MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 153)

IV (Abb. 3a) 
In der Folge sollen einige wesentliche Unter- 
schiede dieser Werke aufgezählt werden. Ihnen 
ist vieles gemeinsam, doch ist keine eine Re- 
plik oder gar Kopie des anderen. Bei allen drei 
Beispielen (Abb. 11, 12 u. 13) strömt die Masse 
der Figuren aus einem Stadttor heraus und 
drängt sich von links nach rechts, wobei Chri- 
stus mit dem Kreuz in der Bildmitte innezuhal- 
ten scheint. Er unterbricht gewissermaßen den Be- 
wegungsfluß. Dabei zeigt die Grazer Tafel ein 
sehr starkes Gedränge der Figuren. Die Bild- 
architektur ist bei allen drei Tafeln sehr ver- 
schieden. Die einfachste Ausführung zeigt das 
Grazer Beispiel, eine Staffelung von Bauteilen 
erkennt man in der Wiener Tafel, die Welser 
„Kreuztragung" zeigt sogar ein perspektivisch 
versetztes Türmchen und zwei Bäume. Frappant 
öhnlidi sind die Bewegungsmotive und Gesten 
des hinter Christus schreitenden Mannes auf der 
Welser und Grazer Tafel. Man wird wohl die 
Anteile des Hauptmeisters mehr herauskristalli- 
sieren müssen und anderseits die Werkstattan- 
teile zu trennen versuchen. 
Selbstverständlich sollten auch andere für den 
Hauptmeister gesicherte Werke, wie eine „Not 
Gottes" in der Österreichischen Galerie in Wien, 
näher diskutiert werden". 
Eine vom „Votivtafelmeister" abhängige und 
doch selbständige Persönlichkeit ist der Meister 
der „Linzer Kreuzigung"5', dem man auch den 
Namen „Meister des Andreasaltares" gegeben 
hat". O. Benesch hat ihn mit dem „Votivtatel- 
meister" identifiziert, für A. Stange ist er ein 
direkter Nachfolger desselben". Zur „Linzer 
Kreuzigung" (Abb. 14) - (Linz, OO. Landesmu- 
seum) gehörten sehr wahrscheinlich, was von 
O. Benesch einleuchtend dargestellt wurde", 
vier Szenen aus der Leidensgeschichte Christi in 
Troppau (Opava, CSSR)", ein „Einzug Christi in 
8 
Jerusalem" und ein „Abendmahl" in Budapestss, 
endlich eine „Gefangennahme Christi" und „Ver- 
spottung" in Wien (Österreichische Galerie)". 
Benesch hat jedenfalls die „Linzer Kreuzigung" 
als reife und abgeklärte Schöpfung des „V_otiv- 
tafelmeisters" bezeichnet. In dem Jahrzehnt, das 
zwischen dem „Kreuzigungsretabel" aus St. Lam- 
brecht (vergleiche Abb. 7) und der „Linzer Kreu- 
zigung" liegt, haben sich Raum- und Körperge- 
fühl sehr stark entwickelt. Der „Weiche Stil" ist 
im letzteren Beispiel fast gänzlich überwunden, 
Körper und Gewand beginnen ein eigenständi- 
ges Leben, was wiederum nach um 1420 unmög- 
lich schien. Zur Kompaktheit und realistischen 
Robustheit dieser Tafel wäre zu sagen, daß die 
Kenntnis der Werke des „Votivtafelmeisters" 
wohl vorausgesetzt werden muß. Man könnte 
sich ein Lehrer-Schüler-Verhältnis vorstellen. 
Dem „Meister der Linzer Kreuzigung" sehr ver- 
wandt ist der Schöpfer der sechs Glasgemälde 
(vier in der Stiftsgalerie in St. Lambrecht; zwei 
in der Alten Galerie, Graz). Die „Auferstehung 
Christi" in Troppau etwa ist dem Glasgemälde 
desselben Themas (Alte Galerie) in manchen De- 
tails sehr verwandt, wenn man z. B. den vor 
dem Grab liegenden Wächter ins Auge faßt. 
Einige graphische Werke, Zeichnungen" und 
Holzschnitte" wären an diesen Komplex von Ta- 
felgemälden anzufügen, und ihr stilistisches Ver- 
hältnis zueinander zu klären. 
