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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 147)

in der Lage waren, deren Interesse, so wie es 
erwünscht gewesen wäre, zu befriedigen. Im 
ersten Viertel des Jahrhunderts entstanden ganze 
Dutzende von Neubauten größerer und kleinerer 
Landsitze und ebensaviele Umbauten und Er- 
weiterungen, die alle in den Formen ausgeführt 
wurden, die man damals für gotisch hielt. Bau- 
herren und Architekten d i l ettie rte n fleißig 
zusammen." 
Die in der ersten Jahrhunderthälfte in England 
so zahlreich entstehenden Musterbücher und 
Anleitungen zum Bauen von Villen wenden sich 
sowohl an den gebildeten und erfahrenen 
Architekten als auch an den iungen Architekten; 
selbst der „Amateur Architect" und „General 
reader" wird die Bemerkungen aber brauchbar 
finden „as a means for improving their taste, 
by enabling them to refer the beauties or defects 
of buildings to their true causeswf. 
lll. 
Die Villa - urspr. das Haus auf dem Land - 
hat im Laufe der Zeit immer wieder ihren 
Charakter geändert. Im 19. Jahrhundert wurde 
sie einer der wichtigsten Bautypen, die sich in 
der Zeit der neuen bürgerlichen Gesellschaft 
herausbildeten. „lm Bereich der Wiener Tradition 
kann man ihre legitimen Vorläufer bei den 
barocken Lustschlössern suchen, die sich wie ein 
Kranz um die Kaiserstadt legten und vorwiegend 
der Erholung und der Jagd dienten, nicht jedoch 
für den ständigen Aufenthalt der Herrschaft 
gedacht waren. Seit dem ausgehenden 18. Jahr- 
hundert macht sich einerseits eine Verbürger- 
lichung des Adels bemerkbar, andererseits wett- 
eifert das kultivierte Bürgertum in der Gestaltung 
seines Lebensraumes mit dem adeligen Vorbild. 
In diesem Prozeß nimmt ein neugeschaffenes 
Lust- und Jagdschlaß des kaiserlichen Hauses 
Baugedanken der intimen, bürgerlichen Wohn- 
kultur auf, während sich der Bürger ein vielfach 
ständig bewohntes, repräsentatives Landhaus in 
Stadtnähe baut, eben die Villa. 
Für die Entstehung dieses Typus ist die Bau- 
tätigkeit für kaiserliche Schloßbauten außerhalb 
der Stadt aufschlußreich . .. 
Diese Schloßbauten unterscheiden sich im we- 
sentlichen nur durch ihre Größe und in der 
Vornehmheit der Ausstattung von Gartenpa- 
lösten, Villen oder bürgerlichen Landhäusern, 
wie sie im Biedermeier rund um die Stadt er- 
richtet wurden; unter Verzicht auf die weit- 
läufigen Flanken bestehen sie allein aus dem 
durch den Portikus überhöhten Mitteltrakt . .. 
Für den soziologischen Umschwung dieser Zeit 
ist es bezeichnend, daß das Schloß als Bauauf- 
gabe von der Villa abgelöst wird, die sich vom 
Landhaus der Biedermeierzeit herleitet. Die 
Regelmäßigkeit und Symmetrie dieses Typus lebt 
darin weiter, und zwar in Osterreich mehr als 
etwa bei Schinkel, wo der Anschluß an englische 
Vorbilder stärker ist. Dies gilt vorwiegend für 
Architekten, die enger der Tradition verpflichtet 
sind, wie etwa Ludwig von Förster; Hansen hin- 
gegen, der die symmetrische, den Bau einem 
Mitteltrakt unterardnende Gestaltungsweise bei 
seinen Monumentalbauten niemals aufgegeben 
hat, hielt an dieser Auffassung bei Villen nur 
so lange fest, wie er mit Förster zusammen- 
arbeitete, nach der Trennung der Ateliers trat 
er bald mit unsymmetrischen, malerischen, auf 
die Ansicht abgestimmten Villenbauten hervor, 
wie sie auch Ferstel entwarf; seit der Jahr- 
hundertmitte war damit die moderne Lösung 
dieses Bauthemas geschaffen?" Das Malerische, 
die freie Gruppierung, der freie unsymmetrische 
Plan werden im traditionsreichen englischen 
Landhaus" seit der Wiederbelebung der Gotik 
und des elisabethanischen Stils gefordert. Ein 
Heer von Architekten, allen voran James Wyatt 
(1747-1813) und John Nash (1752-1835), baut - 
unterstützt vom Enthusiasmus romantisch gesinn- 
ter Bauherren - unzählige „gotische" Villen und 
Landhäuser. Zunächst war diese Übernahme der 
Gotik eine rein äußerliche, beschränkt auf die 
Entlehnung einiger Motive aus dem Kathedral- 
bau, die oft sogar vollkommen unfunktionell 
wiederangewandt wurden. Erst allmählich be- 
gann man die Kunst der Gotik, reflektierend und 
„wissenschaftlich" zu rezipieren. Zahlreiche 
Fachliteratur und Musterbücher entstehen, so 
z. 5.: John Buonarotti Papwohrths „Designs far 
Rural Residences" 1818, Augustus Welby Pugins 
„Specimes" 1821 ff., „Gothic Ornaments" 1831, 
„Contrasts" 1836. 
