Angelica Bäumer
„Wir sind Söhne der Erde"
Zum Tode von
Eduard Bäumer
Angelica Bäumer
„Wir sind Söhne der Erde"
Zum Tode von
Eduard Bäumer
Aus dem Kunstbetrieb hat sich Eduard Bäumer
ein Leben lang herausgehalten. Er empfand
sich als Maler, als Handwerker der Kunst, und
diese Einstellung machte es ihm unmöglich, seine
Kunst auch als Ware zu betrachten. So ist seine
künstlerische Persönlichkeit durch wenige
Ausstellungen in den frühen Jahren nur einigen
Kunstinteressierten und Kennern bekannt ge-
worden. Erst in den letzten Jahren sah sich
Bäumer veranlaßt, sein Lebenswerk in Ausstel-
lungen zu präsentieren. So fanden in Wien,
Rom, Salzburg und FrankfurtlM. große Ausstel-
lungen statt, die auf ein gewaltiges Werk auf-
merksam machten, das im Verborgenen, im
Zurückgezogenen geschaffen worden war.
Eduard Bäumer wurde am 13. Mai 1892 in
Castellaun im Hunsrück geboren, wuchs aber
von Kindheit an in Frankfurt am Main auf.
Früh verwaist, kam er in die Obhut des Frank-
furter Waisenhauses und wurde von dort, in
seinem Bestreben Maler zu werden, sehr früh
schon gefördert. Als Dekorationsmalerlehrling
begann Bäumer sich in Abendkursen der Kunst-
gewerbeschule künstlerisch zu bilden, und nach
abgeschlossener Gesellenprüfung erhielt er ein
Stipendium für das berühmte Städel, das Kunst-
institut von Frankfurt. Der erste Weltkrieg unter-
brach das Studium, das Bäumer 1919 als Meister-
schüler am Stddel wieder aufnahm. 1924 unter-
nahm der Maler die erste große Reise nach
Italien. „Es war mein erster langer Aufenthalt
in Italien. Über Florenz, Padua, Arezzo, was
für mich hieß Fra Angelico, Giotto, Piero della
Francesca, kam ich nach Rom. - Unvorherge-
sehen kamen wir, meine Frau und zwei Maler-
freunde, in die Berge, in die Abruzzen, und
erlebten nicht-Kunst, sondern Natur, urtümliche
elementare Natur und Menschen. Elfhundert Me-
ter hoch in großer weiter Umwelt. Jenseits aller
Zivilisation. Hartes Leben in jahrhundertealten
Formen, für uns noch nie gesehen schön. Der
Maler Ludwig Richter war einmal dort, als
man es ein Räubernest nannte: Cervara di
Roma! - ,Wir sind Söhne der Erde, verknüpft
mit den Böumen und mit den Felsen', sagt
Plato. Felsen wurden auch für mich ein Element."
Dieses Naturerlebnis wurde für Bäumer zum
elementaren Mittelpunkt seines Schaffens. Vom
Kubismus angeregt, aber immer vor der Natur
malend, fand der Maler eine großzügige maleri-
sche Formulierung für die Landschaft und die
Bergdörfer der Abruzzen. Überraschenderweise
verließ er zwar in den dreißiger und vierziger
Jahren diesen Weg, weil er die Bedeutung die-
ser Bilder nicht erkannte. Später schrieb er:
„Wenn mir jemand gesagt hätte, wie außer-
gewöhnlich meine Arbeiten von Cervara 1924
waren. Ich selbst sah es nicht." Aber er fand
zu diesem Ausgangspunkt zurück in einer viel
weiter entwickelten künstlerischen Sprache, in
den späten fünfziger Jahren bis an sein Lebens-
ende, als er in Tropea und Kalabrien eine späte,
aber unendlich fruchtbare künstlerische Heimat
fand.
