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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 142 und 143)

t die „vortex" auf. Turner versucht sich 
' an fast spielerisch anmutenden Motiven, 
ren Malweise eine Ähnlichkeit mit Watteau 
kennen ist. Zwischen 1828 und 1837 arbeitet 
iederholt in Petworth, dem Landsitz Lord 
nonts, eines Mäzens noch ganz im Stil des 
xhrhunderts, der eine gewisse Bewunderung 
iurner empfindet und seit 1802 eine be- 
tliche Anzahl seiner Bilder gekauft hat. Et- 
Landschaften um Petworth, vor allem aber 
Zahl von lnterieurs, sind das Ergebnis die- 
poradischen Aufenthalte. Einige dieser In- 
lrs weisen eine erstaunliche Affinität zu 
irandt auf, vor allem in der Behandlung des 
llenden Lichtes, nur daß anstelle Rembrandts 
nonochromer Tonigkeit Turners Farbe tritt. 
in mehreren Ölbildern sind 116 farbige Stu- 
in Petworth entstanden (siehe auch Abb. 15). 
das Ölbild „Jessica" (Abb. 16) verweist auf 
irs Auseinandersetzung mit Rembrandt in 
n Jahren. Die Tatsache, daß Lord Egre- 
es kaufte, trotz der schlechten Kritik, die 
hielt, läßt die Annahme zu, daß er selbst 
eser Rembrandt-Phase nicht unbeteiligt war. 
lritik war in der Tat miserabel. Der Kritiker 
,Morning Chronicle" zum Beispiel schrieb: 
H1 dieses Bild überhaupt irgend etwas ähn- 
ieht, und das ist kaum der Fall, dann ist es 
aus dem Senftopf entsprungene Dame..." 
lobe schon anfänglich auf dieses Bild hin- 
esen in Zusammenhang mit Turners eigen- 
er Gehemmtheit bei der Darstellung von 
ichen Themen.) 
Seite Turners, die „öffentliche", scheint dar- 
Rahmen noch extra berechnet haben. Diese 
Anekdoten dürfen aber nicht überbewertet wer- 
den. Geld und Besitz bedeuten für Turner vor 
allem ein Mittel zur Unabhängigkeit, und auch 
die einzige Möglichkeit, seine Position zu sichern 
in einer Gesellschaft, die ihn nicht versteht. Die 
andere Seite Turners aber, die „persönliche", 
zieht unbeirrbar die Konsequenzen, die sich aus 
„Hannibal" ergeben haben. Es ist die Seite, die 
heute einen so wichtigen Teil seines Werkes 
ausmacht: die „Colour-Beginnings", die Aqua- 
rellstudien. 
Es ist schwer festzulegen, wann sich diese bei- 
den Ebenen wieder vereinen, wann der späte 
Turner beginnt. 1829 stellt er in der R. A. „Odys- 
seus verspottet Polyphem - Homers Odyssee" 
aus, das als erster Durchbruch gesehen werden 
kann. Es ist unter dem Eindruck seiner zweiten 
Italienreise entstanden. Die Komposition erin- 
nert an Claude, die starke Farbigkeit aber, die 
von reinen Frimärfarben bestimmt ist, steht in 
krassem Gegensatz zu Claudes warmer und mil- 
der Tonigkeit. Drei Jahre später stellt er eben- 
falls in der R. A. „Staffa, Fingal's Cave" (Abb. 18) 
aus, ein Bild, in dem die stürmische See mit 
allem, was sie für Turner bedeutet, wieder in 
aller Vehemenz deutlich wird. Der eigentliche 
Wendepunkt aber ist durch einen äußeren An- 
laß markiert: in der Nacht des 16. Oktober 1834 
zerstört ein Feuer die „Hauses of Parliament". 
Turner, sobald er von der Katastrophe erfährt, 
begibt sich dorthin und skizziert die Szene mit 
fast jaurnalistischem Eifer. Etliche Bleistiftskizzen 
sowie neun Aquarellstudien sind das Ergebnis. 
Ausstellung, eine Art Vorschau, an dem die 
Künstler gewöhnlich letzte Verbesserungen so- 
wie das Firnissen ihrer Bilder im Beisein von 
Besuchern vornahmen (vgl. Abb. 21) - am „var- 
nishing day" also, so wird berichtet, habe Tur- 
ner, ohne einen Augenblick innezuhalten, mit 
Pinsel, Palettemesser und mit der bloßen Hand 
dieses Chaos bearbeitet, bis die Nacht des 
16. Oktober wiedererstand. Diesmal hat er selbst, 
Turner, den Brand gelegt. Es ist bezeichnend, wie 
spontan und intuitiv, wie wenig intellektuell und 
theoretisierend Turners Konzept vom Bild als 
Farbstruktur, von der Farbe als konstruktives 
Element, ist, ein Konzept, das ia schon lange zu- 
vor in den „Calour-Beginnings" formuliert wur- 
de. Mit dem „Brand des Ober- und Unterhauses" 
sind die beiden Ebenen in Turners Schaffen wie- 
der vereint. Die Tatsache, daß es der Brand der 
Parlamentsgebäude ist, der diese Vereinigung 
bewirkt hat, hat auch noch eine andere Bedeu- 
tung. Das Regierungszentrum geht in Flammen 
auf: für Turner, der den Zerfall und Untergang 
seiner eigenen Gesellschaft so tief empfindet, 
ein symbolisches Ereignis, ein apokalyptisches 
Bild. Waren „Hannibal" und der „Untergang 
Karthagos" eine Vision und Venedig die Vision 
der Realität, so ist der Brand des Parlaments 
die Realität der Vision. 
Turners Vision des unsichtbaren Alptraumes, des 
drohenden Unterganges, des Zerfalls der Kul- 
tur unter dem Einfluß merkantilen Denkens, 
findet vielleicht ihren deutlichsten Ausdruck in 
einem fünf Jahre später entstandenen Bild. Und 
wieder liegt ein aktueller Anlaß zugrunde. 1838 
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