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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 146)

konnte der Weg bis hin zu Rueland Frue- 
auf d. i", dem Wegbereiter der Donauschule, 
verfolgt werden. Der „Neue Realismus" bemühte 
sich, seine Umwelt, die er mit eigenen Augen be- 
obachtete, wiederzugeben. Nachdem man die 
Szenen der Heilserzählung in die eigene Umwelt 
verlegt hatte, waren die künstlerischen Voraus- 
setzungen zur Aktualisierung der religiösen Bot- 
schaft geschaffen. Eben diese Gestaltungsformel, 
um die nahezu auf sich allein gestellt und ohne 
ausreichende Auskunftsmöglichkeit bei tauglichen 
Vorbildern der Albrechtsmeister gerungen hatte, 
wurde nun zum selbstverständlichen Allgemein- 
gut, weil sie von den Niederlanden aus ihren 
Siegeszug durch das gesamte nördlich der Alpen 
gelegene Europa angetreten hatte. Wobei der 
Schottenmeister" die Vorstellung von der eige- 
nen Umwelt weit konkreter faßte als seine gro- 
ßen Vorbilder, indem er die „Weltlandschaft" der 
Niederländer zu jedermann bekannten Ansichten 
seiner Vaterstadt verwandelte. Mit sicherem In- 
stinkt zog er die Schaulust und Freude an sinnes- 
frohem Gepränge seiner Mitbürger in Rechnung, 
die sich im Bilde ihrer eigenen Stadt gleichsam 
auf Umwegen in die religiöse Bildaussage mit 
einbezogen fühlen mußten". Mit diesem Bemü- 
hen der Tafelmalerei, die eigene Umwelt wieder- 
zugeben, war auch das zweite Motiv ihrer Prä- 
sentation im Rahmen der Ausstellung gegeben. 
Gerade hier vermochte die Realieninterpretation 
in überzeugendster Weise einzusetzen. Mag die 
eminente Bedeutung, die der Interpretation des 
Inhaltes bildlicher Darstellungen im weitesten 
Sinne sowie der Erklärung der wiedergegebenen 
Sachgüter zukommen", von der Fachwelt nicht 
mehr bestritten werden, so erscheint diese Auf- 
gabe nirgends so augenfällig und selbstverständ- 
lich, wie bei den frühen Stadtansichten: Der 
Albrechtsmeister ließ um 1438-1440 im Hinter- 
grund seiner Tafel „Begegnung zwischen Joachim 
und Anna"" über den Hügelrücken silhouetten- 
haft die früheste Ansicht Wiens emporwachsen, 
der Schottenmeister stellte einerseits eine Wiener 
Gosse (Heimsuchung Moriens)", andererseits 
eine Gesamtansicht (Flucht nach Ägypten)" dar, 
der Meister des St. Florianer Triptychons schuf 
1475-1480 eine eigenwillige Wiedergabe der 
Stadt", im Babenberger-Stammbaum (1489-1492) 
erkennen wir in der Darstellung des Todes Fried- 
richs ll., des Streitbaren, einen Blick auf Wien 
von Norden". Welch detaillierte Kenntnis des 
Alltagslebens wir aus den Einzelheiten der Tafel- 
bilder erlangen können, zeigt der Meister von 
Maria am Gestade", da er mit seiner Verkündi- 
gung (um 1460) eine Wiener Bürgerstube malt, 
oder der Meister der Heiligenmartyrien, wenn er 
um 1495-1500 bei seiner „Erbauung von Kloster- 
neuburg"" mit akribischer Genauigkeit das Trei- 
ben auf einer Baustelle festhält. Daß insbeson- 
dere zu Kleidung und Made wesentliche Aussa- 
gen von der Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts 
abgeleitet werden können", muß nicht gesondert 
betont werden. 
Ähnliche lnterpretationsmöglichkeiten bietet die 
Buchkunst". Beginnend mit frühesten Werken 
aus der Tätigkeit der niederösterreichischen Klä- 
ster. unter denen Klosterneubura eine hervor- 
19 
 
18 Wolf Huber, Ansicht von Wien 1530, Feder in 
Graubraun, 1126x131; Graphische Sammlung 
Albertino, lnv.-Nr. 26.159. 
19 Meßkelch, Wien, 1337, Silber, vergoldet, mit 
Edelsteinen, Perlen und transluziden Emailbil- 
dem geschmückt, Höhe: 20, Stiftsmuseum Klo- 
ätgialrneuburg, lnv.-Nr. KG 69; Katalog, Kot.-Nr. 
20 Spätgotischer Küriß (Reiterharnisch), Augsburg, 
1485-1490, Historisches Museum der Stadt Wien, 
lnv.-Nr. 127.010-l27.023; Katalog, KaL-Nr. 456. 
 
