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Erholungsraum Stadt
Urbaner Planungsprozeß und Kunst
Ausstellung des Bayerischen Staatsministeriums
für Landesentwicklung und Umweltfragen und
Arch. Grub + PartnerlMünchen
Altes Haus, Säulenhof, Saal I
Wien i, Stubenring 5
9. 4.-30. 5. 1976
Dichtauf unter den fiktiven Gefahren, die die
Städte unserer Welt bedrohen, wie das Visionäre
Schreckgespenst vom nuklearen Tod mit Ruinen
und menschenleeren Geisterstädten im Gefolge
oder natürliches Verlöschen infolge völlig anderer
Lebens- und Verhaltensfarmen des Menschen
künftiger Jahrtausende durch „Eroberung" des
Weltraums, wie sie utopische Science-fiction
Filme und -Romane vargaukeln, lauert und wächst
täglich eine viel realere, echte Gefahr, eine Art
Würgegriff, in den sogenannten Ballungsräumen,
mit Namen „Megalopalis". Städte sind durch
Jahrhunderte gewachsene Organismen, deren
besseres Leben stets von besonderen
Voraussetzungen abhängig war und ist. Als
Existenzbasen Gegenpole zu den ländlichen
Siedlungsräumen wächst sich hier die potentielle
Problematik der Zukunft aus, hervorgerufen durch
die Wirtschaftsexpansion der Städte und deren
dadurch bedingte Anziehung. Im Sinne künftiger
Raumordnung solcher Entwicklung präventiv zu
begegnen, ist Sache einer höheren, koordinierenden
Politik. Ein heutiges, nahes Problem ist, das Leben
in Städten gesünder zu machen. Heute nach,
sozusagen auf Anhieb und ohne Zaudern, sofort
Anfänge zu setzen. Selbstredend kann man eine
Großstadt nicht von heute auf morgen total
umkrempeln. Aber man kann den mehr und mehr
versteinerten Organismus Stadt - wohl in einem
langwierigen Prozeß - aus sich selbst gesunden
lassen. Und da wären wir beim Münchner Projekt
Grub + Partner. Simultan ein Blick auf alle
größeren Städte der Welt ließe Gleiches erkennen:
über weite Strecken Betonschluchten ohne Grün,
bedroht vom Smog, so zubetoniert, daß nicht iener
Grashhalm selbst, der einem Wunder gleich aus
geborstener Mauer sprießt, einen Nährboden fände.
lm Vergleich mit alten Städteansichten und
-zeichnungen - wie in der Exposition - offenbart
sich in schärfstem Kontrast einstige urbane
„ländliche" Gelackertheit gegenüber unverzeihbaren
Planungs- und Bausiinden - mehrheitlich des
20. Jahrhunderts -, deren Hydra emsig wucherte
und weiterwuchert. Ausblicke aus dem eigenen
Fenster auf einen Hinterhof in München-Schwabing,
tagtäglich, dessen konstante Tristesse, trieben
Arch. Grub zur Initiative. Er plante die „Stodtoase".
Häßliche, ungesunde Hinterhäfe, iene Seuchenstätten
an zufällig gewachsenen Gerümpel-, Abfall- und
Abstellterritorien, will er vitalisieren, funktionell
und ästhetisch neu formen. Stadtoosen sollen ein
Anfang sein, die steinerne Verschachtelung der
Stadt aufzureißen, sie zum „Erhalungsraum"
umzuformen. Gewiß ein gesundes, ia ideales
Vorhaben, dem aber sicher egoistische Nutzungs-
und Gesetzeszwänge unzählige Barrieren
aufrichten werden.
Grubs Proiekt und deren Exposition bedient sich
aller, ia trivialster Mittel zum Verständlichmachen:
mittels Computer- und EDV-Verfahren, mit Akribie
erstellter Pläne und Gestaltungsvorschläge
ebenso wie mit echten Flipper- und Lebensmittel-
automaten, dem chramglitzernden Feuerstuhl oder
dem Palmenstrand unter blauestem Südseehimmel
mit Wattewälkchen als Leitvision des permanent
fernwehbefallenen Großstädters. Unterstützt vom
Bayerischen Staatsministerium für Landesentwick-
lung und Umweltfragen und dessen Staatsminister
Max Streibl, gingen Grub + Partner diesem
Mammutproiekt zu Leibe. Dadurch soll München
mit Stadtoosen, Kettenparks, Grünanlagen u. ö.
überzogen werden. Wien, im Vergleich eine
mit mehr Grün durchwachsene und gewordene Stadt,
ist da etwas besser daran, aber im wesentlichen
hat das Grubsche Proiekt für die österreichische
Bundeshauptstadt ebenso Geltung wie für seine
Landeshauptstädte
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Die Schau, vom Ambiente her „natürlich-trocken",
ein vielgliedriges Tafelnsystem, füllte Säulenhot und
Saal l. Was sie mit Kunst überhaupt zu tun hatte?
