Gregor Martin Lechner OSB
Das barocke Spitzenbild
Schon im Antiquitätenhandel sind sie heute sel-
ten und kostbar geworden, jene zarten Filigrane
aus bemaltem Pergament, aber seltener Papier,
die Spitzenbilderk Sie versuchen, in Fremdma-
terial eine textile Spitze varzutöuschen, was
ihnen meistens gelingt, und gelegentlich gilt es
schon genau hinzuschauen, um Pergament von
Stoff zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den
Bildern aus wirklicher Textilspitze und verschie-
densten Stoffenz käme dem Pergamentbild
eigentlich die passendere Bezeichnung „Schnitt-
bild" zu, doch hat sich seit Spamers „Andachts-
bild" dieser Terminus „Spitzenbild" überall"
durchgesetzt. Die zeitgenössische, barocke Lite-
ratur gibt solchen Werken den lateinischen Aus-
druck „lmago incisa", so häufig in den hand-
Auskünften und Hinweisen älterer Kloster-
frauenä, die sich an die Herstellung in ihren
Klöstern noch erinnern können oder, was selten
ist, selber noch Spitzenbilder schnitten. Die Frage
nach der Herstellungsdauer eines klösterlichen
Spitzenbildes blieb bisher iedoch unbeantwortet.
Die immer noch als schmales Rinnsol fortdau-
ernde Tradition der Spitzenbildherstellung in
Handarbeit zeigt sich auch darin, daß die ieizige
Anordnung und Gestaltung des Spitzenfiligrans
„moderner" Bilder sich kaum merklich von alten
Spitzen unterscheidet. Einen stilistischen Hinweis
geben eindeutig nur die ausgeführten Miniatur-
telder, sofern diese nicht aus alten Andachts-
bildern übernommen und eingeklebt sind. Heute
sind Schneider und llluminatar bei einer erlö-
schenden Produktion fast immer identisch.
Der Herstellungsvorgang von handgearbeiteten
Spitzenbildern verlief in Hauptzügen wie folgt:
Ein Pergamentblatt aus feinster Ziegenhaut wird
mittels vier Zwecken an den ieweiligen Bild-
ecken auf Leder ausgespannt. Mit Blei- oder
1
Profanes Papierspitzenbild (H 3211x3405 mm] von
1700. Als gewöhnliches, unbemalles Faltschnill-
bild diente als Graluluiionsbillel.
Frühes Pergamentspilzenbild mil hl. Georg von
1714. Betonle Ruhmung und Farbigkeit unler
Verwendung floraler Motive im Asparagusgrund.
Format: H 256 x B 203 mm.
Fergamenlspitzenbild mit S. Antonius von Padua
um 1715. Beispiel eines frühen Bildtypus mit
Häufung floraler Motive und vordringlicher Far-
bigkeit, beinhaltet das sellene Föchermotiv. For-
mat: H 280x B 212 mm.
Pergamentspitzenbild mit St. Georg als Drachen!
stedier, Ausschnitt. Zurückhultend ausgewogene
Spilzenmoiive, vorherrschend das Schriflmotiv
zentral unter dem lnschriftband, Rand im Ne-
gativschnill. Äußerst zurückhallende Farbigkeit,
1721. Format: H 284 x B 196 mm.
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schriftlichen Diarienbänden des Göttweiger
Priors Gregor Schenggl (l684-l750)' zu finden,
wenn er ein solches Bild als Geschenk des Kon-
vents an seinen Abt Gottfried Bessel verzeichnet.
Spitzenbild ist damit die Bezeichnung für ein
Andachtsbild, welches mittels Federmesser,
Arztskalpell, Schere, Punze, Nagel und Nadel
überwiegend aus Pergament auf harter Leder-
unterlage geschnitten und gestochen wird. Dabei
ist der Schnitt dieser Spitzenfalgen und Spitzen-
fimirnn rin: Primiirn rinr nFt ririe nncnmln Rlntt.
Silberstift wurden Medaillonfeld und Spitzen-
verteilung skizzenhaft in ihrer Figuration vin
Hauptzügen festgelegt, ebenso Rahmen- und
Blumenverteilung. Fehlen einer Vorzeichnung
oder nur eingedrückte Linien lassen den Schluß
zu, daß in diesen selteneren Fällen mit Scha-
blonen gearbeitet wurde, mit auf durchschei-
nendem Papier aufgetragenen, kanonischen
Spitzenbildfeldern. Eine häufige Variante, be-
sonders bei anspruchsloseren Gratulationsbillets
nhnn eniitnm Rnmnliinn linrit im hnrinxritnlon
Anmerkungen 1-7 4
'Bezeichnung von Adolf Spamer, im kleine Andachtsbild
{Emilia bis 20. Jahrhundert, München 1930, S, MÄICH,
25oldie Bilder wurden häufig geklebt oder in Applika-
tionstechnik autgenähi. Widitig ist besonders der Uni-
stand, daß zu solchen Klosterarbeiten Materialien Ver-
Wendung fanden, die w" geweihten Paramanten als
Restaurierungsabtall antielen und aus Pietätsgriinden so-
mit verarbeitet wurden und damit wieder in einen ge-
heiligten Dienst als Devotionsbild traten.
'Weitere Literatur: Ausstellungskatalog Graphisches Ka-
binett Stift Göttweig, Barocke Spitzeribilder, Jahresaus-
stellung 1974, 11. Ausstellung von "I0. Mai bis 24. Sep-
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