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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 150)

acht zu bleiben. In seiner Vorrede zum 3. Jahr- 
g schrieb Hirth: „Unsere Zeit ist nidit alt, 
t müdel Wir leben nicht unter den letzten 
nzügen einer ersterbenden Epoche, wir ste- 
am Morgen einer kerngesunden Zeit, es ist 
i Lust zu leben!" 
niedrige Preis (30 Pfennig) sicherte der 
iend" zwar ein breites und zahlenmäßig 
kes Publikum, man las sie beim Friseur und 
Kaffeehaus, schließlich war sie sogar im 
tzirkel zu haben, dennoch kam für Hirth erst 
he Jahre nach der Jahrhundertwende ein 
nzieller Erfolg. Noch 1898 hatte er seine 
volle Porzellansammlung versteigern lassen, 
den Fortbestand seiner Zeitung zu gewähr- 
en. Aber die „Jugend" setzte sich durch. Sie 
populär, bot Unterhaltung, sie galt als 
stzeitschrift; der Fachmann las sie ebenso wie 
Durchschnittsleser. Sie hatte es fertigge- 
zht, nachhaltiges Aufsehen zu erregen. Aller- 
wurde über sie gesprochen; und sie wurde 
I besprochen". Neben Hirth und dem lei- 
en Redakteur Fritz Freiherr von Ostini soll- 
woch Siegfried Sinzheimer (er übernahm 1911 
Posten Ostinis), der Schriftleiter Albert 
thäi, Franz Langheinrich (verantwortlich für 
Sildouswahl) und Karl Ettlinger genannt wer- 
denn sie alle prägten wesentlich Bild und 
:au ihrer Zeitung. 
nach 1900 änderte sich die Jugendstil- 
phik in der „Jugend". Das ins Ornamentale 
ierte und relativ gegenständliche Motiv aus 
Natur (Pflanzen, Tiere) machte einer mehr 
' weniger abstrakten Richtung Platz. Aber es 
gerade die floralen Formen gewesen, die 
die „Jugend" typisch sind. Sie hatten ihre 
zeln in einer aus Realismus und Historismus, 
iralismus und Impressionismus, Neuroman- 
md Heimotkunst herrührenden Auffassung. 
lünchen war der Jugendstil deftig und kräf- 
vital und übermütig, manchmal banal auf- 
glich. Die Neuerungs- und Reformbestrebun- 
dominierten hier mit ihrer Vorliebe für das 
le und Schöne, in die Zukunft Weisende. Im 
ensatz dazu Wien und die anderen europäi- 
n Jugendstilmetropolen, wo man sidw mehr 
Mystizismus, dem Symbalismus und der 
ldenz verbunden fühlte. Jugend bedeutete in 
chen Sonne und Frühling; man war lebens- 
und naturverbunden. Georg Hirth erkannte 
Gefahr, die in der Kurzlebigkeit jener weni- 
Jugendstiliahre lag, sehr rasch. „lch habe 
lange Zeit dagegen gesträubt, daß man 
e Zeitschrift, die nach ihrer ganzen Tendenz 
erationen überdauern soll, zur Lebensge- 
'in eines vergänglichen Stils mache - doch 
ebens""'. Auch Ostini wehrte sich gegen die 
:hstellung von Zeitung und Stil (: modischer 
d). „Ganz besonderen Einfluß gewann die 
znd' auf den neuen dekorativen Stil, der sich 
hzeitig mit ihr entfaltete, aber nicht aus ihr 
chs, wie der vielfach genannte Name 
:ndstil' vermuten lassen möchte. Dieser Stil 
ald ausgeartet, nicht zuletzt durch die miß- 
ändliche Anwendung der Elemente neuen 
schmuckes auf alle erdenklichen Zweige der 
Lunst". Besonders Schwan und Pfau wer- 
als symbolträchtige Tiere des Jugendsfils 
sehen. Bei den Pflanzen bevorzugte man die 
ertlilie, das von Wind und Wellen bewegte 
f, die Seerose und rankende Lianen. Der 
ung, vom Wellenschlag oder verschlunge- 
Haar bis zum sogenannten Peitschenhieb, 
iarakteristisch für die Gestaltung fast aller 
tauchsgegenstände (Besteck, Gläser, Vasen, 
lUCk, Tapeten, Wandteppiche). Alles war 
äs, subtil, glänzend. Innenarchitektur und 
t die Kleidung (Reformkleid) wurden ebenso 
Jugendstil zum Gesamtkunstwerk umfunk- 
tioniert wie die Architektur, Parkgestaltung und 
sogar die Stadtplanung. Die allgemeine Zu- 
kunftsgläubigkeit steigerte noch die Reformfreu- 
digkeit, die sich von der Jugenderziehung (Wan- 
dervogel) über die Nackt- und Freikörperbewe- 
gung (Sonnenkinder; Fidus) bis hin zum „sozio- 
len Wohnungsbau" (Muthesius, Loos) erstreckte. 
