lerisch verzierte, offene, einsitzige Schlitten. Man
nannte sie zumeist Rennschlitten. Bei diesen Wett-
spielen galt es, u. a. einen Ring bzw. einen
Kranz mit eingelegter Lanze zu treffen. Der im
Schlittenkasten sitzende Herr bzw. die Dame der
Hofgesellschaft führte die Lanze, während der
auf der Sitzpritsche hinten sitzende Kavalier das
Pferd mit Hilfe langer Zügel lenkte. H. Maede-
bach, der sich sehr intensiv mit höfischen Schlit-
tenfesten beschäftigte, machte darauf aufmerk-
sam, daß derartige Schlittenaufzüge stets unter
einer bestimmten Devise standen. Sowohl der
„Schlitten, das Kostüm, Kummet und SchIittenge-
Iäute" mußten harmonisch in Farbe und Form
aufeinander abgestimmt sein. Erst wenn man
die vorgenannten Prämissen als Ganzes berück-
sichtigt, erkennt man die mehrschichtigen Var-
aussetzungen, die zu der Entstehung dieses Ty-
pus des Rennschlittens geführt haben, von dem
im folgenden zu sprechen sein wird. Es steht
außer Frage, daß zu der Ausführung der ver-
gleichsweise leichten und dabei sehr elegant
wirkenden „Carrousel"- bzw. Rennschlitten stets
Hofkünstler herangezogen wurden. Diese Renn-
schlitten wurden mit demselben künstlerischen
Aufwand wie die Hofmöbel iener Zeit gestaltet.
Bemerkenswert ist, wie aus dem mit bildhaueri-
schem Schmuck versehenen einsitzigen Schlitten-
kosten ein plastisches Gebilde wurde. Zu der
alten Bezeichnung „Bilderschlitten" sollte in Zu-
kunft auch „BildhauerschIitten" hinzugefügt wer-
den, was, von der Gattung her gesehen, ihre
spezifische Sonderstellung berücksichtigt.
Bei dem als Werk Straubs bezeugten ersten Ge-
fährt handelt es sich um einen Herkules-Schlit-
ten (Abb. 5). Er ist wie sein Gegenstück, van
dem noch zu sprechen sein wird, farbig gefaßt.
Ähnlich einer Schiffsgalionsfigur wächst aus dem
geschnitzten, einsitzigen Schlittenkasten ein my-
thologisches Tierungetüm hervor. Es ist dies die
schlangenartige, angeblich hundertköpfige ler-
näische Hydra, die sich in den Sümpfen der
Landschaft Argolis aufhielt, bis sie endlich Her-
kules mit seinem Begleiter Joalos erlegte. Herku-
les ist als ein reich bewegter Akt (105x60 cm)
gegeben. Mit Hilfe einer Keule, die der Heroe
in seiner Rechten trägt, holt er zu einem ver-
nichtenden Schlag gegen das Ungeheuer aus,
das er im nächsten Augenblick besiegt haben
wird. Der Bildhauer verstand es meisterlich, ge-
rade den wirkungsvollsten Augenblick des Kamp-
fes zwischen Mensch und Tier festzuhalten. Bei
dieser Darstellung handelt es sich um die zweite
Tat des „Dodekathlos", die Herkules für Eurys-
theus unternahm. Ein Charakteristikum des
Straub-Stils ist, daß die von ihm geschaffenen
Skulpturen bemerkenswert flächig gestaltet sind.
Anders ist dies bei Frühwerken. Nur bedingt ist
es aus den Abbildungen zu ersehen, daß diese
Schlittenplastik fünfansichtig ist.
Bei näherem Zusehen erweist sich die Gruppe
als eine trefflich gelungene Umbildung eines um
1725 (?) erschienenen Varlagestiches „HerkuIes
und die Hydra". Er gehört zu der weitverbrei-
teten „Schlittenreise", ein Stichwerk, das von
Christoph Weigel (1654-1725) in Augsburg her-
ausgebracht wurde. Hinter der dort wiederge-
gebenen Komposition - nicht identisch mit der
durch Thomassin überlieferten Bronzegruppe
gleichen Themas im Schloßpark von Versailles"
- steht iedach ein wesentlich älterer Typus, der
zunächst auf das frühe 17. Jahrhundert hinweist.
Gemeint ist damit der Herkules-Brunnen in Augs-
burg, der van Adrian de Vries in den Jahren
von 1596 bis 1602 geschaffen wurde". Durch
einen von Jan Muller (1602) ausgeführten Kup-
ferstich, zu dem es Vorzeichnungen (Düsseldorf,
Akademie, bzw. Wien, Albertina) von dem Augs-
burger Wolfgang Kilian gibt, war gerade diese
Komposition weithin bekannt geworden" (Abb.
