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Renate Schostack
Auf der Suche nach dem
yerlorenen Paradies. -Zur
Asthetik englischer Gärten
Die Engländer haben weder die Rornanik noch
die Gotik noch den Klassizismus erfunden, sie
haben diese Baustile, wie die Kathedralen und
Schlösser, die Bürgerhöuser und Stadtanlagen
zeigen, verändert, ihrem Geschmack anverwan-
delt. Diese „Englishness" der englischen Kunst,
wie es der bedeutende Registratar der engli-
schen Baudenkmäler, Nikolaus Pevsnerl genannt
hat, ist von hohem Reiz, sie macht iedoch deut-
lich, daß sich die visuelle Ausdruckskraft der Eng-
Iönder bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mit
Adaptionen europäischer Architekturerfindungen
begnügte.
Wie kommt es nun, daß in der Mitte des 18.
Jahrhunderts der eigene, spezifisch englische
Beitrag zur Kunst der Welt plötzlich da ist:
der englische Garten? Die Engländer haben die
Gartenkunst nicht erfunden, sie haben sie aber
zur höchsten Vollendung gebracht. Auch in
England wurden die ersten Gärten von den
Römern eingeführt, die ihre Villen damit um-
gaben. Die Angelsachsen des Mittelalters hat-
ten Wein- und Obstgärten, die Kräutergörtlein
der Klöster dienten medizinischen und kulina-
rischen Zwecken. Von Gartenkunst kann man
iedoch erst seit der Renaissance sprechen.
Das beste überlebende Beispiel ist der im fran-
zösischen Stil angelegte Garten von Schloß
Hampton Court außerhalb von London. Aus
zeitgenössischen Berichten geht hervor, daß er
ein Wald von Pyramiden, Brunnen, Stein- und
Metallfiguren war, ein Park, in dem sich das
prunkvolle Schloßinterieur nach draußen fort-
setzte. Die Gartenstile wechselten in England
mit den Herrscherdynastien. Auf den Tudarstil
von Hampton Court folgt der italienisierende
Stuortstil, der am besten im Garten von Bicton
in Devon überliefert wird. Mit Wilhelm von
Oranien macht sich der holländische Einfluß
bemerkbar.
Die Frage, ob Gärten Kunstwerke oder bloß
angewandte Kunst, also Kunsthandwerk seien,
wurde von Gartentheoretikern und -historikern
seit dem 18. Jahrhundert immer wieder disku-
tiert. Der große Gartenkünstler Humphrey Repton
erklärte in seinen „Fragmenten über die Theorie
und Praxis des Landschaftsgartens" den Garten -
im Unterschied zur umgebenden Landschaft -
zum Kunstwerk. „Zur ersten", schrieb er, „ge-
hören Wiesen, Wälder, Wasser und Aussicht;
diese können durch Nachahmung der Natur
verbessert werden, aber Gärten sind ein
Werk der Kunstf". Ähnlich Horace Walpole in
seinem Essay „Über die moderne Gartenkunst",
in dem Ideen Winckelmanns wie zum Beispiel
der Begriff der edlen Einfalt auf die Landschafts-
görtnerei übertragen werden".
Schiller schrieb dagegen in einer Rezension des
„Gartenkalenders auf das Jahr 1795", es sei
schwer, „der ästhetischen Gartenkunst ihren Platz
unter den schönen Künsten anzuweisenf" Er
sieht ihre Affinität zur Architektur (nicht Malerei
wie die Engländer) und Poesie, vertritt ober
die Ansicht, sie dürfe sich nicht in die hohen
Sphären der Kunst versteigert. ln einer Charak-
terisierung des Hahenheimer Landschaftsgartens,
der auf englische Vorbilder zurückging, kommt
er seinem literarischen ldyllenbegriff nahe, wenn
er ihn als „eine mit Geist beseelte und durch
Kunst exaltierte Natur" bezeichnets.
Schillers Vorstellung von einer verbesserten Na-
tur war Allgemeingut des idealistischen Denkens,
wie es var allem der englische Neoplataniker
Shaftesbury formuliert hatte. Sein Ideal, eine
die göttliche Ordnung widerstrahlende Natur,
welche die Künstler nachzuahmen hätten, er-
innert in den Beschreibungen der „Characte-
ristics" dann freilich oft fatal an die drama-
tisierten präromantischen Landschaftskompositio-
nen eines Salvator Rosa und seiner weniger
begabten Nachahmer. Da wird dem von Regeln
beherrschten französischen Gartenideal „der
Fürsten", wie oft hinzugefügt wird, die „freie"
Natur entgegengehalten mit ihren „rauhen Fel-
sen, moosigen Höhlen, regellosen, natürlichen
Grotten und in Stufen abfallenden Wasserfäl-
1 Die berühmteste Gartenansicht Englands: Das
Fantheon und die Brücke im Stil des Palladio
im Garten von Stourhead. Die Bepflanzung der
Ufer mit Rhodadendren, von „Gartenpuristen"
beklagt, stammt aus dem 19. Jahrhundert, eben-
so die exotischen Bäume
2 Hidcote Manor Gardens, Gloucestershire. Be-
rühmt sind die beschnittenen Hecken der klas-
sischen Partien des Gartens aus Eibe, Stechlaub
und vor allem Rotbuche
Anmerkungen 1-8
l Nikolaus Pevsner: The English Art,
London 1'756.
