. Österreichisches Museum für angewandte Kunst
Südamerikanische Impressionen
Wandteppiche aus Bolivien
von Erika Steinmeyer
Katalo , Neue Folge Nr. 37
Altes aus, Eitelbergersaal und Galerie
Wien I, Stubenring 5
22. 52.-29. 6. 1975
Rot durchbridit Grau! Mehr als nur ein künstlerisches
Thema, eine spontan inspirative künstlerische
Motivation steckt hinter diesem eigentlichen Titel
einer Folge von neun Wandteppichen, die in
diesem Sommer in Wien erste Station machten.
Dieser Titel ist das Programrnatische der aus
Agram gebürtigen Erika Steinmeyer, die in Wien
aufwuchs und einen starken Hang vorerst zu
Architektur und Mode hatte, der ihr Sdiaffen prägt.
Rot - die Farbe, die für das Lebendige, das
Aktive steht - durchbricht Grau, das sterile,
bestenfalls geriffelte Fassadengrau der rundum
unter smoggrauen Sfadthimmeln sich aufschichtenden
Betonkaskaden und deren gläsernkalten
Innenräumen. Einmal mehr ist es Bedrückung,
das Überhandnehmen eigentlich unästhetischer
Komponenten wie funktionspuritanische Zweck-
architektur, die den Künstler herausfordern.
Dieser lebt in keiner Enklave, er ist Mensch und
Mitbürger und in der Lage, abzuhelfen. Er sieht den
unerbittlidien Diskrepanzen der Umwelt um so
stärker ins Auge, ie stärker er der Natur verbunden
ist. Und er sammelt eine stets wachsende Summe
von Erlebnissen, Eindrücken und Erfahrungen, die er
verwertet, umsetzt, mittels seinen künstlerischen
Mitteln anwendet. Nicht selten über das Exotische,
das Fremdartige, wie im Falle Erika Steinmeyers,
die das südamerikanische, im Konkreten für ihre
Bildteppiche das bolivianische Hochlond entdeckte.
Hier begegnen einander Vergangenheit und
Zukunft in erstaunlicher Parallele. Diese Urein-
wohner eines längst hinabgegangenen großen
Reiches, die in völlig diametralem uneuropäischem
Rhythmus, Uhr und Zeit negierend, leben, von
keinerlei zivilisatorischen Zwängen bedrängt,
hausen seit alters her in einer öden lehmgrauen
Welt. Doch der Indio webt sich buchstäblich die
Farbe in sein sonnenverdorrtes, vegetationsarmes
Dasein. Eine Skala reichen, bestechenden, so
typischen Südamerika-Spektrums in von Rot,
Brillantrosa, Orange und Gelbtönen dominierten
Textilbehängen. Solche Schöpfungen waren auch
Anstoß für Frau Steinmeyer, ihre hier präsentierten
Bildteppidie unter anderen Voraussetzungen und
Konzeptionen, aber mit Hilfe der Indios in einer
künstlerischen Symbiose zu verfertigen.
Thematisdi der Geometrie abhängig, sind es
Impressionen imaginärer lateinamerikanischer
quadrigfügiger Stodt- und Mauerorganismen,
die abstrakte Umsetzungen naturhafter Realitäten
fixieren. Ihre Farblichkeit ist zyklisch durchgehalten,
gebändigt intensiv. Das Besondere der Herstellung
charakterisiert Direktor Wirkl. Hofrat Prof.
Dr. Wilhelm Mrazek unter dem Titel „Zukunfts-
aspekte kunsthandwerklichen Schaffens" u. a. so,
daß diese Wandteppiche „das Resultat eines
Prozesses, eines lebendigen Miteinanders von
einem westlich-europäischen Gestaltungswillen
und der Einfühlung und völligen Hingabe einfacher
bolivianischer Weber, einer Intelligenz des Kopfes
und der Sinne mit einer Intelligenz der Hände sind.
Dieses Miteinander erscheint uns für die Zukunft
eines globalen kunsthandwerklichen Schaffens
von besonderer Bedeutung zu sein. Nodi ist der
gestaltende Künstler in der westlichen Welt ein
Faktor der Kultur, vorn Kunsthandwerker aber kann
dies nicht mehr behauptet werden. Allzu schnell hat
die lntellektualisierung und Kommerzialisierung
der westlichen Industriegesellschaft die ursprüng-
lichen und künstlerisch-schöpferischen Kräfte der
europäischen Völker dezimiert. Von da her gesehen,
kann diese Ausstellung mit ihren Erzeugnissen
einen neuen Weg aufzeigen . . ."