Nun, im interdisziplinären Team der Planer sind
neben den Architekten, Soziologen, Verkehrs-
planern, Kunsthistorikern u. a. die bildenden
Künstler mit Diagnosen und Vorschlägen beteiligt.
Grub bezieht die ästhetische Erlebnisfähigkeit des
Großstädters, dessen Sensibilisierung in sein
Gesamtkonzept „Erholungsraum Stadt" mit ein.
Interessant das Auftreten der österreichischen
Gruppen. HAUS-RUCKER-CO. mit „Die Stadt
gestalten". Der städtische Umraum ist, so meinen
sie, als persönlicher Lebensraum zu verstehen.
Eine Herausforderung also an den Bürger, über
seine vier Wände hinaus mitgestaltend zu sein,
„die Straßen und Plätze als eine Folge van
differenzierten Wohnräumen zu betrachten" . . .
„sie wohnlicher und kommunikativer zu machen".
Und wie einschneidend wichtig, daß „die Stadt [und
ihre Sauberkeit) vor der Haustür beginnt".
Oder die ebenfalls vertretenen COOP-
HIMMELBLAU (Drive in Holiday Box), die sich
New York hernahmen, „. . . die Illusion eines
beschissenen Sonnenstrandes im Rücken, steht
der Städter an den Flippertischen . . ." Nun, wir
meinen, eine ganze Menge eher nicht. Zum Glück!
Ob aber die COOP-utopischen blasig-zeppelini-
schen Explorer, Enter-, Con- und Hometainer, auf
Bauten des 19. Jahrhunderts gepfropft, der Stadt
der Zukunft ihren Stempel aufprägen werden?
Realer erscheint uns da das Grub + Partnersche
Gesamtproiekt. Und wenn dieses auch Friedhöfe
als Stadtoosen proiektiert, tut man sicher ein
übriges, das Verhältnis von Lebenden und Taten
auf eine neue Basis - etwa dem skandinavischen
ähnlich - zu stellen. Räumen wir auch hier alte
Vorurteile aus, sehen wir, bedingt durch Raum-
und Grünmangel, Friedhöfe künftighin nicht mehr
als unantastbare Allerheiligenterritorien an,
sondern eher als „Parks der Toten", die auch Platz
dem Lebenden geben, in denen er - in neuer
Pietät - Ruhe, Erholung und frischere Luft finden
kann. Daß Grub den Städter an der motorisierten
Flucht aus der Stadt aufs freie Land hindern will,
durch eine grünere Stadt neu orientieren
will, ist ein packender Gedanke. Wer aber von
der motornärrischen Welt wird da zu folgen bereit
sein? Ein neues und starkes Faktum aber, das wir
hinzuerkennen: Kindern und Alten, denen die Stadt
am Tage gehört, kann dieser proiektierte
„Erholungsraum Stadt" ungleich gesündere
Lebensbedingungen schenken. Wien hinkt in
solchem Bemühen nicht nach. Das Voitlsche
TV-Planquadrat setzte auch hier eine längst fällige
„Verbesserungs"-Aktion, die allerdings ihren ersten
„Hammerschlag"-Effekt schon wiederum eingebüßt
hat. Wie verzwirJrt die Situation hier ist, beweist
- in einem Lokalfall - der (politische?) Kampf um
ein Stück Stadtareal im dichtverbauten Gebiet.
Park oder Neubau? Das ist hier die Frage. Wir
meinen: „Ja" zu iedem Park mehr, aber ein
(Beserl-)Park mit spielenden Kindern mitten im
Verkehrsstrom, im Mief der stinkenden Auto-
abgase? Hecken und Sträucher sind kein
hinreichender Schutz, und wie sollen große Raum-
planungs- und innerstädtische Konzepte
realisiert werden, wenn der Bürger, vatierend,
einseitig nur seine eigene, bessere Situierung
im Auge hat?
Vorn Material her statistisch-trocken, um so
trächtiger in ihrer konzipierenden Substanz, hat
diese etwas über die Schulter angeblickte
Exposition, eine „Nichtkunst-Ausstellung", ihren
Zweck mehr als erfüllt. Der echt um seine Stadt
besorgte Bürger konnte sie mit der Gewißheit
verlassen, daß man allerorten eine gesündere
Stadt proiektiert. Er wird aber, und hier
angesprochen die maßgeblichen Kreise, mittun und
helfen müssen, im einzelnen und oft, zu oft,
Eigeninteressen hintanstellen müssen. Daß die
Künstler ein gewichtiges Wort beim Verbessern,
beim schöneren „Bild einer Stadt" mitzureden
haben, ist klar. Wenn man sie iedoch - in einem
guterstellten Gesamtkonzept, wohlgemerkt -
läßt. Denn erst in einer lebenswerteren, gesünderen
Stadt kann der Kunst auch eine bessere Zukunft
prophezeit werden. Und hier geht es nicht nur um
rein ästhetische Fragen, wie die Ausstattung des
Stephansplatzes, ein Tauziehen um eine endgültige
Realisierung, das lange genug schon hingeht.-
Wir sagen ein unbedingtes Ja zu Grubs Münchner
Praiekt, es ist ein durchaus übernehmbares.