„Die Natur ist mein Partner - und was für ein
gewaltiger - und ich wie klein." Dieses Be-
kenntnis zu den Quellen seiner schöpferischen
Kraft war es auch, das ihn zeitlebens in die
Natur führte, die ihm Anregung und Ausgangs-
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punkt für seine Malerei war. Obwohl er 1963 an
einen Schüler schrieb: „Landschaften malen ist
eigentlich nicht, was ich will. Zum Teil ist es
Phantasielosigkeit bei mir, aber dann auch die
Sehnsucht, großräumig zu leben. Himmel und
Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit - einen
Hauch davon finden, das wäre dann nicht mehr
Landschaft, sondern alles in allem."
Bäumers Lebensweise und Arbeitsmethode führten
ihn immer wieder in die Ferne, wo er s i c h zu
finden suchte. Aber alle Suche war bei ihm
auf das Malen gerichtet, war von dem Wunsch
geleitet, das mitzuteilen, was er als wichtig
empfand. „Wenn wir etwas tun wollen, bemühen
uns darum und es mißlingt uns, dann haben
wir damit doch auch ein Stück Weg zurückge-
Iegt", schreibt Bäumer 1957, und 1958: „Manch-
mal glaube ich, man könnte gut dazu kommen,
alle Menschen zu lieben. Aber vielleicht besser
noch, wenige lieben und die Liebeskraft in
ein Werk stecken. Gewiß muß man dazu egoi-
stisch sein, aber um seine Flamme rein zu halten."
1967 schreibt der Maler: „Will ja nicht lange le-
ben, bin nur neugierig, ob ich in der Arbeit
noch etwas entwickeln kann. Manchmal glaube
ich, das Malen wäre eine Möglichkeit, der Un-
schuld und Reinheit näher zu kommen. Und so
müßte schließlich Leben und Sterben gleich sein."
Eduard Bäumer sprach oft davon, daß sein
Leben ein Leben des kleinen Glücks gewesen
sei und ein Leben der schönen, aber flüchtigen
Begegnungen. Dieses „flüchtig" bezog sich aber
mehr auf seine Zeitgenossen, denn die Begegnun-
gen, die sein Leben bestimmten, waren diejenigen
mit der Natur und diejenigen mit der „Familie
der Maler", die er, mit Levy-Strauss, als einen
Orden der Maler sah, als eine Art Welt für sich.
Und diese Begegnungen waren nicht flüchtig,
sondern begannen in seiner Kindheit im Huns-
rück und endeten mit seinem Tod. Die Städelsche
Kunstsammlung vermittelte den ersten großen
Eindruck von der Malerei, besonders ein van
Gogh (Doktor Gachet), ein „rosa" Gauguin und
ein kleines Landschaftsbild von Cezanne beweg-
ten den jungen Maler tief. Damals, 1919, notierte
er: „Kunst ist Leben, reich, vielgestaltig und voll
immer neuer Möglichkeiten wie das Leben selbst.
Nur das ist Kunst, was Leben ist, was aus dem Ur-
quell des Lebens quillt als eine der vielen Offen-
barungen desselben, als ,Wort Gottes'. Nicht als
ob es nur so sein könnte, daß das Werk aus dem
Menschen fließt wie ohne sein Zutun, ohne Ge-
dachtes, Mühe und Arbeit. Es kann so und so
sein, es gibt Arbeiter und Sanntagskinder, Den-
ker und Lebemenschen, das gibt die Form, doch
die ist wertlos ohne Kern, der aus dem Leben
kommt. Dieser Kern ist die Gestaltungskraft."
1924 begegnete Bäumer in Italien den alten Mei-
stern und der großartigen Architektur. 1930 und
1931 lebte er in Paris. Hier erfuhr er, was ihn
in Frankfurt schon berührt hatte, die Begegnung
mit der Kunst der neuen Zeit: Picasso, Braque,
Leger, Derain, Matisse und Bonnard, aber auch
Rouault, den er zeitlebens tief verehrte: „Er be-
geistert mich unaussprechlich, und demütig fühle
ich mich trotzdem brüderlich, oder eher wie ein
wenig starker Sohn." (1967). In Paris - das
er später gerne sein Paradies nannte - war
Schauen wichtiger als Malen, so daß hier
eine Reihe von Bildern entstand, die zeigten,
daß Bäumer sich stets mit wachen Sinnen den
Eindrücken und Anregungen hinzugeben ver-
stand. Durch seine Liebe zu Frankreich und
Italien blieb ihm der deutsche Expressionismus
fern, den Meistern des Bauhauses allerdings, vor
allem Kandinsky, Klee, Schlemmer und ltten,
deren Schule in Berlin er in den Jahren 1927 und
1928 besucht hatte, fühle er sich geistig verbun-
den auf der Suche nach neuen Formen.