In einem ousfiihrlich-questionären Dialog, der die
große Mitte des Kataloges bildete, konnte Frau
Dr. Elisabeth Rücker, Direktorin der Bibliothek
des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg
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und der Albrecht-Dürer-GeselIschaft mit vorstehend,
Person und Werk Erika Steinmeyers sachlich
verlebendigen. Analog zu ihren Tapisserien hatte
die Künstlerin ein wohlassortiertes Ensemble
südamerikanischer Textilien und Geräte zu einer
gelungenen Demonstration vereinigt, die deutlich
die koloristische Abkunft, iedooh auch die völlige
Andersartigkeit dieser Arbeiten in gutem Kontrast
bezeugte. Ob Erika Steinmeyer in Verfolgung ihrer
Prinzipien, die kalte Wohnquadratur aufzulockern,
deren immer penetranterer Geometrie zu
begegnen, daran denkt, in ihren künftigen Arbeiten
einer freieren Bildsprache zu huldigen? Mit den
Mitteln ihrer künstlerischen Ausdruckskraft und
Intensität?
Zum kommenden Jahresende werden die neun
Variationen, nachdem sie vorher in Nürnberg
zweite Station machten, in Caracas, im Goethe-
Institut, gezeigt werden, und man kann gespannt
sein, wie die Südamerikaner dieser Synthese
europäischer und lateinamerikanischer Kunst-
bemühung gegenüberstehen werden (Abb. 1, 2).
Künstlerische Fotografie
aus der Volksrepublik China
Altes Haus, Säulenhof
Wien 1, Stubenring 5
I0. I0.-Q. 11. 1975 (verlängert)
Der Begriff „künstlerisch" besonders im Zusammen-
hang mit dem Medium Fotografie erfährt aus
verschiedener Sicht naturgemäß auch verschiedene
Deutung. Zum Exempel, das moderne oder
zeitgenössische okzidentale Auge sieht und wertet,
wie im gegenständlichen Falle, anders als das
orientalische, fernöstliche. Notabene das eines
Volkes, das sich in revolutionärem Aufbruch
befindet, wie das bei dem BOO-Millionen-Volk der
Chinesen der Fall ist. Dieser Aufbruch, der diese
Riesenmasse Menschen in Verfolgung sozialer
Ziele in ununterbrochener Bewegung hält,
bedingt eine Fixierung ihres Daseinsbezuges aus
der harten Realität, dem Ringen mit Natur und
Elementen, der stolzen Selbstachtung seiner
gigantischen Leistungen und der Durchdringung
mit sozialistischer Ideologie. Das erklärt den
Standpunkt des anonymen chinesischen Fotografen,
der nichts verzerrt, nichts verfremdet sieht und der
nur Realitäten festhält. Das d-iarakterisiert in
dichter Sequenz die Ausstellung unter obigem Titel.
Die Fotografie marschiert auf allen Linien unauf-
haltsam voran auf ihrem We als autonome Form
künstlerischer Kreativität. Zumindest momentan
in Wien: „3. Weltausstellung der Fotografie"
(Museum des 20. Jahrhunderts), „Lord Snowdens
Assignements" [Zentralsparkasse) und hier im Haus
die „Künstlerische Fotografie aus der Volksrepublik
China" und „Kurt-Mimmler-Fotografik". Seit
seinen Anfängen öffnete das Museum der
Fotografie in allen ihren Spielarten in richtiger
Einschätzung ihrer Kraft und Entwicklungsmöglich-
keiten seine Tore. Darum audi nun nach den
„Archäologischen Funden" aus China die
chinesische Fotoschou.
Wir wollen uns fürs erste kurz mit dem Lächeln
auseinandersetzen, denn „Allmutter China"
lächelt aus vielen Bildern wirklich echt und nicht
nur „vogerW-bedingt in eine ideologische Fotolinse.
Ein Lächeln, das befreiende Merkmale, das
Herzlichkeit und Freude zeigt, das Lächeln, das aus
und nach der Revolution, nach den Wirren und
Schrecken iahrzehntelangen Bruderkrieges geboren
wurde. Ein durchaus plausibles, erklärbares Lächeln
also?! Man sollte sich von Vorurteilen befreien
und den chinesischen, den einfachen unbekannten
chinesischen Menschen so sehen, wie er ist,
wie er lebt, wie er - und das mit reiner Freude -
arbeitet. Das ist's, was diese Bilder sprechen läßt.