Der englische Einfluß auf den Jugendstil Münch- 
ner Prägung ist unverkennbar: William Morris, 
die Pröraffae-liten und besonders Aubrey Beards- 
ley, der Wildes (Werke illustriert hatte und den 
man in der „Jugend" ungeniert und meist sehr 
grob kopierte. Toulouse-Lautrec und Cheret be- 
einflußten vornehmlich in bezug auf die Titel- 
blattgestaltung die „Jugend". - Zu nennen sind 
auch Henry van de Velde, Max Klinger und vor 
allem Otto Eckmann mit seiner das Florale be- 
tonenden Graphik. Eckmonns Einfluß auf den 
Jugendstil ist gar nicht laut genug zu betonen: 
Kunstgewerbe, Buchschmuck, Vignetten, Zierlei- 
sten, künstlerische Schriften und die Eckmann- 
Type, eine mit dem Pinsel gezeichnete Fraktur. - 
10 
11 
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13 
14 
 
J. R. Witzel, Vignette zu 
ciale Betrachtung von  v. 
„Jugend", Nr. 2B, 1897, S. 476 
Jan Toorop, „Cofe Chantant", Vignette zu „See- 
Ienfäden". Psychopolychromes Fragment aus 
dem Torso , Ich!" von Ernst Schnurr. „Jugend", 
Nr. a, 1898, s. 119 
Fritz Erler, Titelblatt für die „Jugend", Nr. 1 
und 2, 1896 
Bruno Paul, Vignette zu „Drei Vorreden". Histo- 
rische Dokumente, zusammengestellt von Chri- 
stian Morgenstern. „Jugend" Nr. 48, 1896, S. 778 
J. R. Witzel, Vignette zu „Das verlorene Ge- 
wissen" von M, J. Ssaltykow-Schtschedrin. „Ju- 
gend", Nr. 5, 1898, S. 78 
,Gleichheit". Eine so- 
Kapff-Essenther. 
Anmerkungen 15,16 
15 hslglblgfierlu: L. Koreska-Hartmann, Jugendstil, G. G. Q0 
.4 . 
1' A. Vaigt-Meiner, 
In: Zeitschrift für Budt 
riadl: L. 
Geor Hirth, ein doutsdier Verle er. 
arunde, Jg. 2, Leigazig 1975. äit. 
Koreska-Hartmann, a. o. 0., S. 
Die „Jugend" bemühte sich redlich um Überein- 
stimmung von künstlerischem und literarischem 
Inhalt, was besonders dann mißlang, wenn die 
Epigonen aus der zweiten Reihe die Zierleisten 
wuchern ließen. Neben den Illustratoren Paul, 
Diez, Erler, Pankok, Jank, Eckmann, Wilke, Mün- 
zer und Schidhammer lieferten Karl Arnold und 
Heinrich Zille sozialkritische Beiträge; Lovis 
Corinth und Max Slevogt steuerten erste Arbei- 
ten bei. - Ornamentale und illustrative Elemente 
sind in den einzelnen Heften der ersten Jahr- 
gänge immer wieder vermengt worden. Auch 
mußten irgendwie Gemälde und Zeichnungen 
von Böcklin, Courbet, Defregger, Kaulbach, Klin- 
ger, Lenbach, Liebermann, Monet, Millet, Renoir 
und Stuck untergebracht werden. 
