Jahrgängen der „Jugend", so finden sich viele
Beispiele kitschiger graphischer Arbeiten und
Bildbeigaben. Etliche Erzählungen und Gedichte
rühren im Seelenbrei, sindschwül und schwülstig
- ganz wie man will. Es gibt auch zahlreiche un-
ausgegorene weltanschauliche Kuriosa und lä-
cherliche pseudophilosoohische Ergüsse. Ferner
lößt sich nicht bestreiten, daß geradezu mit
Wohlbehagen der Sex unverhüllt angeboten
wird. Dem allem stehen aber zahllose gute lite-
rarische Beiträge und vor allem blendende
graphische Leistungen gegenüber, die keines-
wegs nur dem Jugendstil zugeordnet werden
können. Gerade hier liegt ia ein gravierender
Fehler: Die „Jugend" war eben nicht die „Ahn-
frau" des Jugendstils, sie war viel mehr und ganz
etwas anderes. Einerseits stellt sie ein überzeu-
gendes Beispiel für interessanten und zeitgemä-
ßen Journalismus dar, für ein Massenblatt (Auf-
lagenhöhe T904: 54.000) mit ernst zu nehmenden
künstlerischem Niveau und herausragender Aus-
stattung und Gestaltung. Andererseits war sie
offensichtlich eine Art Sammelbecken und mel-
ting pot für ienen total verfilzten Stilaluralismus
um 1900. Unter diesem Asaekt ist wohl auch
Hirths Äußerung zu verstehen: „Der Jugendstil
unterscheidet sich von allem Früheren dadurch,
daß er eigentlich gar kein Stil im starren Sinn
des Wortes ist, sondern vielmehr das Prinzip der
Befreiung und die alleinige Herrschaft der
Zweckmäßigkeit und des künstlerischen Empfin-
dens bedeutet."
Hier ist nicht der Ort, den historischen, sozial-
politischen, kunst- und kulturgeschichtlichen Hin-
tergrund der Jahre von 1890 bis 1910 auszuleuch-
ten. Auch auf den Zeitgeist und das Lebensge-
fühl (R. Wagner und Nietzsche, Wiederentdek-
kung von Metaphysik und Religion, Naturemp-
finden und Freikörperkultur, die Konfrontation
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32
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München u!
Nr. 45
mit dem Unterbewußten, die Dekadenz und
Aufräumen mit sexuellen Tabus) kann nicht
gegangen werden. Nur auf ein Faktum sei
gewiesen. Mit den raaiden Fortschritten in
Drucktechnik war, ausgehend von Großbri
nien, eine Umwälzung der Reproduktionsr
Fchkeften eingetreten. Buchschmuck, Text
Kunstdruck, luxuriöse Ausstattung, höchste Q
tät kamen dem Wunsch nach dem Gesamtki
werk entgegen. Von der Schrifttype bis
Buchumschlag, alles diente der Tendenz,
literarischen Text in der Illustration einzube
ihn von Vignette und Zierleiste umranken
von der dekorativen Linie absorbieren zu la
Der spätere industrielle Jugendstil ist ein 1
anderes Kapitel. Er darf seinen aewinntröcht
Namen mit Sicherheit nicht von der „Jug.
ableiten.
lm ersten Heft der „Jugend" findet sich ein
Seiten langer Artikel (von Hirth und Ostini
schrieben), der sich ausführlich mit dem t
Jugend und den Absichten, Zielen und den
hall der Zeitschrift auseinandersetzt. „Jui
ist Daseinsfreude, Genußfähigkeit, Hoffnung
Liebe, Glaube an die Menschen - Jugend is
ben, Jugend ist Farbe, ist Form und Licl
Jugend, Jugend! Ein besseres Bannwort hi
wir für unser Wagniss nicht finden können!
um sehen wir dem Werdenderi mit froher I
nung entgegen. Ganz schlecht kann es nicht
fallen, unser Zeichen ist viel zu gut!" (S. 4-
Die „Jugend" vertrat also das Jugendliche
Lebensvolle in all seiner Vielfalt, Freiheit
sinnlichen Frische. Sie lehnte das Gestrige,
stockte und Verwelkte, Verlogene und Etab"
ab. Sie bekämpfte Klerikale, Aristokraten
Kommunisten, besonders aber den Militari:
Sie förderte die Satire politisch-sozialer Prö
und versuchte, ihrer patriotischen Grundten
JFUENI) - 1'499
Leipzig.
Drei Vorreden
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