Es sind einfache „unkomplizierte", wahre
Fotografien heutigen chinesischen Lebens, aus
denen naturgemäß in erster Linie das Hohelied der
Arbeit, das Tätigsein in der Gemeinschaft, die
Freuden an Spiel und Artistik, des Feierabends
nach hartem Tagwerk, in volksschlichter Bilddialektik
aufklingen. Ein reicher Bilderkreis, dem es
manchmal trotz starken Realitätsbezügen nicht
auch an besonderen Stimmungen, ia verhaltenen
Bildlyrismen mangelt. Das beweist der Blick vom
Berg Omei ebenso wie der Blidt in die Felsen-
schluchten des tief darin hinabgefressenen
Jangtsekiang und der im Wasser watende
Gänsehüter vor seinem ornamental flatternden
Gänseheer, umgeben vom Hauch persönlicher
Freiheit, ia selbst das Ölfeld mit seinen spinnen-
türmigen Silhouetten im roten Morgenlicht.
Und hier findet das westliche Auge auch
Berührungspunkte zu den iahrtausendealten
künstlerischen Traditionen des Reiches der Mitte.
Da sind noch Bilder, in denen Soldaten unter
wolkendräuendem Abendhimmel, in glitzernder
Winterpracht oder in reichgefiederten Palmen-
hainen ihren Dienst versehen. Menschliche
Fixpunkte in stimmungsvollen Landschaften.
Im wesentlichen aber untersteht dieser didite
Bildkanon dem Generalthema Arbeit. Arbeit am
Land, Arbeit am Menschen, Arbeit am Volksganzen.
Und es sind gewaltige Leistungen, die da aus
„toten" Bildern aufregend zu sprechen vermögen;
Kanalbauten und Wasserreservoirs über und
auf schwindelnden Höhenzügen und Bergkuppen,
durd1 und in Wüsten, Anlagen von Terrassen-
feldern, von Straßen in hoch entlegene Regionen,
dem Urbarmachen verdorrten steinigen Landes.
Und dann ist da das gesunde Leben auf dem
Lande, Erntetreiben, Weidesuchen, das Fangen
wilder Pferde, der Fischfang, das „wäßrige"
Bauen des Reises. Bestimmend und kompakt
festgehalten die harte Welt der düster-schweren
Kombinate, der Hochöfen, der Iodernden Stahl-
essen, der Generatoren und Computer, der Abbau
von Erzen. - Hauptakteur und immer wieder
entscheidend „inmitten" stehend und gesehen der
Mensch, der selbst aus rußverschmiertem Antlitz
lächelt. Ein Propagandalächeln nur, wie manche
meinen? - Sicher, eine Paradefront von Traktoren,
ein Riesenfeld mit abertausend Ackerfurchen sind
simple „BiIdkompositionen", sind den Intentionen
des westlichen TV- und Fotoouges völlig konträr,
das da raffiniert cuttef, verfremdet und verzerrt.
Daher gerät dieses simple Aufzeichnen bildhafter
Tatbestände durch den unbekannten chinesischen
Fotografen um so eher in den Anruch ideologischen
Zweckauftrages. Aber bedenken wir, dieses
ungeheure Reich kennt nicht den mahnenden
Verfall rosttoter Autofriedhöfe, dort regiert das
Wachsende, die Freude an iedem Traktor mehr,
und so wird eben eine breite Front knallroter
Traktoren zur Manifestation des Aufwärtsgehens,
des besseren Weiterlebens und der Freude daran.
Über Ideologien und Systeme hinweg ist vor allem
des Menschen Tun und Bemühen zu stellen und
hilft zum besseren Verstehen und Verständnis auf
dieser höchst maroden Welt. Mit dieser Schau
lernten wir mittels ungeschminkter Bilder das China
von heute besser kennen, wobei wir gar nicht
ungern wieder mit „geraden" Augen - für eine
Weile zumindest - schauen lernten und dabei ein
Quentchen Ursprünglichkeit des Sehens zurück-
gewannen.
Kurt Mimmler - Fotografik
Unter Patrgnanz der KODAK Ges. m. b. H.
Altes Haus, Saal 1
Wien 1, Stubenring 5
17. lO. bis 16. 11. 1975
Er mußte mit Michelangelo konkurrieren. Presse-
konferenz zu gleicher Zeit in der Albertina.
Diesem Titanen der Kunstgeschichte mußte auch
der Tiroler Tribut zollen, erschütterte ihn aber nicht,
und die haustreuen Kritiker kamen direkt, andere
folgten nach. Das weltweite Fotounternehmen
KODAK nahm diesen Fotokünstler unter seine
Fittiche, weil es ihn für förderungswürdig hält.
Weltweit setzt auch Kurt Mimmler seine
Fotosafaris an, um zu seinem Bildvokabular zu
kommen. Ein Voyageur globaler Prägung, den
Angkor-tom fasziniert, der auf Kenias Airport
Wassertropfen „sohießt", der rundum den Globus
abfliegt, abfährt und abgeht, um für seine