6). Um 1630 schuf Georg Petel eine freie Nach-
bildung in Form einer Statuette (Augsburg, Städ-
tische Kunstsammlungen)". Die A.-de-Vries-Kom-
position lößt sich ihrerseits wieder auf eine the-
mengleiche Gruppe von Giovanni Bologna zu-
rückverfolgen. Diese ist jedoch nur durch einen
Bozzetto und durch Nachgüsse überliefert.
Was die besondere ikonographische Bedeutung
einer Herkules-Darstellung, wie sie hier auf der
Schlittenplastik erscheint, anbetrifft, so ist sie
zunächst der lnbegriff der „Virtus". Wie man es
einmal zutreffend formulierte, ist Herkules Sinn-
bild der „rein innerweltlichen, von den christ-
Iichen Tugenden unterschiedene Bewährung". Be-
reits in der Renaissance und noch ausgeprägter
im Barock sah man in der zu den antiken He-
roen zählenden Gestalt des Herkules das Muster
des HerrschertumslÄ". Es ist daher nahelie-
gend, in der Schlittenplastik auch eine im my-
thalogisch-allegorischen Sinn erfolgte Anspie-
Iung auf den Fürsten" zu sehen, für dessen Hof-
haltung das Stück angefertigt wurde. Es war
dies der Bayerische Kurfürst Karl VII. Albrecht.
Offenbar nur kurze Zeit später erhielt Straub
den Auftrag, einen zweiten Schlitten für den Hof
auszuführen. In ikonographischer Hinsicht er-
scheint er als Gegenstück zu dem Herkules-
Schlitten. Wiederum wurde als Thema eine Dar-
stellung aus der antiken Mythologie gewählt.
Auf diesem Damenschlitten (253x290x198cm)
ist Diana (112x78 cm) als Göttin der Jagd dar-
gestellt" (Abb. 7 und 8). Analog zu dem Gegen-
stück ist auch diese Schlittenplastik betont mehr-
ansichtig. Die Jagdgöttin, deren Gestalt so tut,
als ob sie selbst den Schlitten lenkte, ist in ein
ganz schlichtes, zeitlos wirkendes Gewand von
hellgrüner Farbe gekleidet (Abb. 9). Zu ihm
trägt sie ein enganliegendes rosa-gold lustrier-
tes Mieder und mit Riemen verschnürte Stiefel-
sandalen (Abb. 10 und 11). Für die Darstellung
der sitzenden Jagdgöttin Diana gibt es im Werk
Straubs überraschenderweise ein im Typus und
Ausdruck erstaunlich verwandtes Gegenstück. Es
ist eine dem bürgerlichen Leben iener Zeit ab-
geschaute junge Frau, die ein sehr ähnliches Ge-
wand trägt. Sie erscheint als Repoussoirfigur auf
dem als Hochrelief gestalteten St.-Annen-Altar
Straubs (1755) in der Karmeliterklosterkirche in
Reisach am lnn" (Abb. 12). Die Rolle einer
Schiffsgalionsfigur übernimmt an dem Diana-
Schlitten ein auffallend draller, pausbäckiger,
geflügelter Putto (Abb. 13). Er trägt einen Jagd-
hut. Der auf der Deichsel balancierende Putto
markiert einen Postillon, bereit, das Jagdhorn
zu blasen, um dadurch die Ankunft der Jagdgöt-
tin, die auf dem Schlitten dargestellt ist, bekannt-
zugeben. In einer zweiten Bedeutungsschicht soll-
te der Jagdputto offenbar auch den Beginn
eines solchen Schlitten-„Carrousels" ankündigen,
unter der Voraussetzung, daß der Diana-Schlit-
ten als erster auf dem dafür vorgesehenen Fest-
platz erschien. Mit dieser Kindergestalt, die wie
ein Vorläufer der berühmten Güntherschen En-
gelkinder anmutet, hat Straub wohl seinen schön-
sten Putto geschaffen. Er ist in Haltung und
Bewegung sehr ähnlich im Vergleich mit einer
anderen, etwas später entstandenen Kinderfigur.
Sie erscheint auf einem von P. Volk erkannten
Entwurf Straubs für ein höfisches Gartenarran-
gement (München, Staatliche Graphische Samm-
lung, lnv.-Nr. 30.502; HaIm-Maffei V, 87) (Abb.
