Glaubt denn ernstlich jemand, 
n Kunsterzieher, der diese Anschuldigung, 
s Unbewußte erhebt, nicht reflektiert - es 
intworten! -, seinen Beruf mit Verstand 
lenschlidtkeit ausüben wird können, auch 
er es noch so bewußt will? Wo sonst sollte 
der an der Kunst aus welchen Gründen 
es werden schon legitime darunter sein, 
nehmenden Jugend Gelegenheit geboten 
ber Notwendiges und Überflüssiges nach- 
(en und um Rat zu fragen? (Pro domo: Ich 
in heimlicher Defaitist vor der Kunst; ich 
den Ratlosen sogar Kunst zu, gar kein 
. Wagnis für einen Kunstwissenschafter, 
h bemüht, illusionslos die Welt zu schauen.) 
iraucht der Student, der Erzieher werden 
ine dreifache Bestärkung, wenn's gut geht, 
(lung und Weckung, wenn's das Glück 
einer Liebesfähigkeit, die ihn fähig macht, 
en. Adorno, dem dieser Mangel an Lie- 
igkeit das Herz zerrissen hat, machte diesen 
a auch in der „Kunstwelt" grassierende 
gkeit, Werte zu erkennen, verantwortlich. 
ruf Akademiewände stolz hingekritzelte 
ung „das Wahre - die Ware" stimmt 
Joch nicht ganz so oft, als der Verstand 
er aus Marxens Löwenmöhne dümmlich 
ar rupft.) Der Erzieher braucht dringender 
iinen Bissen Brot die Fähigkeit, sich selbst, 
inst einschließlich, zu lieben... Wer auf 
xchschulen geduldig hören will, weiß, daß 
er vielgestaltige Selbsthaß sich unter den 
änteln der Wissenschaftlichkeit, Kritik und 
nst versteckt hält. So aber ist „Erziehung" 
terdings ein entsetzliches Greuel. Liebes- 
eit erstreckt sich aber nicht nur bis zum 
tschen, dem Schüler, sondern schließlich 
uf die ganze Welt, die nur dann essen- 
ortschritte macht, wenn diese auch geliebt 
l. Dem iungen Mann, dem iungen Weibe, 
von der Hoffnung, Kinder zu erziehen, 
eholfen werden. Das geschieht nicht so 
lurch die ordnungsgemäße Vermittlung, 
h von selbst versteht, von künstlerischen, 
mhaftlichen und pädagogischen Kenntnis- 
d Theorien, so wichtig diese sein mögen 
unten Illustrierten der Theorien, von links 
chts daherschwirrend wie die Sartreschen 
t, welche es alle so „genau" wissen, was 
i" nicht gewußt werden kann, erscheinen 
es den nachdenklichen Pädagogen lang- 
ls wenignutzige abstrakte Phantasmata. 
Der Geist weht, wo er will. Er steht nirgends, 
noch hat er eine Schlagseite), sondern durch ein 
Ambiente freier Rede und Gegenrede, damit die 
zwanghafte Paranoia, welche aus der Zukunft 
immer Vergangenheit machen will, zerbrochen 
werde. Wer hat nicht schon gehört, daß das „Men- 
schenmaterial", das „Schülermaterial" - pfui 
Teufel über diese teuflischen Verdammungs- und 
Verfluchungsformeln - das und das Ziel zu 
erreichen, dieses und ienes zu tun und zu er- 
lernen hat, was ihm die Wissenden vorschrei- 
ben. So vermehrt man die Fehler der Geschichte! 
Das ist keine Erziehung, schon gar nicht auf 
dem Niveau von Akademien und Hochschulen. 
Der Lehrer, von der Volks- bis zur Hochschule 
gilt dies, weiß es nicht besser, bestenfalls weiß 
er früher frühere, also früher veraltete Stadien 
des Prozesses, weil er älter ist, vielleicht früher 
von der Woge der Welt ergriffen wurde, um von 
ihr bald, noch vor den von ihm Erzogenen, wie- 
der fallengelassen zu werden. Es ist fast ein 
Paradox, daß die, die früher da sind, dieienigen 
erziehen, die in einer späteren, fortgeschrittene- 
ren Zeit leben! Fast sollte es umgekehrt sein. 
