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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 142 und 143)

"te Vollendetes handwerkliches Können. Tur- 
gnete sich dieses Können erstaunlich schnell 
1d bald verließ auch er die strikten Gren- 
es topographischen Aquarells und erforsch- 
:l ergründete die Möglichkeiten, die es für 
l künstlerischen Drang, einem Drang nach 
ge und „Dichtung", bot. Das topographi- 
Äquarell kann als „Kunst des kleinen Man- 
gesehen werden. In dem prosperierenden 
nd des späten 18. Jahrhunderts begann sich 
ahlhabender Mittelstand zu entwidceln, der, 
adeligen Vorbild folgend, anfing, Kunst zu 
eln, eine Kunst zweiter Klasse - das topo- 
ische Aquarell. Für die iüngere Künstler- 
ation aber, die von der Französischen Re- 
an nicht unberührt blieb, nahm das Aqua- 
JClt eine politische Bedeutung an; es wurde 
Äusdruck der Opposition gegen König und 
idel. Anti-rayale und anti-aristokratische 
ile waren in den Kreisen um Turner, Girtin 
Ianstable nicht ungewöhnlich. 
begann Turner seine Laufbahn als Aqua- 
. Und so ist auch der erste Raum der Aus- 
tg mit der Überschrift „Anfänge 1789-1797" 
sächlich den frühen Aquarellen gewidmet. 
bt man sich in die Mitte dieses Raumes 
üßt den Blick über die Wände schweifen, 
Aquarell einen „typischen Turner" erkennen. Es 
handelt sich um ein unvollendetes Aquarell aus 
dem Jahr 1793 mit dem Titel „Oxford, St. Mary's 
Church". Über die sparsame Bleistiftzeichnung 
sind nur die ersten Lasuren gelegt, etwas Grau 
und darüber Blau und Gelb. Die dominierende 
Frontalansicht eines Hauses im Vordergrund er- 
scheint noch völlig im Weiß des Papiers. Die 
Aquarelltechnik, die sich so gut aus diesem Bild 
ersehen lößt, ist nicht eine Technik des Addie- 
rens, wie Ul ader Gouache, sondern eine des 
Reduzierens: zuerst ist nur Licht da, das dann 
durch ein Ubereinanderlegen von Farblasuren 
reduziert wird, bis die tiefsten Schattenpartien 
entstehen. Farbe entsteht durch das Reduzieren 
des Lichtes. Und es ist das Licht, nicht die Zeich- 
nung oder der Umriß, das den Anfang von Tur- 
ners Malerei markiert, und aus dem legendären 
Ausspruch Turners auf dem Totenbett: „the sun 
is God!" dürfen wir schließen, daß ihn das Licht 
als varnehmlichste Treibkraft sein Leben hin- 
durch bis an sein Ende begleitet hat. (Aus diesem 
Ausspruch geht auch hervor, daß Turners Begriff 
des Lichtes ein idealistischer ist, der sich durchaus 
nicht mit dem physikalischen der französischen 
lmpressianisten deckt, als deren Vorläufer er 
manchmal zu Unrecht gesehen wird.) 
Vierung zieht sich eine von der lichtdurchfluteten 
Kuppel dem von rechts einfallenden Sonnenlicht 
und dem dunklen Vordergrund bestimmte Kom- 
position mit einer starken Betonung der Diago- 
nalen, die die strengen Vertikalen der Pfeiler 
und Spitzbögen aufzulösen scheint. In diesem 
Jahr (1796) arbeitet Turner zusammen mit Girtin 
für den Arzt und Kunstsammler Dr. Monra, für 
den sie Aquarelle von Cozens kopieren (vgl. 
Abb. 4). In Dr. Monras Haus dürften die beiden 
iungen Maler auch mit Werken bzw. mit Kopien 
nach Werken von Claude, Wilson, Canaletto 
und Rembrandt in Berührung gekommen sein. 
lm gleichen Jahr malt Turner sein erstes Ölbild 
„Fischer auf dem Meer". Die Meisterschaft, mit 
der er diese für ihn noch neue Technik bereits 
beherrscht, ist erstaunlich. Auf den ersten Blick 
scheint dieses Bild noch sehr im Trend der dama- 
ligen Mondlichtszenen zu stehen. Besieht man 
es sich aber ein zweites Mal, nachdem man be- 
reits einen Gang durch die restliche Ausstellung 
gemacht hat, dann zeichnen sich bereits Var- 
ahnungen dessen ab, was später kommen soll: 
der Kontrast zwischen dem kalten Mondlicht 
und dem warmen Laternenlicht im Boot - eine 
Spannung zwischen Mensch und Natur, die auf- 
gewühlten Wassermassen - ein Thema, das Tur-
	        
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