als die Welt noch ein halbes Jahrtausend iünger 
war, alle Geschehnisse im Leben der Menschen 
viel schärfer umrissene äußere Formen hatten 
als heute. Zwischen Leid und Freude, zwischen 
Unheil und Glück schien der Abstand größer als 
für uns; alles, was man erlebte, hatte noch ienen 
Grad von Unmittelbarkeit und Ausschließlichkeit, 
den die Freude und das Leid im Gemüt der Kin- 
der heute noch besitzen. Jede Begebenheit, iede 
Tat war umringt von geprägten und ausdrucks- 
vollen Formen, war eingestellt auf die Erhoben- 
heit eines strengen, festen Lebensstils". 
Eine der denkwürdigsten Spielarten von Form 
und festem Lebensstil zeigen die erhaltenen Fune- 
ralwaffen von den Begräbnisfeierlichkeiten für 
Albrecht Vl. und Friedrich lll.". Keine Zeit hat 
mit solcher Eindringlichkeit jedermann fort und 
fort den Todesgedanken eingeprägt wie das 
15. Jahrhundert. Unaufhörlich hallt durch das 
Leben der Ruf des Memento mori". Der kirch- 
liche Gedanke des späten Mittelalters kennt nur 
die beiden Extreme: die Klage über die Ver- 
gänglichkeit, über das Ende von Macht, Ehre und 
Genuß, über den Verfall der Schönheit; und den 
Jubel über die gerettete Seele in ihrer Seligkeit. 
Alles, was dazwischen liegt, bleibt unausgespro- 
chen". Vielleicht waren diese Herrschaftssym- 
bole auch dafür bestimmt, etwas von dem zu be- 
wahren, was als dazwischenliegend galt. 
Reichtum und Besonderheit Wiens als mittelalter- 
liches Hondelszentrum zeigen die erhaltenen 
kunsthandwerklichen Gegenständeya und Waf- 
fen". Edelmetallgerät, Textilien und Beleuch- 
tungsgerät waren oft lmportwaren, Waffen wur- 
den fast ausschließlich eingeführt. Wohl als über- 
aus bemerkenswert muß ein aus Kupfer verfer- 
tigter, mit Emailplaketten versehener Behälter 
für heilige Öle aus dem 14. Jahrhundert" ange- 
sehen werden. Wird zu mittelalterlichen Email- 
arbeiten zumeist Limöges als Entstehungsort an- 
gegeben, so ist durch die Restaurierung des Ver- 
duner Altars, die 1331 nachweislich in einer Wie- 
ner Werkstätte erfolgte, belegt, daß die Wiener 
Edelschmiede die Grubenschmelztechnik kannten 
und anzuwenden wußten. Der bezeichnete Behäl- 
ter mag also durchaus in Wien entstanden sein. 
Die erhaltenen Waffen aus dem an Kämpfen rei- 
chen ausgehenden Mittelalter (frühere Waffen 
sind in der städtischen Waffensammlung nicht 
belegbar) stellen einen einzigartigen und über- 
zeugenden Beleg wehrhafter städtischer Vergan- 
genheit dar. Hervorzuheben sind vor allem zwei 
Harnische: Die aus Süddeutschland stammenden, 
um 1450 hergestellten Teile eines spätgotischen 
Küriß", des ältesten bekannten deutschen Plat- 
tenharnisches, und der von Kolman Helmschmid 
um 1522 in Augsburg hergestellte geriefelte Küriß 
für Ferdinand 1.". Diese Rüstungen dürfte man 
wegen ihrer Kostbarkeit nicht im Besitz eines 
städtischen Zeughauses erwarten, sie sind höfi- 
sche Waffen. Es darf mit großer Sicherheit ange- 
nommenwerdemdaß sie dem Bürgerlichen Zeug- 
haus sehr bald noch dem Tod ihrer Besitzer- ge- 
sichert ist einstweilen nur Ferdinand I. - zur Er- 
innerung übergeben wurden. Das Zeughaus war 
von allem Anfang an nicht bloß Waffenkammer, 
sondern auch Museum heimischer Geschichte.
	        
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