MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 150)

Kriegsknecht aus der Kreuzigungsgruppe der 
Halleiner Salinenkapelle. Lindenholz. Höhe 117 
cm. Salzburg, 
Augusteum 
Gliederpuppe, Obstbaumholz, Höhe 24 cm. Ham- 
burg, Museum für Kunst und Gewerbe 
Salzburger Museum Carolino 
Entwicklung des Flügelaltares vom wenig unter- 
gliederten, durch Seitenflügel verschließbaren 
Kasten zum Wandelretabel mit mehrfachen Bil- 
derzyklen und von höchster Logik getragener 
Architekturgliederung. Nicolaus Gerhaert darf 
aufgrund der hypothetischen Rekonstruktion sei- 
nes zerstörten Konstanzer Retabels (vgl. Wolf- 
gang Deutsch, Die Konstanzer Bildschnitzer der 
Spätgatik und ihr Verhältnis zu Nicolaus Ger- 
haert. In: Schriften des Vereins für Geschichte 
des Bodensees und seiner Umgebung 81, 1963, 
S. 11 ff.) als Protagonist iener Altarbauer gelten, 
die in der Heiligenfigur reale Personen typisie- 
rend verallgemeinern, ihre Wirklichkeit durch 
räumliche Prägnanz bestätigen und damit tat- 
sächliches Leben, porträthaft im Altarschrein er- 
höhend, vergegenwärtigen. Es muß als bezeich- 
nend für die Salzburger künstlerische Entwick- 
lung und ihre historischen Voraussetzungen hin- 
genommen werden, daß direkte Einflüsse seiner 
Kunstauffassung hier fehlen. Ob Bildformen, die 
seiner Kunst entsprachen, in Salzburg wohl den 
Grabmälern vorbehalten waren? Erst mit Michael 
Pachers Hochaltar für die Franziskanerkirche, 
entstanden zwischen 1484 und 1498, wurde ein 
Äquivalent geschaffen, zu dem auch die von Gre- 
gor Erhart beeinflußten Figuren der Hl. Anna 
Selbdritt und der beiden Johannes in der Pfarr- 
kirche zu Puch (Kot-Nr. 257-259) gehören. Ebenso 
wird es nicht dem Zufall zugeschrieben werden 
dürfen, daß die Figurenauffassung des Veit Stoß 
erst in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts, 
1498 im Nannberger Flügelaltar und anschlie- 
ßend in der Halleiner Kreuzigung (Kot-Nr. 251 
bis 254), Abb. 8), Anklang fand. Die mit diesen 
Aufträgen betrauten Bildschnitzer hatten sich da- 
mals bereits iener Stilphase zugeneigt, die für 
das letzte Entwicklungsstadium des spätgotischen 
Retabels typisch ist. Anstelle der repräsentativen 
Einzelfigur verschleift sie die Darstellungen im 
Mittelschrein zu reliefartig bildhaften Wirkun- 
gen und durchsetzt sie mit ästhetisierenden Licht- 
Schatten-Effekten. 
Mit dem Hinweis auf das renaissancehafte Stre- 
ben der Kunst iener Jahre nach Autonomie wäre 
der veränderte Wirkungsbereich dieser ästheti- 
schen Mittel allzu verkürzt umschrieben. Das Ein- 
binden der Einzelfigur in einen bildhaften Kom- 
positianszusammenhang, der sich aufgrund der 
optischen Wirkung für die Schreinfiguren des 
Abtenauer Altares (Kot-Nr. 283-285] einstellt, 
der materiell für die ursprünglich höchstwahr- 
scheinlich durch einen Reliefgrund verbundenen 
Kreuzigungsfiguren aus Hallein, die von einer 
landschaftlichen Darstellung hinterfangen gewe- 
sen sein dürften, zutrifft, reduziert zwar ihre 
reale körperliche Präsenz im gleichen Maße, in 
dem ihre Bildhaftigkeit sich ausweitet, zugleich 
aber scheinen darin sich auswirkende ästhetisie- 
rende Tendenzen selbst in einem neuen Sinn be- 
deutsam geworden zu sein. Das Ästhetische wird 
aus seiner angestammten Aufgabe der Erkennt- 
nisvermittlung nicht entlassen, es wird nicht frei- 
gesetzt, um seitdem als reiner Kunstwert für sich 
zu stehen, sondern das ästhetische Argument 
selbst scheint nunmehr ein Stück authentischer 
Überzeugung geworden zu sein. Je geringer der 
Symbolcharakter des Bildes wurde, desto mehr 
galt seine Schönheitfür wahr. Diese Profanierung 
sakraler Kunst verpflichtete sie zur allerhöchsten 
Prachtentfaltung; die profane Darstellung, bei- 
spielsweise anatomischer Realien in der Glieder- 
puppe (Kot-Nr. 346-350, Abb. 9), durfte umge- 
kehrt teilhaben an der traditionellen Sakralität 
der Altarskulptur. Verstärkt konnten Kunstwerke 
seitdemin ExempelnunterschiedlicherThematikdie 
ldee der Schönheit verweltlichen und als Samm- 
lerstücke in Kunstkammern höchste wissenschaft- 
liche und künstlerische Anerkennung genießen. 
V1 Anschrift des Autors: 
Dr. Herbert Beck 
Leiter des Liebieghauses 
Schaumainkai 71 
D-6000 Frankfurt a. M.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.