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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 154 und 155)

Varia 
 
Kunst und Fußgängerzone 
Erdrückt von der stetig wachsenden Hydra des 
Verkehrs, ist es gesunde „Mode" geworden, Städte 
durch verkehrsarme Zonen bzw. Fußgängerzonen 
partiell zu „beruhigen". Motorisierte Dichte, 
interurban oft kaum mehr erträglich, zwingt ia 
zur Abhilfe. Zur raschesten Abhilfel - Als „Oasen" 
in den Ballungszentren sind solche Zonen wahrhaft 
lebensnotwendig geworden. Befreien nicht nur 
von Verkehrsgewühl, Autolärm und Abgasgestank, 
sondern heben auch das Lebensgefühl, beleben, 
blutauffrischend und kommunikativ in ieder Weise, 
iede City. 
Wie auch an kommunalen Bauten bildende Kunst 
als gestaltendes Element längst integriert ist, so 
versucht man nun, diesen neu erstehenden Bereich 
der Fußgängerzonen mit (mehr oder weniger) guten 
Kunstwerken aufzulockern. 
Beispiel in dieser Richtung ein keramisches Relief 
von Prof. Carl Unger. Der ehemalige Rektor der 
Hochschule für angewandte Kunst in Wien schuf 
es für das Zentrum eines Fußgängerbereicties der 
Wohnhausanlage der Gemeinde Wien, Wien Xl., 
Thürncllhofstraße. Als künstlerischer Ausgangspunkt 
schwebte dem Künstler die Prazessionsstraße in 
Babylon vor. Erdfarbener Hintergrund, darauf 
rhythmische, starkfarbige Formierung abstrahierter 
menschlicher Figurationen. Mit diesem Kunstwerk 
sollte die Fußgängerzone Eigenleben bekommen, 
und dieses selbst sollte vor den dahinterliegenden 
Gebäuden abschirmen. 
Wien strotzt für die Zukunft nach von sicher 
problematischen Lösungen ähnlicher Art. Nach dem 
Terrassieren der U-Bahn-Linien müssen nun für 
deren zu gestaltenden Oberflächenbereidie sdiwer- 
wiegende Entschlüsse gefaßt werdenl Nicht alle 
Wünsche sind dabei auf die Möglichkeiten abzu- 
stimmen. Ein Faktum, das Verantwortliche und 
sonstige Gemüter noch sehr stark erregen wird. 
Carl Ungers Lösung, spezifisch für eine bestimmte 
Anlage geschaffen, wirkt auf den ersten Blick 
sperrig - sicher aus gesamtkonzeptionellen Grün- 
den -, erfüllt als zeitnahes Dekorum iedoch 
zukunftsweisend seine Aufgabe. Mitausführende 
des keramischen Reliefs: akad. Keramikerin Rose- 
marie Renedikt und akad. Bildhauer Prof. Fritz 
Tiefenthaler. Ausmaße des Reliefs, das in den 
Jahren 1970-1972 entstanden ist, 2,5 x 12 m 
(s. Abb. r. oben). I. netopil 
Goldener Ehrenring für Dr. Franz Windisch- 
Graetz 
Was kann einem Museumsmann, einem Wissen- 
schaftler Besseres widerfahren, als über seinen in 
seiner Tätigkeit spezialisierten streng umgrenzten 
Bereich, seine Forschungsstube hinaus, von Männern 
der Praxis, des tätigen Handwerks, geehrt zu werden._ 
Keine glücklichere Verbindung, lebenslange sage- 
nannte trockene wissenschaftliche Erkenntnisse und 
Erfahrungen in der Offentlidikeit Früchte tragen 
zu sehen. Eine solche bedeutsame Ehrung wider- 
fuhr dem wissenschaftlidien Oberrat, Univ.-Lektor 
an der Technischen Universität Wien, Dr. Franz 
Windisch-Graetz, Leiter der Möbelsammlung des 
Usterreichischen Museums für angewandte Kunst. 
Mit 17. Oktober 1977 hat der lnnungsausschuß der 
Landesinnung Wien der Tisdwler in Würdigung seiner 
besonderen Verdienste um das Tisdilerhandwerk 
einstimmig beschlossen, Dr. Windisch-Graetz den 
goldenen Ehrenring der Landesinnung zu verleihen. 