1933 emigrierte Bäumer nach Salzburg, v
Deutschland „entartete Kunst" genannt x
was er liebte. Salzburg brachte nicht sc
Eindrücke der neuen Zeit, als die Bege-
mit den Romontikern und den Nazarener
den Maler zu einigen altmeisterlich gemaltt
dern und Zeichnungen anregten.
In den dreißiger und vierziger Jahren
Bäumer sehr viele Landschaften und Bl
bilder, locker und duftig, heiter und
schwert, aber mit dem ganzen Ernst des
lers. Die Kriegsjahre brachten - wie
Menschen - Not und Schwierigkeiten, ab
sötzlich noch politische Verfolgung mit
und Ausstellungsverbot und Zwangsarbei
mals schrieb er an einen Freund: „Du I
Sorge um uns, und ein wenig ist es au:
rechtigt. Die Plagen und Drohungen sind
weiter angewachsen, aber wenn wir auch n
mal müde und verzagt sind, ist es dot
jetzt irgendwie gegangen und wir hoffe
vertrauen weiter, daß wir durch diese i
Gasse kommen.
Was mich, wenn auch mühsam, aufrecht t
ist der Glaube, daß einem kein Stein zufä
den Weg geworfen wird und daß es im
letzten Endes nicht auf äußere Erfolge ank
so schön sie auch sind. Denn wenn es so
wären fast alle, die wir lieben und bewu
Gescheiterte. Und doch wäre das Leben
zu ertragen, wenn wir nicht hoffen könntet
es uns noch einmal eine Erfüllung dessen l
was in uns angelegt ist. Das ist ein Widers
und ich denke, man soll ihn ruhig stehen l
In einem höheren Sinn gibt es sicher
Auflösung dafür." Trotz aller Probleme e
tieller Art malte Bäumer Aquarelle und F
bilder in einer Art, daß Michael Guttenbi
1944 über ihn schrieb: „Böumers künstle
Bestrebungen sind ganz auf das erfre
Schöne gerichtet, er zeichnet und malt
Hößliches, er ist ganz ohne Literatur i
Malerei, und dennoch nie langweilig. Wa
bei seinen Sachen ergreift, ist eben das jl
Iich Reine, das noch von keiner inneren Q1.
streifte Höhenwesen der Poesie. Dabei
er Grund genug, um in zerreißenden, zerqx
ten Figuren seine Brust zu entladen, de
kann sich nur kümmerlich fortbringen,
schwere Sorgen lasten auf ihm." Eine
stellung 1942 in Wien war es, die einige
interessierte auf Bäumer aufmerksam v
ließ, und dieses Interesse, vor allem der f
soren Fellerer und Haerdtl von der Aka
für angewandte Kunst in Wien, führte
dem Krieg, 1948, zu einer Berufung an
Institut, an dem man ihm die Meister
für Malerei übertrug. Die Lehrtätigkeit
Bäumer voll in Anspruch. Er nahm sie sehr
und die eigene Malerei trat für diese
stark in den Hintergrund zum großen Kt
des Malers, aber er sah sich außerstande
so wichtige Aufgaben nebeneinander z
wältigen.
Im Unterricht folgte er nicht einem s
Lehrplan oder einem vorgefaßten Konze;
man Malen lehren und lernen kann. Eir
motiv seiner Tätigkeit war das Goethe-Wo
Was ist das schwerste von allem?
Was uns das leichteste dünkt -
das mit den Augen zu schauen,
was vor den Augen uns liegt."
„Sehen lernen" hatte allerdings eine pral
und metaphysische Bedeutung, denn au:
Meister-Eckhart-Wort: „Wer das schauen-
ben besitzen soll, muß ein unbekümmert
haben, eine ungehinderte einsame Stät
Schweigen seine Lauterkeit wahren", war