in der Lage waren, deren Interesse, so wie es
erwünscht gewesen wäre, zu befriedigen. Im
ersten Viertel des Jahrhunderts entstanden ganze
Dutzende von Neubauten größerer und kleinerer
Landsitze und ebensaviele Umbauten und Er-
weiterungen, die alle in den Formen ausgeführt
wurden, die man damals für gotisch hielt. Bau-
herren und Architekten d i l ettie rte n fleißig
zusammen."
Die in der ersten Jahrhunderthälfte in England
so zahlreich entstehenden Musterbücher und
Anleitungen zum Bauen von Villen wenden sich
sowohl an den gebildeten und erfahrenen
Architekten als auch an den iungen Architekten;
selbst der „Amateur Architect" und „General
reader" wird die Bemerkungen aber brauchbar
finden „as a means for improving their taste,
by enabling them to refer the beauties or defects
of buildings to their true causeswf.
lll.
Die Villa - urspr. das Haus auf dem Land -
hat im Laufe der Zeit immer wieder ihren
Charakter geändert. Im 19. Jahrhundert wurde
sie einer der wichtigsten Bautypen, die sich in
der Zeit der neuen bürgerlichen Gesellschaft
herausbildeten. „lm Bereich der Wiener Tradition
kann man ihre legitimen Vorläufer bei den
barocken Lustschlössern suchen, die sich wie ein
Kranz um die Kaiserstadt legten und vorwiegend
der Erholung und der Jagd dienten, nicht jedoch
für den ständigen Aufenthalt der Herrschaft
gedacht waren. Seit dem ausgehenden 18. Jahr-
hundert macht sich einerseits eine Verbürger-
lichung des Adels bemerkbar, andererseits wett-
eifert das kultivierte Bürgertum in der Gestaltung
seines Lebensraumes mit dem adeligen Vorbild.
In diesem Prozeß nimmt ein neugeschaffenes
Lust- und Jagdschlaß des kaiserlichen Hauses
Baugedanken der intimen, bürgerlichen Wohn-
kultur auf, während sich der Bürger ein vielfach
ständig bewohntes, repräsentatives Landhaus in
Stadtnähe baut, eben die Villa.
Für die Entstehung dieses Typus ist die Bau-
tätigkeit für kaiserliche Schloßbauten außerhalb
der Stadt aufschlußreich . ..
Diese Schloßbauten unterscheiden sich im we-
sentlichen nur durch ihre Größe und in der
Vornehmheit der Ausstattung von Gartenpa-
lösten, Villen oder bürgerlichen Landhäusern,
wie sie im Biedermeier rund um die Stadt er-
richtet wurden; unter Verzicht auf die weit-
läufigen Flanken bestehen sie allein aus dem
durch den Portikus überhöhten Mitteltrakt . ..
Für den soziologischen Umschwung dieser Zeit
ist es bezeichnend, daß das Schloß als Bauauf-
gabe von der Villa abgelöst wird, die sich vom
Landhaus der Biedermeierzeit herleitet. Die
Regelmäßigkeit und Symmetrie dieses Typus lebt
darin weiter, und zwar in Osterreich mehr als
etwa bei Schinkel, wo der Anschluß an englische
Vorbilder stärker ist. Dies gilt vorwiegend für
Architekten, die enger der Tradition verpflichtet
sind, wie etwa Ludwig von Förster; Hansen hin-
gegen, der die symmetrische, den Bau einem
Mitteltrakt unterardnende Gestaltungsweise bei
seinen Monumentalbauten niemals aufgegeben
hat, hielt an dieser Auffassung bei Villen nur
so lange fest, wie er mit Förster zusammen-
arbeitete, nach der Trennung der Ateliers trat
er bald mit unsymmetrischen, malerischen, auf
die Ansicht abgestimmten Villenbauten hervor,
wie sie auch Ferstel entwarf; seit der Jahr-
hundertmitte war damit die moderne Lösung
dieses Bauthemas geschaffen?" Das Malerische,
die freie Gruppierung, der freie unsymmetrische
Plan werden im traditionsreichen englischen
Landhaus" seit der Wiederbelebung der Gotik
und des elisabethanischen Stils gefordert. Ein
Heer von Architekten, allen voran James Wyatt
(1747-1813) und John Nash (1752-1835), baut -
unterstützt vom Enthusiasmus romantisch gesinn-
ter Bauherren - unzählige „gotische" Villen und
Landhäuser. Zunächst war diese Übernahme der
Gotik eine rein äußerliche, beschränkt auf die
Entlehnung einiger Motive aus dem Kathedral-
bau, die oft sogar vollkommen unfunktionell
wiederangewandt wurden. Erst allmählich be-
gann man die Kunst der Gotik, reflektierend und
„wissenschaftlich" zu rezipieren. Zahlreiche
Fachliteratur und Musterbücher entstehen, so
z. 5.: John Buonarotti Papwohrths „Designs far
Rural Residences" 1818, Augustus Welby Pugins
„Specimes" 1821 ff., „Gothic Ornaments" 1831,
„Contrasts" 1836.