Der Weg aus der Romantik über die neue 
Gotik führt weiter zur Lebensreform, mit dem 
.1? 
Q 
4 Grundriß der kaiserlichen Villa in Bad lschl 
(Wien, Planarchiv Burghauptmannschaft, Map- 
pe J-13) 
5, 6 Cottage der kaiserlichen Villa in lschl 
7 Grundriß des Cottage der kaiserlicher Villa in 
lschl (Wien, Planarchiv Burghauptmannschaft, 
Mappe J-13t 
B Gartenpavillon im Park der kaiserlichen Villa 
in lschl 
Anmerkungen 30-39 
i" Quizäärund van Quellenwerken dargestellt, Wien 1880, 
. 4 . 
1' Partezettelsammlung des HHuStA. und Hot- und Staats- 
Handbuch f. d. J. 1888, S. 26. 
"V I. E. Hainisch, Zur Geschichte des Parkes der Kaiser- 
vi la in Bad lschl, in: OU Heimatblätter 195216, A. 
n Siehe 25. 
3' R. Wagner-Rieger, in: Ausstellungskatalog Romantische 
Glasmalerei in Laxenburg, Wien, Usterr. Galerie, Mai? 
August 1962, S. 13. 
15 H. Muzhesius, Das Englische Haus, Berlin, 1904, Band l, 
S. B6 f . 
1A Encyclopaedia of Cottage, Farm and Villa Architecture 
by J. C. London, London 1833, S. 36. 
i" R. Wagner-Rieger, Wiens Architektur im 19, Jahrhundert, 
Wien 1970, s. 35 er. 
7' Siehe 35. 
" Siehe 36, 
Aufruf zur Rückkehr zum Land und zur Natur, 
im Namen des Einfachen, des Echten, des Na- 
türlichen, einer reinen Beziehung des Menschen 
zu den Dingen seiner Umwelt. 
Auch die „Encyclopaedia of Cattage, Farm and 
Villa Architecture" von J. C. London" erhebt 
einen gewissen sozialen Anspruch, wenn es dar- 
in in der Einleitung heißt, daß es das Anliegen 
dieses Buches ist, die Wohnhäuser der Massen 
der Gesellschaft zu verbessern und einen allge- 
meinen Geschmack für architektonische Bequem- 
lichkeit und Schönheit zu verbreiten. Was die 
Architektur auf dem Lande betrifft, sei dies 
durch dieses Buch und die darin enthaltenen 
Designs für Villen, Cattages und Bauernhäuser 
zu einem niedrigen Preis möglich. Buch lll be- 
handelt die Villa. Der Hauptzweck der Villa 
sei es, eine gesunde, angenehme, elegante 
Residenz auf dem Lande zu haben. Dies zu 
erreichen hängt ab von 1. The Choice of a 
Situation far a Villa Residence, 2. The Position 
of the Hause, and the Arrangement of the 
Grounds of a Villa Residence, und 3. adapting 
the Architectural Style and interior Arrangement 
of the House to the Character of the Situation. 
Bei der Auswahl des Grundstückes sind das 
Klima, die Seehähe, der Einfall von Sonne, Wind 
und Regen, das Vorhandensein eines Flusses, 
Sees, die Geländeformation, die nicht langweilig 
heterogen, sondern möglichst bizarr sein soll, 
zu beachten. Die Anlage des Hauses innerhalb 
des Grundstückes muß auf die natürlichen Ge- 
gebenheiten des Bodens Rücksicht nehmen, ia 
sie soll prägnante natürliche Züge noch unter- 
streichen oder künstlich betonen. 
Die Nebengebäude müssen normalerweise ab- 
seits angeordnet werden und dürfen von der 
Zufahrt aus nicht einsehbar sein. 
Die Zufahrtstraße selbst soll in gewundenen 
 
Linien zur Villa führen und in einem schrägen 
Winkel auf sie stoßen. Sollte dies auf Grund 
der Beschaffenheit der Landschaft nicht möglich 
sein, muß die Bodenstruktur verändert und die 
Bäume entsprechend neu gepflanzt werden. 
Große Sorgfalt ist auf den Übergang vom Haus 
zur Natur zu legen. Er muß durch Vasen, Statuen, 
Balustraden, Treppen, Tore, am besten iedoch 
durch eine Terrasse deutlich gemacht werden. 
Was immer für ein Stil für die Villa ausgewählt 
wird (er soll sich der gegebenen Region an- 
passen), wichtig um die Aufmerksamkeit zu 
erregen sind drei Dinge: der Portikus, Kolon- 
naden (oder Veranda oder Arkaden) und die 
Kamine. 
Es folgt noch ein Exkurs über die Ausbildung 
des Landschaftsgärtners, wobei besonders dem 
Studium der Botanik und dem Zeichnen nach 
der Natur Bedeutung beigemessen wird. 
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