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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 142 und 143)

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eigene Wiedergeburt und vordringlich die seiner 
Sippe. Herman Wirth legt in seiner Ausstellung 
dar, wie aus dieser Urreligion die Großstein- 
gräberreligion als kosmischer Mythos ienes alten 
Ahnenglaubens der letzten Eiszeit Südwesteuro- 
pas (Aurignac-Mogdalenien) sich entwickelt und 
als Tochterreligion ostwärts gewendet habe. Gu- 
te Weltkarten veranschaulichen diesen Vorgang 
(unterstützt durch ergänzende moderne For- 
schung anderer Disziplinen), „Anthropologie", 
Fisch-Lax. Bd. "I5, Heberer, Schwidetzki u. 0., 
Morgen- und Abendland zur Einheit verbindend. 
Wirth begreift das Ursemitische dabei ebenso 
ein wie das Altindische des Rigveda: Im drei- 
fachen Jahrgang des Agni-Gottsohnes als Kind 
des Himmelvaters und der Erd- und Gottes- 
mutter durchmißt dieser die Stufen Mitra-Agni- 
Varuna als Dreifaltigkeit, um, im Todesschlaf 
verwandelt, wiedergeboren zu werden. Europa 
nun besitzt kein literarisches Denkmal wie den 
Rigveda. Doch wissen wir durch Tacitus vom 
Himmelssohn Tuisko aus historischer Überliefe- 
rung der Germanen. Von der Erdmutter ge- 
boren war auch dieser, dem der Mensch : Man- 
nus als Ahnherr der drei Germanenvölker ent- 
stammt. Der dreifache Jahrgang wird von Prof. 
Wirth auf die kalendarische Kultsymbalik der 
Kalenderrunenreihen, der Kerb- und Stabkalen- 
der bezogen, die sich erhalten haben, wie sie 
auch in Bild und Schrift aus den Geleitmünzen 
der Völkerwanderungszeit, den Brakteaten, zu 
erkennen ist. Ebenso wurden die drei Jahres- 
zeiten im alten Island mit den die Dreifaltigkeit 
dort bildenden; „Har" (der Hohe, Wintersonnen- 
wende), „Jatnhar" (der Ebenhohe : Tog- und 
v-e ttvttttung o... 
 
6 Fragment eines neolithischen Tongefäßes mit 
Herzhaupt, 3. Jahrtausend v. Chr. Nowosibirsk, 
Akademie der Wissenschaften der UdSSRlSibi- 
rlsche Abteilung 
16 
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geborenen Gottessohnes, des Wiedererweckers, 
bis zu seinem Erntesegenaasein und Wiederein- 
gehen in die Mutter Erde. Auch diese Kultsym- 
balik, wie die der göttlichen Allmutter, ist in der 
Ausstellung deutlich zu verfolgen: lhre Spuren, 
besonders in europäischer Volkskunde zu er- 
kennen, führen auch ins christliche Mittelalter 
Europas, z. B. ersichtlich an iraschottischer und 
baskischer Grabkultur, mit vielen Beispielen von 
Prof. Wirth hier vorgestellt. Und bei allen Hoch- 
kulturen der Alten Welt sind sie nachzuweisen. 
Stand doch über dem Tor der ägyptischen Erd- 
und Himmelsmutter Neith zu lesen: „Was da ist, 
was da sein wird, und was gewesen ist, bin ich. 
Meinen Chiton hat keiner aufgedeckt. Die Frucht, 
die ich gebar, war die Sonne." Ähnliches findet 
sich von „Nut, der Alten" auf anderen Denk- 
mälern ägyptischer Grabbauten. - Zu der Groß- 
steingröberkultur gehören auch die Steinkreise, 
von denen gute Modelle in Fromhausen gezeigt 
werden. Daß sie kalendarische Stötten waren, 
wußte man schon länger. Doch nach neueren 
astronomischen Forschungen wurde eine Reihe 
von ihnen als Ortungsstätten für beide Haupt- 
gestirne, sowohl für die Sonne als den Mond, 
ausgewiesen. Dies gilt nicht nur für Stonehengef 
Salisbury in Großbritannien, sondern auch für 
das sogenannte Sacellum der Externsteine"! So 
hat die Astronomie diese mit unbestreitbarer 
Feststellung als ein Megalithheiligtum nachge- 
wiesen. Zwei Höhlen birgt dieses Heiligtum in 
der Tiete seines breitesten Felsens. Und auch die 
Höhle gehört zur Erdmutter! Ja, sie ist der Mutter 
Erde gleichzusetzen, dem Mutterschoß wie dem 
Grab, aus dem der Wiedergeborene autersteht. 
Prof. Wirth hat das Haupt dieser Erdmutter in 
Herzform unter den Felsbildern der Pfalz so- 
gleich wiedererkannt. Denn er hat es auch mit 
den Attributen, dem Ackerbeet und dem aus dem 
Grabhaus auferstehenden „Gotteskind" samt 
schriftzeichen an den Externsteinen nachge- 
wiesen, ermöglicht durch die Mittel der moder- 
nen Fotografie! Trotz mancher Skepsis dieser 
Nachricht gegenüber konnte ich privat mit zwei 
Zeugen diese erstaunliche Feststellung be- 
stätigt finden. Es ließen sich auch hier Bezüge 
zur schwedischen Felsbildkunst aus der gleichen 
Zeit erkennen (Totengeleitschiffe) wie zum Pyre- 
näenkreis der Jungsteinzeit. - Auch Prot. Wirth 
betont, daß viele Jahrtausende lang die Himmels- 
und Erdmutter allein geherrscht und relativ spät 
erst der Mann als ihr Sohn (Muttersohn!) an 
dieser Herrschaft teilgenommen habe, wobei der 
einst universalen Gottesmutter allmählich nur 
noch die Erde als Bereich übrigblieb. Zu dieser 
Aussage passen Forschungsergebnisse des Reli- 
gionswissenschaftlers" Graf Korvin-Krasinski, 
nach welchen die Verehrung eines personell nie 
dargestellten sogenannten „hohen Himmels- 
herrn" allein durch Kultstätten erwiesen wurde, 
die auf den Zeitpunkt der Sommersonnenwende 
geortet waren. An diesen Kultstätten befanden 
sich aber in jedem Falle weibliche Figuren, die 
seit Urzeiten der Erdmutter gewidmet wurden. 
Der entsprechende Forschungsbereich erstreckte 
sich von den Kanarischen Inseln bis nach Catal 
HüyüklAnatolien zu den Tempeln einer Kulturls 
aus dem 6. vorchristlichen Jahrtausend, deren 
Erdmutteridole mit dem Kind im Schoß man in 
Getreidekisten(!) legte. 
Anmerkungen ll-l7 
"Herman Wirth: „Der neue Extet 
Lahn und Volkstum-Verlag Wien, ' 
" Rolf Müller: „Der Himmel über r 
zeit", Springer-Verlag. Berlin- 
1970. 
"Marie E, P. Köni : „Das We 
Menschen", Verlag lwert, Marbui 
"Cyrill v. Karvin-Krasinski OSB l. 
und Erde als Manifestationen d 
in der ältesten Mittelmeerkultu: 
Symboltarschung 1972, Arnoldshaii 
" Mellaart, James: Catal Hüyük, 
Bergisch Gladbuch m7. 
"Badioten: Mutterredit und Uri 
Stuttgart. 
" Ridturd Fester: „Die Eiszeit wa 
Verlag, München 1m. 
C1 Unsere Autorin: 
lrmgard Luchterhandt 
Nüllerstraße 107 
D-56OO Wuppertal 'I
	        
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