14). Zwei in der Mitte des Schlittenkastens an-
gebrachte geschnitzte Löwenkäpfe sind heral-
dische Abbreviaturen des kurbayerischen Wap-
pentieres. Attributiv zu Diana gehärt das Bei-
werk, das ieweils seitlich am Schlittenkasten an-
gebracht ist. Es handelt sich anachronistisch um
die Darstellung von Jagdgewehren sowie um
das allgemein übliche Diana-Attribut eines Kö-
chers mit Pfeilen. Außer einem mit Blumen be-
kränzten Blattwerkornament sind am Schlittenka-
sten auch Gehänge von erlegten Jagdtieren (Vä-
geln) zu finden. Zur Vervollständigung des bild-
hauerischen Zierats gehört ein mit Laub be-
kränztes männliches Maskaran (Abb._15). Es ist
wie eine Applique am unteren Ende der Deichsel
angebracht. In ihm ist offensichtlich Pan darge-
stellt, in dem man die „Natur der Dinge" (K. Ph.
Moritz) sah. In ikonographischem Sinne ist hier
eine Erweiterung jener antiken Vorstellung ge-
geben, die durch die Jagdgöttin thematisch ver-
körpert ist. Der charakteristische Ausdruck auf
dem Pan-Maskaron erinnert lebhaft an den eini-
ger Faunsköpfe (Abb. 16). Sie sind paarweise an
einem geschnitzten und ganz vergoldeten Kon-
saltisch (um 1725) im Schlafzimmer des Kurfür-
sten in Schlaß Schleißheim angebracht". Die
frappierende Ähnlichkeit dieser Köpfe ist so
groß, daß man annehmen muß, daß der figür-
liche Zierat an dem genannten Schleißheimer
Kansoltisch ebenfalls zu den bisher übersehe-
nen Jugendwerken Straubs (um 1725) gehärt,
von denen bereits eingangs die Rede war. Unter
Berücksichtigung aller in diesem Falle sich an-
bietenden Überlegungen kann man unseres
Erachtens zu keinem anderen Schluß kommen,
als daß der Diana-Schlitten einst der Leibschlit-
ten der Kurfürstin Maria Amalia Jasepha (1701-
1756) war, der Gemahlin des Kurfürsten Karls Vll.
Albrecht. Wie mehrfach überliefert, war sie eine
über den üblichen Brauch weit hinausgehende
passionierte Jägerin". Daß man ihr gerade
durch diese Schlittenplastik mit der ldealvar-
stellung der Jagdgöttin Diana eine persönliche
Huldigung darbringen wollte, liegt auf der Hand.
Die Ornamentsprache und stilistische Gründe
lassen vermuten, daß die beiden Bilderschlitten
zwischen 1737 und 1740 entstanden sind".
Hier ist der Ort, von einem verschollenen häfi-
schen Werk Straubs zu reden, von dem anzu-
nehmen ist, daß es ebenfalls wie andere Garten-
skulpturen das 18. Jahrhundert nicht überdauert
hat. Von diesem Werk ist iedoch weder die ur-
sprüngliche Aufstellung (Nymphenburg?) be-
kannt noch in welchem Jahre es ausgeführt
wurde. Der uns bereits bekannte „Landesregie-
rungsrath und geheime Archivarius" J. K. von
Lippert gibt darüber eine anschauliche Schilde-
rung (Nr. 5): „Zwey Bassins, in denen zwei Tri-
tonen eine große Muschel von Marmor tragen.
In der Muschel selbst sitzet in beeden Stücken
ein mit Rohren und Genien umgebener Schwan,
der Wasser auswirft. Die Figuren sind van Bley,
und vergoldet, die übrige Zubehör aber von
Marmor."
Zu den weitgehend unbekannten Werken Straubs
im häfischen Bereich gehärt ein kleines „Ma-
nument" (87, 5x 35x21 cm)" (Abb. 17). Es befin-
det sich wahrscheinlich schon seit dem 18. Jahr-
hundert in oberbayerischem HofadelsbesitLMög-
Iicherweise wurde das Stück, das man maßstab-
mäßig auch in Porzellan hätte ausformen kön-
nen, gelegentlich als Tafelaufsatz verwendet.
Dem Thema nach handelt es sich um eine per-
sönliche Fürstenhuldigung mit ausgesprochen po-
litischem Aspekt.
Der unmittelbare Anlaß zu der Entstehung des
ikonographisch ungewöhnlichen Werkes liegt
vermutlich in der Verwendung einer originalen
Doppelgemme. Sie hat zentrale Bedeutung. Der
Vorbesitzer war, so ist zu vermuten, mit dem
Auftraggeber identisch. Der Dedikationsinschrift
ist zu entnehmen, doß das kleine „Monument"
von dem Münchener wirklichen Rat und Geheim-
sekretär Thaddäus Faistenberger", einem Sohn
des Bildhauers Andreas II. Faistenberger (1647-
1736), in Auftrag gegeben wurde. Daß J. B.
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