zu Falten zusammenschiebt, spannt sich in Seeon
durch das Nach-unten-Blickendie Haut über der
Nasenwurzet, und es entstehen M-förmige Stege
zwischen den Augenbrauen. Der Mantel ist über
den Kopf geschlagen. Beide Male legt er sich
geschmeidig um den Schädel und rahmt ihn ein,
der Rand biegt sich oben um,und die linke Hand
schiebt sich aus dem um den Unterarm ge-
schlungenen Stoff. Die Augen haben in Prag
nicht die kreisrund umrandeten Pupillen. Diese
Augenfarm ist die Eigenart des Meisters des
Aribo-Steines.
Eine ungewöhnliche Bartbehandlung fällt bei
dem mittleren linken Propheten auf. Keine sich
einrollenden Locken, sondern schuppenartig
übereinanderliegende Strähnen ziehen sich um
Backen und Kinn. Der rechte mittlere Prophet ist
bartlos. Der jugendliche Typ zeichnet sich durch
markant ausgeprägte Kinnbacken aus.
Ähnlich wie auf dem Rahmen der Madonna
Aracoeli der Prophet links unten seinen Kopf
weit in den Nacken wirft um hochzublicken, hat
der in Seeon sich links unten befindende Prophet
seinen Körper gedreht. Die langen, abstehen-
den Haarsträhnen mit ihren Einrollungen am
Ende finden sich in ähnlicher. Weise bei dem
König Kaspar auf einer um 1385 entstandenen
Wandmalerei in der Minoritenkirche zu Bruck
a. d. Mur, dessen künstlerische Herkunft die böh-
mische Malerei am Hofe Karls lV. ist". Der
schräg gestellte Kopf, der wie ausgeleiert auf
dem Rumpf sitzt - ein Moment, das man für eine
Erfindung des Bildhauers zur Gestaltung der
rechten unteren Ecke halten möchte - findet sich
auch in der böhmischen Kunst. Der dritte Heilige
der oberen Reihe des sog. Panel of Dubecek,
eines tschechischen Meisters um 1400 in der Pra-
ger Nationalgalerie, weist die gleiche, hier selt-
sam unmotivierte Kopfhaltung auf".
Es wäre vorstellbar, daß dem Meister der Aribo-
Platte ein Musterbuch zur Verfügung stand, das
es ihm ermöglichte, die Verschiedenheit der
Physiognomien und der Haar- und Barttrachten
auszuführen. Das einzige Musterbuch dieser Zeit,
das sich erhalten hat - es wird im Wiener Kunst-
historischen Museum" aufbewahrt -, beweist,
wie viele Vorzeichnungen zur Auswahl gestan-
den haben könnten. Die kleinen, scharf blicken-
den Augen des Propheten auf dem Aribo-Stein
rechts unten sind vergleichbar den Augen auf
einem Täfelchen des Wiener Musterbuches".
Die schneckenförmig sich einrollenden Locken
kann man ebenfalls mit einer Zeichnung in Ver-
bindung bringen. Die böhmische Federzeichnung
eines Johanneshauptes aus dem ersten Jahrzehnt
des 15. Jahrhunderts in der Bayerischen Staats-
bibliothek München" läßt die gleiche plastische
Gestaltung der schneckenförmigen Locken erken-
nen. Mit Recht wurde vermutet, daß diese Art
der das Gesicht einfassenden Lockenpracht auf
Modellbücher zurückgeht, die landschaftlich nicht
gebunden waren. Wenn die Münchner Johannis-
hauptzeichnung tatsächlich um 1410 in Salzburg
entstanden ist, wird im Zusammenhang mit den
Propheten des Aribo-Steines das Vermittelnde der
Kunst Salzburgs erneut bestätigt. Bekanntlich ist
ia die Sepulkralplastik des Salzburger Domes,
der man die Vermittlerrolle der Parlerschen
Grabplastik des Prager Veitsdomes zuschreibt",
beinahe völlig zugrunde gegangen.
