Rubens Doppelfunktion als Diplomat und Maler
in den Diensten der großen Herren verschafft
ihm die Möglichkeit, sich aktuell und aus intimer
Kenntnis der politischen Situation bildlich auszu-
drücken. Sowohl in seiner Diplomatie wie in
seiner politischen Malerei nehmen Friedensbe-
mühungen bzw. Friedensallegorien einen zen-
trolen Platz ein, wobei Rubens in beiden Gat-
tungen - in seinen Briefen wie in den Gemälden
- zunehmend in den dreißiger Jahren fast nur
mehr düsteren Pessimismus äußert". Rubens kon-
zipierte diese Komposition, die es in fünf wenig
voneinander abweichenden Versionen gibt,
wahrscheinlich um 1630 im Zusammenhang der
durch die politischen Umstände in Frankreich
dann doch nicht vollendeten Heinrichs-Galerie
im Palais du Luxembaurg. In komplizierter Ver-
schränkung der Realitätsebenen - die als wirk-
lich vorgestellte sitzende Personifikation der
Wachsamkeit und der Jupiter-Adler ergänzen
und erklären die auf einem Bildtrciiger befestigte
eigentliche allegorische Szene - kann ihr Sinn et-
wa so zusammengefaßt werden: Obwohl woch-
sam und bereit, seine militärischen Möglichkeiten
zu nutzen, ergreift der Herrscher aus Klug-
heit die Gelegenheit beim Schopf, um Frieden
zu schließen. Die Allegorie nimmt einerseits
ihre Bildgegenstände in einer - für modernes
Empfinden - fast platten Weise beim Wort
(der Held nimmt die Stirnlocke der am Hinter-
haupt kahlen Occasia: nur von vorne kann
die Gelegenheit ergriffen werden, ist sie vor-
beigegangen, ist sie auch schon .nicht mehr
zu fassen), auf der anderen Seite verlangt sie -
und verlangte auch damals - erhebliche Kennt-
nisse in antiker Mythologie und Übung in em-
blematischer Sprechweise. Der intellektuelle Reiz,
Sprachbilder in Bildern reden zu lassen, sich auf
verschiedenen Realitätsebenen zu bewegen, die
sozusagen verdeckte Rede, in der manches an-
gedeutet werden konnte, ohne daß man es
plan-aussprach, all dies war den Humanisten
des 16. und 17. Jahrhunderts, war Rubens teuer -
und vergnügt auch heute noch die lkonologen.
Diesem gleichsam hochoffiziellen, politischen, auf
die Verfassung der Welt wirkenden Aspekt
von Rubens Kunst seien zum Schluß zwei Bilder
gegenübergestellt, die zu seinen persönlichsten
Äußerungen gehören: die sogenannten „Vier
Weltteile" (Abb. l) und die „Gewitterland-
schaft mit Philemon und Baucis" (Abb. 4).
Auch hier wird Welt dargestellt, jedoch abge-
hoben von Realität und Wirkungen, zwar von
Natur gesättigt, aber in allegorischer und mytho-
logischer Überhöhung, in eine ideale, längst
vergangene Welt versetzt, die Rubens in seinem
Traktat von der Nachahmung antiker Skulp-
turen sehnsüchtig heraufbeschwor". Die'Gewit-
terlandschaft, obwohl wahrscheinlich schon An-
fang der zwanziger Jahre entstanden", befand
sich wie viele seiner Landschaften in Rubens"
Nachlaß und wurde von Erzherzog Leopold
Wilhelm angekauft. Sie gehört - sicher als ihr
bedeutendstes Stück - zu einer Gattung von
Landschaften bei Rubens, „in denen elementari-
sches Naturgeschehen dramatisch-Visionär the-
matisiert ist". Trotz der mythologischen Staffage
- in einem zweiten Arbeitsgang hinzugefügt -,
die die Schilderung einer in der Sintflut ver-
sinkenden Welt legitimiert, lesbar macht, bleibt
der „Protagonist des Dramas... die substan-
tivierte, in ihrer höchsten Aktivität gefaßte Na-
tur in ihrem größten menschlichen Aspekt, dem
der Zerstörungm.
Z Anschrift der Autoren:
Dr. Wolfgang ProhaskolDr. Karl Schütz
Gemäldegalerie des
Kunsthistorischen Museums
Burgring 5,1010 Wien
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