Der Übergang von der letzten Phase des „Wei- 
chen Stils" zum „Realismus" der Jahrhundert- 
mitte vollzog sich um 1450. Sa wendet sich der 
Meister des „Martinsaltares" (Abb. 15) - (Graz, 
Alte Galerie) noch einmal zurück und kompri- 
miert ein letztes Mal alle Errungenschaften". 
Am besten repräsentiert wird diese stilistische 
Wende, bei der westliche, niederländische Ein- 
flüsse die Vorherrschaft zu übernehmen begin- 
nen, durch den Altarflügel mit dem „H1. Os- 
wald", bei dem es schon Anklänge an Konrad 
Witz" gibt. Die Charakteristika der Tafelmalerei 
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts heraus- 
zuarbeiten, soll einer anderen Untersudiung vor- 
behalten sein. Auf die Blütezeit steirischer Kunst 
um 1400 folgten Jahrzehnte der „chronischen 
Abhängigkeit" (O. Pacht) von anderen Kunst- 
landschaften und vor allem vom Wiener Kunst- 
kreis. O. Benesch hat berechtigterweise auch von 
„Grenzsituationen" gesprochen". Aber selbst 
diese Jahrzehnte brachten durchaus originelle 
Werke hervor. Erst um 1500 kann man wieder 
von einer Blütezeit steirischer Malerei spre- 
chen". 
 
3a Madonna im Strahlenkranz 
Votivtafel mit Abb. 3b), um 1420. 58x55,5 cm. 
Graz, Alte Galerie am Joanneum (Leihgabe des 
Stiftes St. Lambrecht). (Farbtafel IV) 
3b Fragment einer Votivtafel, hl. Andreas, hl. Jo- 
hannes und zwei Mönche, um 1410. St. Lambrecht, 
Stiftsgalerie, 60,5 x 46 cm 
(ursprünglich eine 
Anmerkungen 46-63 (Anm. 46-49 s. Text S. 7) 
u K. Oettinger, Hans von Tübingen, S. 6. 
" Dieser wertvolle Hinweis stammt von Prof. Rasmo, Bozen. 
Vgl. E. Kreuzer-Eccel, a. a. O., Abb. 20. 
" A. Stange, Deutsche gotische Malerei, Abb. 75. 
" G. Schmidt, Die österreichische Kreuztra ungstafel in der 
Huntington Library, in: Usterr. Zeitschri t für Kunst- und 
Denkmalpflege, 1966, S. 1 ff., Abb. 1. 
"' E. Baum, a. a. O., S. 32, Kat.-Nr. 12, Taf. 10. 
5' Siehe O. Benesch, Zur altösterreichischen Tafelmalerei, in: 
Collected Writings, Bd. lll, S. 16 ff. 
und: Neue Materialien zur altösterreidiischen Tafelmale- 
rei, in: Collected Writings, Bd. lll, S. 77 ff. 
5' K. Oettinger, Hans von Tübingen, S. 32 ff. 
53A. Stange, Deutsche Malerei der Gotik, Bd. XI, S. 1B ff. 
" O. Benesch, Neue Materialien 
5' O. Benesch, Neue Materialien, Abb_ 81-86. 
" A. Pigler, Katalog der Galerie Alter Meister im Museum 
der bildenden Künste, Budapest 1967, S. 425 f., Tafel- 
band, Abb. 333. 
51 E. Baum, a. a. O., S. 61 ff., Abb. 33, 34. 
5' O. Benesch, Österreichische Handzeichnungen, S. 35 f., 
Abb. W18, 19. 
5' Vgl. E. Mitsch, Die Einblattholzschnitte, in: Europäische 
Kunst um 1400, Kat. der Ausstellung, Wien 1962, S. 291, 
Kot-Nr. 322, Taf. 156. . 
" Vgl. G. Biedermann, a. a. O., S. 60 f. 
" Ebenda, S. 64 f. 
n O. Benesch, Grenzprobleme der österreichischen Tafel- 
malerei, in: Collected Writirßs, Bd. lll, S. 101 ff. 
"Vgl. P. Krenn, Der große ariazeller Wunderaltar von 
1519 und sein Meister, in: Jahrbuch des Kunsthistorlschen 
Instituts der Universität Graz, 1966167, S. 31 ff. 
1:1 Anschrift des Autors: 
Dr. Gottfried Biedermann 
Kustos an der Alten Galerie des 
Landesmuseums Joanneum 
Kalchberggasse 4 
A-BOIO Graz
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.