Einen „Beweis für die initialen Kräfte, die Böh-
men vor 1400 weithin ausgestrahlt" hat, sieht
Theodor Müller in einer hölzernen Christopho-
rusfigur aus der Zeit um 1400 des M. H. de Young
Memorial Museums in San Francisco (California).
Am vergleichbarsten erscheinen ihm die „ebenso
wildbewegten Figuratiorien der Salzburger Rot-
mormorgrabsteine des Hans Heider"? An den
Prophetenfiguren des Aribo-Steines wird iene
18
„Verbindung linearer Signaturen mit einer gera-
dezu barock anmutenden Aufwollung weicher
Modellierungen" deutlich, die ein „individuelles
Merkmal der Auswirkungen der Junker von
Prag' auf andere Kunst" ist". Daß der Meister
der Aribo-Tumba in direkter Nachfolge der Parler
steht, erfährt mit den Prophetenfiguren die noch-
holtigste Bestätigung.
Das Seeoner Aribo-Grabmal ist die einzige er-
haltene Rotmarmortumba, deren vier Seiten-
wände mit Wappen geschmückt sind. Die Wände
sind in Arkadennischen gegliedert. In ihnen be-
finden sich die Wappen und an der Längsseite
die Figur des Abtes Simon Farcher. Eine Verbin-
dung zu den Prager Tumben, bei denen die Wap-
pen monumental auf den Ieeren Wänden befe-
stigt sind, besteht nicht. Als Wappenhalter fun-
gieren in Seeon acht Engel. Die Vorliebe des
Meisters für das Physiognomische tritt auch hier
zutage. So wie er bei den SECltS Propheten sechs
verschiedene Typen dargestellt hat, so weist auch
ieder Engel ein anderes Mienenspiel auf. Beson-
ders bemerkenswert ist der Engel neben dem
Pfälzer Wappen, der mit weit geöffnetem Mund
10 Ehem. Klosterkirche Seeon. Grabmal des Pfalz-
grafen Aribo. Engelskopf
Anmerkun en 19-34
"Ulrich O erbauer, Die Kreuzigung von Utsch. Zur Ein-
ordnung eines gotischen Wandgemäldes. In: Jahrbuch des
Kunsthistorischen Institutes der Universität Graz 2 (1966!
67), Abb. 7.
1' Uineni XXIV, 5 (1976),'S. 439, Abb. 4.
"Julius von Sdilosser, Vademecum eines fahrenden Ge-
sellen. Zur Kenntnis der künstlerischen Überlieferung im
späten Mittelalter. In: Jahrbuch der Kunsthistorisctien
Sammlungen des Allerhöctisten Kaiserhauses. 1902. S.
314 ff. - R. W. Scheller, A Survey of Medieval Model
Baoks, Haarlem 1963. S. 125.
11 Zoroslava Drübttä, Die gotische Zeichnung in Böhmen.
Prag 1956. Abb. 72 rechts unten.
"Leonie von Wildrens, Sallburger Budimalerei um 1400.
In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums. Nürn-
berg 1974. S. 34.
7' gheagdor Müller, Alte Bayrische Bildhauer. München 1950.
"Theodor Müller, Eine Christophorusfi ur um 1400 und
ihre Beziehungen zu Böhmen. In: S ornlk Narodniha
Muzea v Praze. 167, Nr. 415. S, 277, Tat. XX.
1' Ebenda, S. 276.
"Herbert Weiermann, Heimatbuch des Landkreises Traun-
äteiähllß, Kunstgesdiiditlidie Denkmäler. Trastberg 1970.
1' Thieme-Becker, Bd. 73, S. 2M, „Hans Heider".
"Joachim Sighart, Geschichte der bildenden Künste im
Königreich Bayern. München 1863. S. 498,
"Thieme-Becker, Bd. 23, s. zu, „Hans Heider".
"Berthold Riehl, Bayerns Donautal. München u.
1912, s. 1:12.
H Halm, Studien, S. e.
