zurückgenommen wird. Der Versprung, der am
Gebäude wie eine Art Schultern erscheint, ist
mit Blech abgedeckt.
Der räumliche Charakter dieser Terrasse im Ge-
gensatz zur freien Fläche der mittleren Terrasse
läßt sich als halbotfener, geöffnet-umschlossener
Raum bezeichnen.
Das „letzte Haus" (Posledni düm), Projekt 1933
Projektgeschichte, Quellen und Dokumente:
Bei diesem Projekt" handelt es sich mit Sicher-
heit um einen Auftrag von Dr. F. Müller an
A. Loos, der schwerkrank zuletzt in Begleitung
einer Pflegeperson in den letzten Jahren seines
Lebens zwischen 1931 und 1933 mehrmals nach
Prag reiste, hauptsächlich wegen der Planung
und Ausführung der Villa Winternitz (1931l32)
mit K. Lhota, aber auch wegen des Entwurfs
für das Haus Jordan 1931 und des Baus der
Siedlungshäuser in Babi u Nachod (1931). Daß
das Haus für Dr. Müllers Tochter in Auftrag ge-
geben worden ist, erscheint möglich.
Neben dem Manuskript Dr. F. Müllers („Posledni
düm", dotiert vorn 6. 2. 1934) haben wir in der
Bibliothek des Hauses Müller mehrere Blätter"
mit Entwürfen für ein Kleinwohnhaus - je ein
Blatt mit vier Grundrissen und zwei Seiten in
Korrektur- und Reinfossung; ein Blatt mit vier
Ansichten dazu; ein großes Blatt als Variante
mit verlegtem Eingang mit drei Grundrissen,
zwei Schnitten, drei Ansichten - eingesehen. Das
Korrektur- und das Ansichtenblatt sind signiert
„Dr. M." und datiert „1. VI. 33". In das Kor-
rekturblatt sind zahlreiche Änderungen, Möblie-
rungsvorschläge und Streichungen einskizziert
(möglicherweise von Loos). Der Obergeschoß-
grundriß der Variante ist an den vier Außen-
wänden mit den Himmelsrichtungen bezeichnet:
J (Süd), Z (West), S (Nord), V (Ost). Bemerkens-
wert ist, daß die Baubeschreibung des Klein-
hauses in Dr. Müllers Typoskript in allen Details
exakt auf diesen Entwurf zutrifft, nicht jedoch
auf den Entwurf, den Frau J. Klingenberg-Helfert
in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat.
Bau- und Raumanalyse der beiden Prajektvarian-
ten zum „Ietzten Haus":
Der Baukörper dieses Hauses, auf den Plänen
als „kleines Einfamilienhaus" (Domek pro jednu
radinu) bezeichnet, ist als annähernd würfel-
förmiger stehender Quader von ca. 8x9 Meter
Grundfläche und ca. 9 Meter Höhe zu bezeich-
nen; die Variante ist in den äußeren Abmes-
sungen gleich. Diesem stehenden Quader ist im
Erdgeschoß an einer Schmalseite eine flache
Gartenterrasse von ca. 1,0 Meter Höhe vorge-
legt, ohne Angabe einer Treppe, auch in der
Variante. Das Gelände ist, wie man den An-
sichten entnehmen kann, als zum Garten hin stei-
gend angegeben - dieser Sachverhalt wird von
Loos für seine Eingangs- und innere Erschlie-
ßungslösung wirkungsvoll genutzt, wie wir sehen
werden.
Im Obergeschoß springt fast in der gesamten
Fassadenbreite ein Balkon vor, auch in der
Variante. Der Entwurf und die Variante zeigen
Dachaufbauten, die den Austritt auf das begeh-
bare Flachdach ermöglichen. Der Entwurf weist
einen Dachaustritt parallel zur Gartenseite, die
Variante senkrecht dazu auf. Der Entwurf zeigt
einen außenliegenden Kamin, der in der Va-
riante fehlt. Die außenliegende Anordnung ist
mit Rücksicht auf die Konstruktion des Hauses
gewählt worden; Holzfachwerk mit beidseitiger
Verbretterung auf einem Mauerwerkssockel.
Die Außenhaut des Baukörpers - waagrechte
Schalung - ist nur durch stehende, liegende und
quadratische Fensterfarmate sowie Türen durch-
brochen. Der erste Entwurf zeigt quadratische
senkrechte Schiebeflügelfenster - einfach und
gekoppelt - in den Seitenfassaden, zur Straße
hin vierflügelige Drehflügelfenster, vielleicht als
Faltflügel zu öffnen, zum Garten hin im Erd-
geschoß zur Terrasse eine dreiflügelige Fenster-
tür, im Obergeschoß auf dem auskragenden
Balkon einflügelige Fenstertüren.