Die lnnung würdigt sowohl das erwiesene Interesse 
des Geehrten an Lebensfragen des Tischlergewerbes 
sowie auch dessen Initiative, Leistungen des Tisch- 
lerhandwerks in Ausstellungen hervorzuheben und 
dem Publikum nahezubringen. Von seiten des 
Museums gratulieren wir herzlich und meinen, so 
hoch kann der Kothurn der Wissenschaft nicht sein, 
als daß er mehr und mehr um wechselseitige 
Kontakte und Praxisnähe sich bemühen sollte, was 
Wissenschaftler, Künstler und Handwerker in allen 
Belangen einander näherbringt, in nutzbringender 
Gemeinsamkeit. I. n. 
80 
 
Atelier Schwanzer 1967-1977 
Die Nr. 10l1977 der Architekturzeitschrift „modul" 
ist als Sonderdruck ein Auszug aus „Architektur 
aktuell", Heft 5Bl1977, und bringt einen „Werks- 
bericht Atelier Prof. Schwanzer. Architekt Mag. 
Arch. Gerhard Krampf". Die erste Nummer dieser 
damals neuen Fachzeitschrift „architektur aktuell" 
im April 1967 war dem Schaffen des österreichischen 
Architekten Karl Schwanzer gewidmet. Inzwischen 
ist Karl Schwanzer 1975 gestorben, und Gerhard 
Krampf hat in Mitverantwortung mit Karl Fleischer 
die Leitung des Ateliers übernommen. Mit dieser 
Sondernummer will man sowohl Karl Schwanzer: 
Tätigkeit seit seiner Erbauung des Usterreidipavil- 
Ions auf der Weltausstellung Brüssel rückblickend 
würdigen als auch die erste kurze Spanne danach, 
die Fortführung seines Ateliers in seinem Geiste, 
dokumentieren. 
Immer wieder spricht man gerade heute von einer 
Krise der Architektur. Wobei wir meinen, daß diese 
Krise nicht in erster Linie den Architekten anzu- 
lasten ist. Gravierende Mängel in der Bauführung 
wie Ausführung dezimieren große Proiekte in 
ihrem Wert, was für die Zukunft besorgt macht. 
Nicht zuletzt auch Mitverschuldenspunkt ist meist 
die eigentlich unverantwortliche Hetziagd gegen 
alle natürlichen und erforderlichen Technologien, 
in die man Bauende - sowohl Entwerfende wie 
Ausführende - hineintreibt. Siehe solches zuletzt am 
Bau des Wieners Weststadions! - Um auf Schwanzer 
zurückzukommen, er war einer der wenigen 
profilierten, wirklich beherzten Architekten Uster- 
reichs, der nicht zuletzt, wie man ihm zum Teil 
vorwarf, an gleichen Umständen zerbrechen 
sollte. Wenn wir noch einmal die Reihe seiner 
großen Leistungen Revue passieren lassen, müssen 
wir tatsächlich feststellen, daß er in durchaus be- 
stimmender Weise die Architektur der zweiten 
Hälfte dieses Jahrhunderts hierzulande von Grund 
auf und entscheidend mitprögte. Daß seine Nach- 
folger Schwanzers Intentionen folgen, beweist 
unter vielem anderen das „City-Center-Wien"- 
Proiekt nach einem Entwurf von 1976. Wie weit 
dieses im Anlauf zur Realisierung auch steht oder 
auch steckengeblieben sein mag, hier sind Ansätze 
vorhanden, ein Kompartiment akzeptabler neuer 
Architektur in einen „Entwicklungs"-Stadtteil, teil- 
weise schon „verbaut", zu setzen. Wir müssen 
fragen, wo ist der echte Koordinator, der dieser 
Stadt wahrhaftig zu einem besseren Gesidit ver- 
hilft? Er muß kein Messias sein! Nur „Verkehrs- 
bauwerke" a la Karlsplatz möge er Wien ersparen. 
Schwanzers Nachfolger, Krampf, Fleischer und Mit- 
arbeiter, durchaus in seinem Geist agierend, konn- 
ten mithelfen, einiges zum Guten zu wenden in 
der Donaumetropole. Der Zustand von Schwanzers 
erstem Werk, dem transplantierten „pavillonischen" 
Museum des 20. Jahrhunderts, ist - der Regen 
zerfrißt da zwar kein Werk für die Ewigkeit - 
symptomatisch für das krisenhafte Wetterleuchten 
auf unsere Gegenwartsarchitektur. Wir sollten nicht 
vergessen, daß heute noch bedeutende, ia un- 
sterbliche Bauwerke ältester Vergangenheit - von 
der Antike und früher herauf - als unvergängliche 
grandiose Zeugnisse immer noch stehen. Vor 
wenigen Jahren errichtete Bauten des 20. Jahr- 
hunderts aber ott nicht einmal ein Dezennium 
brauchen, um in sich, allmählich, am „inneren" und 
„äußeren" Fraß abzusterben . . . 