Der Weg aus der Romantik über die neue
Gotik führt weiter zur Lebensreform, mit dem
.1?
Q
4 Grundriß der kaiserlichen Villa in Bad lschl
(Wien, Planarchiv Burghauptmannschaft, Map-
pe J-13)
5, 6 Cottage der kaiserlichen Villa in lschl
7 Grundriß des Cottage der kaiserlicher Villa in
lschl (Wien, Planarchiv Burghauptmannschaft,
Mappe J-13t
B Gartenpavillon im Park der kaiserlichen Villa
in lschl
Anmerkungen 30-39
i" Quizäärund van Quellenwerken dargestellt, Wien 1880,
. 4 .
1' Partezettelsammlung des HHuStA. und Hot- und Staats-
Handbuch f. d. J. 1888, S. 26.
"V I. E. Hainisch, Zur Geschichte des Parkes der Kaiser-
vi la in Bad lschl, in: OU Heimatblätter 195216, A.
n Siehe 25.
3' R. Wagner-Rieger, in: Ausstellungskatalog Romantische
Glasmalerei in Laxenburg, Wien, Usterr. Galerie, Mai?
August 1962, S. 13.
15 H. Muzhesius, Das Englische Haus, Berlin, 1904, Band l,
S. B6 f .
1A Encyclopaedia of Cottage, Farm and Villa Architecture
by J. C. London, London 1833, S. 36.
i" R. Wagner-Rieger, Wiens Architektur im 19, Jahrhundert,
Wien 1970, s. 35 er.
7' Siehe 35.
" Siehe 36,
Aufruf zur Rückkehr zum Land und zur Natur,
im Namen des Einfachen, des Echten, des Na-
türlichen, einer reinen Beziehung des Menschen
zu den Dingen seiner Umwelt.
Auch die „Encyclopaedia of Cattage, Farm and
Villa Architecture" von J. C. London" erhebt
einen gewissen sozialen Anspruch, wenn es dar-
in in der Einleitung heißt, daß es das Anliegen
dieses Buches ist, die Wohnhäuser der Massen
der Gesellschaft zu verbessern und einen allge-
meinen Geschmack für architektonische Bequem-
lichkeit und Schönheit zu verbreiten. Was die
Architektur auf dem Lande betrifft, sei dies
durch dieses Buch und die darin enthaltenen
Designs für Villen, Cattages und Bauernhäuser
zu einem niedrigen Preis möglich. Buch lll be-
handelt die Villa. Der Hauptzweck der Villa
sei es, eine gesunde, angenehme, elegante
Residenz auf dem Lande zu haben. Dies zu
erreichen hängt ab von 1. The Choice of a
Situation far a Villa Residence, 2. The Position
of the Hause, and the Arrangement of the
Grounds of a Villa Residence, und 3. adapting
the Architectural Style and interior Arrangement
of the House to the Character of the Situation.
Bei der Auswahl des Grundstückes sind das
Klima, die Seehähe, der Einfall von Sonne, Wind
und Regen, das Vorhandensein eines Flusses,
Sees, die Geländeformation, die nicht langweilig
heterogen, sondern möglichst bizarr sein soll,
zu beachten. Die Anlage des Hauses innerhalb
des Grundstückes muß auf die natürlichen Ge-
gebenheiten des Bodens Rücksicht nehmen, ia
sie soll prägnante natürliche Züge noch unter-
streichen oder künstlich betonen.
Die Nebengebäude müssen normalerweise ab-
seits angeordnet werden und dürfen von der
Zufahrt aus nicht einsehbar sein.
Die Zufahrtstraße selbst soll in gewundenen
Linien zur Villa führen und in einem schrägen
Winkel auf sie stoßen. Sollte dies auf Grund
der Beschaffenheit der Landschaft nicht möglich
sein, muß die Bodenstruktur verändert und die
Bäume entsprechend neu gepflanzt werden.
Große Sorgfalt ist auf den Übergang vom Haus
zur Natur zu legen. Er muß durch Vasen, Statuen,
Balustraden, Treppen, Tore, am besten iedoch
durch eine Terrasse deutlich gemacht werden.
Was immer für ein Stil für die Villa ausgewählt
wird (er soll sich der gegebenen Region an-
passen), wichtig um die Aufmerksamkeit zu
erregen sind drei Dinge: der Portikus, Kolon-
naden (oder Veranda oder Arkaden) und die
Kamine.
Es folgt noch ein Exkurs über die Ausbildung
des Landschaftsgärtners, wobei besonders dem
Studium der Botanik und dem Zeichnen nach
der Natur Bedeutung beigemessen wird.
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