"Wilhelm Finder, Die Kunst der ersten Bürgerxeit. Leipzig
1937. S. 188.
"gheytälar Müller, Zur monumentalen Salzburger Plastik,
Leipzig
lacht. Man kann H. Weiermanns Ansicht
die Wände der Tumba nicht vom gleicher
ster wie die Deckenplatte stammen, in:
zustimmen, als die Abtsfigur „mit der drr
schen Vartragsweise des Aribo"" nichts g
hat. Die Lebhaftigkeit der Engelsköpfe ents
aber durchaus der Gestaltungsweise des
sters der Deckplatte. Man vergleiche aur
Form von Stirn, Haaransatz, Augen und
mit dem Engel an der oberen Schmalseit
Deckplatte.
Eine Lokalisierung der Werkstatt des Aribo-
malmeisters ist bis heute nicht möglich. l
sich allgemein die Meinung durchgesetzt",
burg sei das Zentrum der Grabmalplasti
nicht der Chiemgau, wo sich ein Großte
Grabplatten erhalten hat. Für Seeon ist dlt
bindung zu Salzburg gegeben.
Seit der Name Hans Heider für den Meist:
Aribo-Tumba 1863 von J. Sighart" eing
wurde, wurde er immer wieder übernomme
wohl er heute urkundlich nicht mehr bel
ist. Solange die Existenz eines Bildhauers
Heider nicht widerlegt ist, soll der Name I
halten werden. In Süddeutschland gab e
Namen Heider, Hayden, Holder, Holde
15. Jahrhundert häufig. Träger dieser N
waren Bildhauer und Bildschnitzer". Mögl
weise handelte es sich um eine weitverzv
Bildhauerfamilie. B. Riehl", Ph. Halm", Vlt
der" und Th. Müller" haben mit dem N
den Bildhauer der Aribo-Tumba verbunde
Sicherheit kann man noch von einigen an
Rotmarmorgrabsteinen feststellen, daß sii
der Werkstatt Heiders stammen. Es sind
Simon Farcher (gest. 1412), Seeon, Pfarrl-
Erasmus Laiming (gest. 1416), Seeon, Kreuz
Oswald Törringer (gest. 1418), Baumburg,
stei der Klosterkirche, Thomas Trenbeck,
tiert, Haslach, Turmhalle der Pfarrkirche.
diese Steine sind mit dem Aribo-Stein dufcl
stische Merkmale verwandt.
Heider verband eine streng l'neare Stilisi
der Binnenform mit einer minutiösen Behan
der Details. Er bevorzugte die Wirkung de
zelheiten und vermehrte das ikanogropl
Programm. Ebenso legte er bei der Konze
des plastischen Volumens weniger Wert au
ganzen Körper als auf seine Einzelteile.
aus „Körpermasse" bestehen seine Gest
sondern aus „Körpergliedern". Unterschnc
gen, verschattende Aushöhlungen und ei
verstreute Glanzlichter zeichnen seine V
aus. Eine Besonderheit, ia geradezu eint
Handschrift Heiders, ist die Augenbeham
Die Pupillen der Löwen und Adler sind mit
leuchtend roten Glasmasse gefüllt.
Das Charakteristikum Heiderscher Werke, '
tionelles zu übernehmen und mit Detailw
gen zu bereichern, hat zu unterschiedliche
urteilungen seiner Stellung im Ablauf de:
schichte der Sepulkralplastik geführt. l'll
Kunst hat ihre Voraussetzung in der Plasti
Parler. Den Ort, aus dem er kam, kenne
ebensowenig wie die Orte, die vermittelni
wirkt haben - Salzburg ausgenommen.
Fähigkeit aber, das Überkommene in vollen
Weise dem Auftrag „Sepulkralplastik" nu
zu machen und dabei den rot-weiß gesche
Werkstein oft bis an die Grenze des noch
lichen einzusetzen, haben seine Werke zum
gangspunkt der Salzburger Rotmarmorp
des frühen 15. Jahrhunderts werden lassen.
U Anschrift des Autors.-
Dr. Vincent Mayr
Bayerisches Landesamt für
Denkmalpflege
Pfisterstraße 1
D-8000 München 22