Wir gehen noch einen Schritt weiter und propagierer
für die Städte der Zukunft das Konzept einer
„Wohnlandschaft Stadt".
Tapisserien
Meisterklasse für dekorative Gestaltung
und Textil Prof. Grete Rader-Soulek
Ausstellung der Hochschule
für angewandte Kunst, Wien
Neue HausfAusstellungshalle
Wien i, Weiskirchner Straße 3,
30. 11.-20. 5. 1976
„Wenn die Meisterklasse in dieser Ausstellung
Gobelins, Knüpfteppiche und textile Plastiken zeigt,
so wollen alle diese Arbeiten nicht nur als
autonome, das heißt ,überflüssige' künstlerische
Gebilde gesehen werden, sondern immer im
Hinblick auf ihre Nützlichkeit und ihre
Verwendbarkeit in solchen Räumen, wie sie heute
von modernen Architekten für den Wohn- und
Repräsentationsbereich geschaffen werden."
Mit diesen Worten öffnete Hofrat Prof. Dr.
Wilhelm Mrazek, Direktor des Österreichischen
Museums für angewandte Kunst, das Museum den
heranwachsenden iungen Textilkünstlern der
Hochschule, um ihr Werk der Öffentlichkeit
vorzuführen. lst es doch stets eines der
Hauptanliegen von Schule und Museum, die
Funktion des Künstlers, seine lntegrierung in die
Gesellschaft, darzulegen und sicherzustellen.
Gelingt dies über den festgezogenen, engeren
Fachkreis hinaus in der Regel nicht genug schwer?
Anstrengungen offizieller Stellen ähnlicher Art
finden längst nicht das erwartete Echo. Und es
sind beileibe nicht Alibi-Aktivitäten, wenn man
z. B. auf Kunstmärkten dem Bürger die Kunst aufs
Pflaster vor die Nase setzt, ihm Originale zur
Hand gibt. Er aber reagiert zögernd, als ob er
Scheu hätte, „Kunst" in die Hand zu nehmen.
Neue Kulturzentren, Kultur-Container, ab sie eine
künftige Kunstpolitik prägen werden?
Hoffen wir das.
Wir schicken dies voraus, weil eine Reihe iunger
Absolventen der Hochschule für angewandte Kunst
mit dieser Werkschau immerhin Ergebnisse von
insgesamt acht Jahren Studienzeit präsentierte.
Geschlossen vor ihr erstes Publikum geführt und
geleitet von Prof. Grete Rader-Soulek.
Die Bildwirkkunst, die sie als dienende Kunst
apostrophiert, ist sie nur mehr eine
Frauenkunst? Bei zwanzig Damen und nur zwei
Herren in der Meisterklassel? Summarisch
gesehen ist - vor den Tapisserien - deutlich ein
Grundzug und die Hand einer vorzüglichen
Lehrerin zu spüren, die iedoch der Individualität
genügend Freiheit zu künstlerischer Eigenständig-
keit ließ. Wenn wir von den klassischen
Tapisserien von Tournai oder der derzeit auf
Schloß Halbthurn gezeigten Tapisserienschau
des Kunsthistorischen Museums oder einem
„Aubussan" ausgehen, reichen „Bildern" häfischen
Lebens, so offenbart im Gegensatz dazu die
gegenwärtige Tapisserie ihre zeitgemäße Bild-
sprache. Sie ist vereinzelt von Naturerlebnissen
inspiriert, wurzelt vorwiegend iedoch im
abstrakten, symbolistischen, surreal-imaginativen
Bereich, Zeigt sich gelegentlich als textile Freiplastik
Vorerst hier vereinzelt, im internationalen Bereich
iedoch - siehe unsere Notiz über eine Textil-
ausstellung im Badischen Landesmuseum (S. 42) -
weiter und weiter an Terrain gewinnend. Wenn wir
von Urform und Zweckbestimmung auch für die
Zukunft ausgehen wollen, scheint uns die Tapisserie
als angreifbares, schützendes und schmückendes
Element nutzbarster Kontrapost zur glatten und
kühlen Architektur des 20. und der noch „kälteren"