Die Variante zeigt ähnliche, nur geringfügig ab-
weichende Fenster- und Türformen: Die Schiebe-
fenster sind hier hochrechteckig, die gartensei-
tige Öffnung ist hier ein breites dreiflügeliges
Fenster mit mittlerem Durchgang. Während beim
ersten Entwurf keine eigentliche Treppenhaus-
befensterung vorgesehen ist, so zeigt sie sich
in der Variante über der Eingangstür als senk-
rechte Reihe schmaler einflügeliger Fenster.
Die Gliederung durch Öffnungen im Entwurf und
in der Variante zeigt die für Loos typische Mi-
schung von Gliederungsprinzipien: (Teil-)Axiali-
tät, (Teil-)Symmetrie, freie Anordnung (harmoni-
sche Flächenkomposition ohne Symmetrie und
Achsen, aber unter Aufnahme von Fluchten).
Der annähernd quadratische Grundriß mit seiner
sehr entwickelten Raumdisposition stellt sich als
Zweizonenkonzeption dar, deren tragende Mit-
telwand es Loos erlaubt, Deckenversprünge so
zu handhaben, daß eine ZS-Geschosse-Lösung
realisiert wird, d. h. die gartenseitige Zone
nimmt zwei hohe Geschosse auf, die straßen-
seitige Grundrißzone dagegen drei niedrige Ge-
schosse. Diese Grundriß und Aufriß integrie-
rende Raumdisposition gibt Loos die Möglich-
keit, räumliche Differenzierung und Ökonomie
unter einen Hut zu bringen. Straßenseitig liegen
drei Geschosse mit Eingangsbereich und Küche
im Erdgeschoß, Eßbereich und Bibliothek sind
Zwischengeschoß, Schlafzimmer und Bad im
Obergeschoß übereinander bei zwei Geschossen
zur Gartenseite; Wohnhalle und Schlafgeschoß.
Bei näherem Zusehen ist erkennbar, daß der
gesamte Grundriß noch einmal quer halbiert,
also geviertelt ist: die drei straßenseitigen Ge-
schosse sind jeweils nicht auf durchgehenden
Geschaßdecken angeordnet, sondern - wie der
Querschnitt zeigt - unterschiedlich gegenüber
dem gartenseitigen Geschoßaufbau versetzt. So
liegt die Bibliothek - auch aus Gründen der in-
neren Erschließung - höher als der Eßbereich,
so daß unter der Bibliothek Küche und Entree
zu ebener Erde - unter Ausnutzung des von
der Straße (Eingang) her zum Garten (Wohn-
halle) um ca. 1,5 Meter steigenden Geländes -
Platz finden können. (Der Eßbereich, gegenüber
der Wohnhalle um drei Stufen erhöht, war in
der Vorstudie mit einer sehr tiefen Fensternische
mit Einbaubuffet ausgestattet, um darunter den
WC-Vorraum-Bereich unterzuschieben.) Die hoch-
gelegte Bibliothek zwingt wiederum dazu, dem
Bad im Obergeschoß ein erhöhtes Dach zu ge-
ben, das etwa 0,5 Meter über dem Flachdach
liegt, allerdings verborgen hinter einem brü-
stungshohen Attikaabschluß. Strenggenommen,
wird die 2:3-Geschosse-Lösung nur auf einem Vier-
tel der Grundfläche realisiert.
Diese Lösung wird auch bei der Variante glei-
chermaßen angewandt; Entwurf und Entwurfs-
Variante unterscheiden sich nämlich in der un-
terschiedlichen Lage des Zugangs zum Haus und
des Eingangs- und Küchenbereichs. Vermutlich
ist eine andere Zugangsseite gewählt worden,
weil im Entwurf durch den mittleren straßenseiti-
gen Eingang Küche und Eßbereich - nicht nur
in der Höhe - räumlich getrennt sind, so daß
weite Wege zu Speise und Geschirr anfallen.
Durch den seitlidien Eingang in der Variante
kann die Küche an die Wand des Eßbereiches
herangerückt werden; die Höhendifferenz (1 ,2 rn)
sollte wohl durch einen Speiseoufzug überwun-
den werden.