Das Ornamentale in der „Jugend" wurde haupt- 
sächlich von Eckmann, Hans Christiansen, C. E. 
Dodge, Paul Haustein, Margarethe van Brau- 
chitsch, Erich und Gertrud Kleinhempel, Peter 
Behrens und Hegenbarth vertreten. Julius Diez, 
Walter Caspari, Carl Strathmonn, Bernhard Pan- 
kok (er schuf auch den Buchschmuck für den 
Ausstellungskatalog des Deutschen Reichs bei der 
Pariser Weltausstellung von 1900), Robert Engels, 
Arpad Schmidhammer, Fidus (: Hugo Höppe- 
ner), Bruno Paul, Rudolf Wilke, Josef Rudolf Wit- 
zel, Corinth, Felix Vallottan, Henri Jossot, Wil- 
liam Bradley, Jan Toroop versuchten, Illustratives 
mit Ornamentalem zu verbinden. Der Illustration, 
also dem malerischen Jugendstil, werden u. a. 
die „Scholle"-Mitglieder (Eichler, Feldbauer, 
Georgi, Münzer, Püttner, Putz, vor allem aber 
Angela Jank und Fritz Erler) und Albert Weis- 
gerber zugerechnet. Sozialkritisch illustrierten 
Theophile Steinlen, Käthe Kollwitz und Giovanni 
Segantini. Auch Ferdinand Hoder war wieder- 
holt mit Beiträgen in der „Jugend" vertreten. 
In der Literatur dominierten eindeutig die Klein- 
formen: Anekdote, Humareske, Groteske, Skizze, 
Parodie, Epigramm, Essay, Feuilleton, Märchen, 
Erzählung, Novellette, Gedicht und Aphorismus. 
Erwähnt seien der Zweitdruck (1899) von Hof- 
mannsthols „Der Tor und der Tod", Hartlebens 
Einakter „Abschied vom Regiment", G. Haupt- 
manns „Die Wiedertäufer" und Wedekinds „Der 
Stein der Weisen". Wiederholt vertreten waren 
auch Johannes Schlaf, Rilke, Peter Altenberg, 
Paul von Schönthan, Roda Roda, Paul Lindau, 
Edgar Steiger, Otto Ernst, Elisabeth Meyer-För- 
ster, Clora Viebig, Marie von Ebner-Eschenbach, 
Ludwig Ganghofer, Peter Rosegger, Ludwig 
Thoma, Anton von Perfall, Guy de Maupassont, 
Anatole France, Anton Tschechow, Maxim Gorki, 
Knut Homsun, August Strindberg, Selma Lager- 
löf, Edgar A. Poe, Charles Baudelaire, Anna 
Croissant-Rust, Paul Ernst, Hermann Hesse, Ste- 
phane Mallarme, Otto Ernst, Ernst Gystrow, 
Arnold Böcklin, Paul Heyse, Richard Dehmel, 
Paul Scheerbart, Natalie Bruck-Auffenberg (und 
Houston Steward Chamberlain). - Seine viel- 
seitigen An- und Absichten hat Georg Hirth in 
den „Leitartikeln" für die „Jugend" immer wie- 
der angeboten („Der neue Stil", „Das Erotische 
in der Kunst", „Volkskunst?", „Kaiserlich Deut- 
sche Republik", „Nietzscheana", „Äußere und 
innere Freiheit", „Deutsche Frauenfrage", „Zen- 
surgestank" usw.) 
Ein „Leben in Schönheit" und die „Schönheit des 
Lebens schlechthin": Zauber, Ärgernis und Rätsel 
des Jugendstils (Dolf Sternberger). In seinem 
„Testament" schrieb Auguste Rodin: „Der Künst- 
ler gibt ein großes Beispiel. Er betet sein Hand- 
werk an." 
Anschritt des Autors: 
Dr. Gerd-Dieter Stein 
Assistent am Institut für deutsche Sprache und 
Literatur der Universität Salzburg 
A-SOZO Salzburg, Schleinlockenstraße 26 
33
	        
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