1 Humphrey Repton: Fragments on the Theory and Practise
of Landscape Gardenin , including some remarks an
Grecian and Gothic Ar: itecture, collected fram variaus
Manuscripts..., the whole tending to establish fixed
Principles in the respectice Arts", London 17'744; zit, nach
der Ausgabe von 1816, p. 65.
"Bezeichnenderweise heißt es beim aristokratischen Welt-
mann Walpale im Gegensatz zum bürgerlichen ldealisten
Winckelmann „elegant sim licity" (Essay an Modern Gar-
dening, London 1771, p. B1 .
' Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, München a. J., Wink-
ler-Verlug, Bd. V, p. 709.
5A. a. O., p. 713.
tAnthony Earl of Shaftesbury, Characteristics, uazaan,
au. II. 11.39:.
7A. a. 0., p. 57.
'Zit. nach Edward Hyams: The English Garden, London
1966, P. 59.
Englishness of
len", die die „schreckliche Herrlichkeit der Wild-
nis" besäßeni
Shaftesburys Theorien wurden von William Kent,
dem Schöpfer des englischen Landschaftsgartens
und Erfinder der drei goldenen Regeln dieser
Parks (gewundene Linien, überraschende Aus-
blicke, Einbeziehung der umgebenden Landschaft
mittels unsichtbarer, grabenähnlicher Begrenzun-
gen), in die Tat umgesetzt, und zwar mit allen
bei Shaftesbury vorgezeichneten Übertreibungen,
wie etwa dem Anpflanzen obgestorbener und
dadurch „pittoresker" Bäume. Die Zeitgenossen
sahen darin jedoch den großen „Kunstmaler".
Hier wurde die tödliche französische Geometrie
aufgehoben, symmetrische Wasserflächen durch
Seen von unregelmäßiger Form ersetzt, statt
gerader Wege wurden gewundene Pfade ange-
legt, Garten und Umgebung sollten eine Einheit
bilden, deren Vorbild die idealisierte Landschaft
der römischen Campagna war. „Kent", schrieb
Walpole in dem zitierten Essay, „übersprang
den Zaun und sah, daß die ganze Natur ein
Garten war... Die großen Prinzipien, nach
denen er arbeitete, waren Perspektive, Licht und
Schatten... Damit verwirklichte er die Kompo-
sitionen der größten Meister der Malerei'."
Tatsächlich verbindet Kent die visuelle Sensibili-
tät des Künstlers - er war Maler - mit den
Vorstellungen der Philosophie und Literatur.
Denn der englische Garten war längst vor seiner
Verwirklichung von Literaten und Philosophen
in ästhetischen Überlegungen vorweggenommen,
und er war von Anfang an mit der ldee der
Wiederherstellung des Paradieses in Zusammen-
hang gebracht worden.
Der Garten-Essay des elisabethanischen Philo-
sophen Francis Bacon von 1597 beginnt mit
dem Satz: „Gott der Allmächtige pflanzte als
erster einen Garten, und dies zu tun, ist in der
Tat eines der reinsten Vergnügen des Menschen."
Bacon verteidigte allerdings, wenn er auch vor
gewissen Übertreibungen warnte, den zeitge-
nössischen Gartenstil der Renaissance. Gegen
diese geometrischen, durch Gartenarchitekturen
und beschnittenes Baum- und Buschwerk charak-
terisierten Gärten schrieben Schriftsteller wie
Alexander Pope, Addison und Steele ihre
Attacken. Die englischen Aufklärer verkündeten
iedoch kein bloßes „Retour a la nature", san-
dern eine praktische Verbesserung der Natur.
Ästhetische Theorien der Malerei und Dichtung
wurden dabei mitberücksichtigt, wie etwa ein
Traktat des ltalieners Bellori „Eine Parallele
von Poesie und Malerei", die von dem Dichter
Dryden ins Englische übersetzt wurde. Darin
heißt es, es gehe darum, „den göttlichen
Schöpfer nachzuahmen, sich ein Modell der
höheren Schönheit anzueignen, die gemeine Na-
tur zu verbessern und zu verschönern und so
darzustellen, wie sie zuerst geschaffen worden
war." Am nachhaltigsten wirkte sich ein Werk
der Literatur aus, nämlich Miltons „Verlorenes
Paradies" (1667). Dieses letzte große europäische
Epos, dessen Wirkung bis hin zur Vossschen
Homer-Übertragung und den Gartenschilderun-
gen in Goethes „Hermann und Dorathea" reich-
te, nahm hundert Jahre vor seiner Verwirklichung
den englischen Landschaftsgarten vorweg. Milton
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