Hunderte von Porzellanfiguren tragen den Wie-
ner Bindenschild, ohne Erzeugnisse der Wiener
Porzellanmanufaktur zu sein: Zwergfiguren,
Soldaten, Niobiden und Bacchanten, Wäscher-
mödel und Fiaker, Kaufrufe, Krinalinenfiguren,
Schüferinnen und Schäfer, Harlekine und Kolom-
binen, Putten und Amaretten, Bettler und tan-
zende Bauern. Tausende von Tellern, Vasen, Ge-
fäßen sind mit einem nicht authentischen blauen
Bindenschild gemarkt. Mythologische und alle-
gorische Darstellungen, Ornamente des Rokoko
und Klassizismus, „Watteau-Bilder", Umdruck,
Abziehbild und Fotografie schmücken die Wan-
dungen dieser Porzellane.
Wie erkennt man, doß der Bindenschild dieser
Porzellane gefälscht ist? Wie erkennt man spä-
tere Fölschungen, Ubermalungen, das Entfernen
der ursprünglichen Marke, die Hinzufügung des
blauen Bindenschilds? Viele dieser Probleme
wurden in früheren Aufsötzen' bereits ange-
schnitten. lm vorliegenden Beitrag seien einige
signifikante figurale Beispiele herausgegriffen,
die aus der oben genannten Ausstellung stam-
men.
Von hervorragender Modellierung ist eine Serie
von kleinen Zwergenfiguren (8,3 bis 8,9 cm hoch),
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die in der Charakterisierung der Gesichter, der
Modellierung der verwachsenen Körper, der
Stofflichkeit des Kostüms kleine Kostbarkeiten
der figuralen Porzellankunst darstellen (Abb. 1,
5-9). Vermutlich erst zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts entstanden, scheint es rätselhaft, warum so
qualitötvolle Porzellane mit dem gefälschten
Wiener Bindenschild versehen wurden, vor allem
wenn man bedenkt, daß diese Zwerge mit den
sogenannten „Callot-Figuren" der alten Wiener
Porzellanmanufaktur nichts gemeinsam haben.
Die „Callot-Figuren" aus Wiener Porzellan (Abb.
2) entstanden in den Jahren 1744-1750 (die
meisten tragen den eingepreßten, einige bereits i
den unterglasurblauen Bindenschild und sind da-
her relativ genau zu datieren) und gehen auf
Stichserien zurück, die nur mehr sehr bedingt
mit dem Werk Jacques Callots in Zusammen-
hang zu bringen sind - auch wenn eine dieser
Stichfolgen „ll Callotto resuscitato" benannt
wurde.
Trugen diese echten Wiener Porzellane die Be-
zeichnung „Callot-Figuren", ohne tatsächlich sol-
che zu sein, so sind die erwähnten Fälschungen
(Abb. 1, 5-9) Modelle, die teilweise wirklich auf
Waltraud Neuwirth
Wiener Porzellan -
echt oder gefälscht?
Aus der Ausstellung des
Osterreichischen Museums für
angewandte Kunst
Im Österreichischen Museum für angewandte
Kunst findet vom 18. November 7976 bis 31. März
1977 die Ausstellung ,. Wiener Porzellan -
echt oder gefälscht?" statt. Sie zeigt rund 300
Exponate, die zum Großteil aus Privatbesitz stammen
und die nach ihrer Präsentation in Wien auch
in den Bundesländern gezeigt werden sollen.
Stichen Callots beruhen: die „Varie Figure
Gobbi" vom Beginn des 17. Jahrhunderts dienten
diesen Kopien offensichtlich als Vorlage. Noch
ist die Manufaktur, die diese Porzellane erzeugte,
unbekannt, doch existiert ein alter Katalog der
Firma Thierne in Potschappel, in dem einige die-
ser Zwergenfiguren, wenn auch bemalt und in
seitenverkehrter Ansicht, abgebildet sind. Das
Porzellan der Fälschungen, obwohl ausgezeich-
net modelliert, ist in Masse und Glasur fehler-
haft. Dies fällt um so mehr auf, als die Figuren
zwar weiß glasiert, aber nicht bemalt sind und
die braunen Glasurfehler daher durch keine Ma-
lerei verdeckt wurden.
Woran sind diese Figuren nun als Fälschungen
erkennbar? Erstens wurden diese Modelle in der
Wiener Porzellanmanufaktur nie ausgetormt.
Zweitens tragen sie keinen Bossiererbuchstaben,
wie die meisten der echten Wiener Figuren, und
drittens - der deutlichste Beweis einer Fälschung
- weisen alle die Ritznummer 1774 auf (Abb. 7).
Diese Nummer ist bei echten Porzellanfiguren
des 18. Jahrhunderts aus der Wiener Manufaktur
absolut undenkbar.
lm Gegensatz zu den eben erwähnten Zwergen-