Wir verstehen erst dann, wenn wir fortgeschrit- 
ten sind... Dieses Faktum und Fatum zwingt 
uns, in der Ausbildung von Lehrern besonders 
vorsichtig vorzugehen und der selbstkritischen 
- wie wenig Zweifel an der eigenen Weisheit 
bemerkt man doch an den so scharfsinnig kriti- 
schen Kritikern der anderen - psychischen Hy- 
giene, die sich dem individualen und sozialen 
Wesen zuwendet, unsere ganze Aufmerksamkeit 
zu schenken. Es ist unerläßlich, daß bei iedem 
Schritt geforscht werde, warum und wozu er 
getan wird, damit die unvermeidbare Manipula- 
tion in richtiger Weise erfolgt. (Erziehung ohne 
Manipulation ist eine Norretei, ein Atmen ohne 
Luft. Es kömmt darauf an, nicht die Abgase der 
Pessimismusindustrien einzuatmen.) Erziehung der 
Erzieher führt zur Tollheit, wenn dem künftigen 
Lehrer nicht Vertrauen in die kritischen Fähig- 
keiten vermittelt wird, damit er die Geister un- 
terscheiden kann. Selbstanalyse und Gruppen- 
analyse, nüchterne Betrachtung der Wirklich- 
keit schaut - wohlgemerkt, schaut an, von Durch- 
schauen ist keine Rede - die Konflikte der Kind- 
heit, die sozialen Konflikte, die Komplexität der 
Welt und das Chaos an, um zu einer offenen 
Orientierung an der Zukunft zu gelangen. (Wie- 
viel ungelöst und unerkannte Konflikte der Kind- 
heit erzeugen wohl in den allermeisten Fällen 
den Wunsch, Lehrer zu werdenlll) Dann kann 
der Erzieher frohen Mutes an der Kunst, der 
Kultur, d. h. an der Hominisation mitarbeiten. 
Die Widerstände und Widersprüche, die dabei 
notwendigerweise entstehen müssen, lassen sich 
ohnedies nicht durch Zauberei und Gerede be- 
seitigen. Gestörte Liebesfähigkeit, sprich Ge- 
schichtsfeindlichkeit, wird an dieser Aufgabe zu- 
schanden. Die entscheidende Aufgabe im Stu- 
dium eines zukünftigen Lehrers wird es wohl 
sein, daß er den gordischen Knoten individuel- 
ler und kollektiver Konflikte erkennt, als Auf- 
gabe anerkennt und geduldig aufzulösen be- 
ginnt. Diese psychischen, sozialen, historischen 
und politischen Konflikte entstammen der noch 
immer andauernden Kindheit, nämlich seiner 
eigenen und der der Menschheit. Ein unaufge- 
klärter Lehrer projiziert unweigerlich dieses Syn- 
drom auf das „Schülermaterial", das er da- 
durch erst erzeugt. Dann war alles vergebens. 
Wenn hingegen der Student einsieht, daß es 
gar keinen guten Sinn haben kann, ungelöste 
Odipalkanflikte mit der Welt und Weltgeschichte 
zu verwechseln (das kommt viel häufiger vor, 
als man denkt) wird ihm die Einsicht nicht schwer- 
fallen, daß Kunst und Erziehung keine Dinge 
an und für sich, sondern nur im ganzen der Welt 
sinnvoll sind. 
Auf der Suche nach geistiger Sicherheit und 
personaler Erfüllung strömen die Studenten auf 
die Kunstokademien; ein vergebliches Unterfan- 
gen! Viel wichtiger scheint mir zu sein, daß dem 
zukünftigen Lehrer die Sucht nach Sidterheit, 
(deren primitivste die ökonomische ist), hinter 
der sich der Todestrieb verbirgt, ausgetrieben 
wird. Also versuchen wir den langlebigen Schutt 
archaiischer Mentalität wegzuräumen und in die 
paläolithischen, bronze- und eisenzeitlichen 
Handwerke, die dem durch nichts zu verblüffen- 
den Blick, ätsch, hast du's nicht gesehen, den 
Sprung in das polyästherne Reich der Freiheit 
varhüpfen, ein wenig noasphärische Reflexion 
zu bringen, welche angestrengt in die Zukunft 
schaut, die gewiß kommt, weil sie schon da ist. 
So leicht läßt sich die Geschichte nidit „ma- 
chen", wie sich das jugendliche Verzweiflung 
vorgaukelt, die immer bedroht erscheint, in den 
resignativen Pessimismus zurückzufallen, aus dem 
sie sich vielleicht erhob. Das menschliche Da- 
sein wird immer schwieriger, reicher an Tod oder 
Leben heischenden tragischen Entscheidungen. 
Wäre das nicht so, wäre das Leben nicht le- 
benswert. Diese Entscheidungen aber sind das 
Material der von uns geforderten Kunst. Die 
Erziehung entgeht dem notwendigen Wechsel 
aller, ich wiederhole aller, unserer Anschauun- 
gen und Handlungen nicht. Nolentem fata tra- 
hunt, volentem ducunt. Wohin sie uns schleppten, 
wissen wir schon recht gut. .. 
U Unser Autor: 
Prof. Dr. O. Graf 
Leiter des Instituts 
für Kunsterziehung an der 
Akademie der bildenden Künste 
1010 Wien 
Schillerplatz 3 
35
	        
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