Wie erschließt, besser gesagt, wie integriert Loos
die einzelnen Raumbereichein seiner Disposition?
Vorn tiefgelegenen Eingangsbereich mit Garde-
robe und WC links vom Eingang ist die 33 Qua-
dratmeter große Wohnhalle über eine einarmige
gewendelte Treppe mit sechs Stufen (in der
Variante vier Stufen) zu erreichen. Der offene
Durchgang in die Wohnhalle ist genau in der
Querachse der Wohnhalle angeordnet, in der
Variante ebenfalls. Die Löngsachse der Wohn-
halle wird einmal durch die Anordnung eines
Kamins an einer Querwand (ähnlich wie in den
Häusern Müller und Winternitz) und durch eine
Sitzbank an der gegenüberliegenden Querwand
betont. Die Sitzbank erhält ihre „symmetrische"
Rahmung durch den Aufgang und einen „ent-
sprechenden" Sockel oder Schrank, einskizziert
in die Korrekturfassung des Entwurfs, die auch
Längs- und Querachsen-Skizzenstriche (von
Laos?) zeigt.
Der Aufgang mit neun Stufen zum Zwischenge-
schoß mit der Bibliothek als einarmige, am
Austritt viertelgewendete Treppe ist im Entwurf
frei in die Wohnhalle angeordnet, das heißt vor
der Mittelwand, in der Variante dagegen hin-
ter die Flucht der Mittelwand verlegt. (Der Auf-
gang zur Bibliothek ermöglicht für die Keller-
treppe eine ausreichende Kapfhöhe.) Das Podest
vor der Bibliothek liegt in der Variante, da die
Treppe 13 Stufen hat, um einige Stufen höher,
bedingt durch den seitlichen Erdgeschoßeingang
der Variante, der das Eingongsniveau höher
legt als beim Entwurf. Vom Bibliotheksniveau
erreicht man die Schlafzimmer im Obergeschoß
über eine am Austritt viertelgewendete Treppe
mit neun Stufen, in der Variante ist es eine
gerade Treppe mit acht Stufen. Eine ausreichende
Kopfhöhe für den Aufgang zur Bibliothek in
der Viertelwendung ergibt sich durch die kurze
Treppe mit sechs Stufen im Obergeschoß (in der
Variante mit acht Stufen) von der Ebene der
Schlafzimmer zur Ebene des Bades hinauf auch
für die Variante.
Von der Bad-Ebene aus ist über eine einschieb-
bare (?), gerade Bodentreppe die Dachterrasse
über zwölf Stufen durch einen Dachaufbou, der
einen Austritt ermöglicht, erreichbar. Der Dach-
aufbau erhebt sich bündig zur Mittelwand. In
der Variante dagegen ist im Schnitt neben dem
verkleinerten Bad eine bündig zur Seitenwand
des Hauses geführte Treppe zu erkennen. Der
Dachaustritt in der Gebäudeecke ist allerdings
geometrisch nicht konfliktfrei, da noch der em-
porgeschobene Bad-Kubus „überschritten" wer-
den müßte - das Problem löste sich bei Um-
kehrung der Laufrichtung der Treppe.
Die gesamte Raumdisposition zeigt eine deut-
liche Nähe zu der eines anderen Anfang 1973
entdeckten Projekts eines Kleineinfamilienhauses,
des sogenannten „Würfelhausesmf: Insbeson-
dere die Lösung des Hauptgeschosses mit Wohn-
halle, Eßbereich, Bibliothek, Aufgang zum Schlaf-
geschoß ist eine fast gleiche, spiegelverkehrte
Wiederholung, nur die Eingangssituation im
Doppelgeschoß des „Würfelhauses" ist räumlich
großzügiger entwickelt, da dem „letzten Haus"
das durchgehende Sockelgeschoß fehlt.
Zusammenfassung: Loos' Integration von
funktionellen Forderungen in einem
Raumkonzept
In diesem Aufsatz sind zwei Bauten und zwei
Projekte von Adolf Loos dokumentiert und in
ihrer baulich-räumlichen Struktur analysiert wor-
den, um einen detaillierten Einblick in die Loos-
sche Entwurfskonzeption von bisher nicht aus-
reichend bekannten Wohnbauten zu geben, die
als Abschluß eines jahrzehntelangen Entwick-
Iungsprozesses von Loos erarbeitet worden ist.
Dieser Entwicklungsprozeß ist vermutlich nicht
methodisch-systematisch angelegt und durchge-
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