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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 154 und 155)

Franz Wagner und Hans Widrich 
Das Bildungshaus St. Virgil 
in Salzburg 
'l Bildungshaus St. Vir il, Architekt: Wilhelm Holz- 
bauer, vollendet 176. Ansicht von Norden, 
Eingongsfront 
Qualitative Zeugnisse moderner Architektur sind 
in Salzburg dünn gesät. Für den Zeitraum nach 
dem zweiten Weltkrieg kann man sie an den Fin- 
gern abzählen. Aber gerade im Südosten der 
Stadt, in Parsch und in Aigen, gibt es einige her- 
ausragende Beispiele: die in den fünfziger Jah- 
ren errichtete Pfarrkirche in Parsch, das durch 
eine hohe umgebende Mauer den Blicken der 
Öffentlichkeit entzogene Kolleg St. Josef und 
seit eineinhalb Jahren das Bildungshaus St. Vir- 
gil, das neue Zentrum der Erwachsenenbildung 
und der Öffentlichkeitsarbeit der Erzdiözese Salz- 
burg. ln allen drei Fällen hat der aus Salzburg 
stammende Architekt Wilhelm Holzbauer ent- 
scheidend an der Planung mitgewirkt, das letzt- 
genannte Objekt ist in seiner alleinigen Verant- 
wortung entstanden. 
Daß für Wilhelm Holzbauer der Entwurfsprozeß 
für den Bau eines „Katholischen Volksbildungs- 
heimes" wohl längere Zeit in Anspruch genom- 
men hat, hängt sicher nicht damit zusammen, daß 
er sich etwa über die gestellte Aufgabe im un- 
klaren gewesen wäre. „Unter einem Dach" viele 
Einzelzimmer für Kursteilnehmer, Lehr- und Un- 
terrichtssäle, Seminarräume, zwei Kapellen, einen 
großen Speisesaal sowie die notwendigen Ver- 
waltungs- und Versorgungsräume unterzubrin- 
gen, wäre für manche der heutigen Planer hier- 
zulande „eine simple Sache" gewesen. Sie hätten 
vielleicht als Vor-Bilder die Tausendjährige Tra- 
dition des abendländischen Klosterbaues - 
vier Flügel um einen quadratisdwen Innenhof, im 
Nordflügel der Sokralraum - falsch interpretie- 
ren und ebenso „neutral" wie „unauffällig mo- 
dern" ein rustikales Appartementhaus für „kleri- 
kale" Bildungsbürger „kreieren" können. 
Die Ausnützung aller gestalterischen Möglich- 
keiten einer Verbindung von geistiger Tätigkeit 
und angeregtem Beisammensein war für Holz- 
bauer vor allem die Grundlage des Entwurfs. 
Schon die äußere Erscheinung, ihre räumliche 
und plastische Vielfalt, ist Signal für iene Aktivi- 
täten, die innerhalb des Gebäudes vor sich 
gehen. Die Eingangsfront bereits besticht in ihrer 
durchdachten Anlage: Zwei stehende, vertikal 
angeschnittene und an den Schnittflächen ver- 
glaste Zylinder sind legitime Nachfolger mancher 
„sprechender" Doppelturmfassaden wie auch der 
uralten Verbindung von Tor und Kapelle. Hier 
wird klar, daß der Puritanismus einer Neuen 
Sachlichkeit in diesem Gebäude nicht zu finden 
ist. Wer wie Holzbauer in einem Zentrum der 
 
l 
glanzvollen Leistungen der österreichischen Ba- 
rackarchitektur aufgewachsen ist, der weiß um 
die Wichtigkeit von „Entrata" und „Ouvertüre" 
für einen Bau und dessen Qualität. Das soll nun 
gewiß nicht heißen, daß hier steifes Zeremoniell 
etwa im Sinne einer mächtigen „ecclesia trium- 
phans" betrieben wird. Aber ieder Gast, der zu 
geistiger Begegnung, zur Meditation auch, hier- 
herkommt, wird wissen, daß ein Haus für ihn be- 
reit ist. 
Betritt man dann die Eingangshalle, so befindet 
man sich in einem Raumgebilde von hoher archi- 
tektonischer Qualität. Es ist gewiß nicht Zufall, 
daß dabei der Lichtführung eine wesentliche 
Funktion zukommt. „Architektur ist das Spiel der 
Körper unter dem Licht" hat Le Corbusier einmal 
gesagt und damit auf den Umstand hingewiesen, 
daß ieder Raum in seinem Charakter - neben 
anderen Dingen - von der Intensität, der Rich- 
tung und dem Grad der Diffusion des einfallen- 
den Lichts geprägt wird. Es ist pures Vergnügen, 
im Umherschreiten in diesem Säulenwald die 
durch Raumschlitze, durch mancherlei Treppen, 
durch Durchblicke und Galerien entstehenden 
optischen Überraschungen in sich_aufzunehmen 
und zu verarbeiten. Das Mittelstück des Erdge- 
schosses ist ein an beiden Längsseiten von den 
die Eingangshalle fortsetzenden breiten Wandel- 
gängen flankierter zentraler Vortragsraum mit 
Empore und dahinterliegenden weiteren Arbeits- 
räumen. Nach außen zu sind im Erdgeschoß klei- 
nere, für den Ablauf des Veranstaltungsbetrie- 
bes organisatorisch wichtige Raumeinheiten an- 
geordnet, über ihnen liegen in zwei Oberge- 
schossen die Einzelzimmer für die Gäste. 
An ieweils einer Stelle des Ost- und des West- 
flügels werden diagonale Bewegungstendenzen 
deutlich: Von der Erdgeschoßhalle her erreich- 
bare Vortragsräume sind über ihren abgeschräg- 
ten Decken im Äußeren als Freitreppen „verklei- 
det"; diese Treppen führen von außen, vom wei- 
ten Park her zu einem besonderen Merkmal die- 
ses Baues, zu einer nach außen durch die seit- 
lichen Zimmerfluchten abgegrenzten begehbaren 
Dachlandschaft,dieder Begegnung und auchden 
privaten Erholungs- und Ruhepausen dient. In ihr 
ragen Einzelformen auf - etwa die eigenwillige 
Dachkonstruktion über der Küchevor dem Speise- 
saal im Südflügel-mnderswo eröffnen sich weite 
Ausblicke in die Umgebung, in die weite Vor- 
alpenlandschaft des Salzburger Beckens. Steht 
man hier und blickt - wie in der Eingangshalle - 
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