I. netopil 
Kurt Moldovan t 
Viel Aufhebens um sein Ende hätte er glattweg 
abgelehnt, einen glorifizierten Nachruf hätte 
er sich tunlichst total verbeten. Verschont davon, 
auf einem der grauenvollen Schlachtfelder des 
zweiten Weltkrieges sein Leben zu lassen, verpochte 
kürzlich im Spätsommer 1977 in einem Restaurant 
sein Herz. Ob er etwas geahnt, etwas „verspürt" 
hatte? Soll er doch vorher den Arzt aufgesucht 
haben? Moldovan wurde, wie man heute so sagt, 
„durchge-checkt" und in Ordnung befunden. 
Moldovan, das war wie sein Signum, eine in sich 
geschIossen-verschnörkelte lebenslange Bewegung, 
ein dick-dünn verkratztes Strichgespinst von 
starker Aussage und heftiger Leidenschaftlichkeit 
echten Künstlertums. 1918 in Wien geboren, kurz 
vor Ausbruch des Krieges, 1938, zwei Jahre Student 
an der Akademie für angewandte Kunst in Wien, 
später deutscher Soldat bis 1945; nach Kriegsende 
Akademie der bildenden Künste in Wien, Ecole 
des Beaux-Arts, Paris, war er Träger höchster Preise. 
Man scheut sich fast, ihn als einen Einzelgänger in 
einer ganz besonderen Bedeutung zu erkennen, 
doch er war es. Als Junggeselle eine immer wieder 
den Weg kreuzende Erscheinung im „Wollzeilen- 
Krätzel" der Wiener Innenstadt. Der Reflexion 
des Krieges wurde er gerade in der strotzenden 
Uppigkeit des Wohlstandes nicht Herr. Blätter des 
Krieges durchsetzen sein Werk immer wieder bis 
1964. Gefallene, hilflos im Tode hingestreckte, 
tarkelnde Flammenwerfersoldaten, Veteranen. Wie 
verirrt dazwischen ein „Salzburg"-Blatt, auch im 
Schwadenqualm? - Gefallene, immer wieder, 
lnsektenkämpfe, Dirnen, US-Highways mit Monster- 
fußgängern und menschlich verfratzten Liliputautas. 
„Schönbrunn", Anatomie einer Allee, verflüchtigt 
gestricheltes Schloß, das sich im Blattweiß verliert. 
Noch in Erinnerung das letzte Zusammentreffen 
mit Moldovan im Restaurant. Durch Besteckgeklirr 
und Tellergeklapper hindurch konnte er voll 
Emphase fachsimpeln. - Letztens mit Hutter. Da 
delektierte er oder besser sie beide sich am ge- 
lungenen letzten Zustand einer Radierung. Moldo- 
van war dabei so voller Leben, geradezu mitten- 
drin, „ahnungslos", daß man es bis heute nicht 
fassen kann, wie schnell er für immer davonging. 
Vielleicht eine der letzten, schönsten Erinnerungen 
an ihn, seine „Venedig"-Serie. Die unterwaschene, 
abbröckelnde Schönheit der Lagunenstadt faszinierte 
ihn derart, daß er sogar trübe, neblige Tage dort 
zauberhaft fand und es ihn auch dann förmlich 
zum Malen hinausriß, so erzählte er es Flora. In 
diesen Blättern sublimierte er ein Venedig in zarten, 
akkordierenden Aquarellvaleurs, von inkarnativer 
Kraft. Vision ienes Venedig, die in uns allen 
existent ist. Ein Zyklus, der als Denkmal malerischen 
Erlebens ihn selber nodi, herzerfreuend, aus diesem 
Dasein mit wegbegleitete. 
I. netopil 
Anzing - 
Präsentation am Bauernhof 
Seit 1975 werden in diesem Kulturzentrum, einem, 
seiner ursprünglichen Form nahegebrachten Bauern- 
hof im Raum Tulln, Veranstaltungen der verschie- 
densten Art durchgeführt. Neben Ausstellungen von 
Malern gibt es Filmvorführungen von Jungfilmern, 
Lesungen österreichischer Schriftsteller und ver- 
schiedene Darbietungen musikalischer Art, wobei 
die Umrahmung aller „Präsentationen" durch die 
örtliche Blasmusik besorgt wird. Es ist ein beacht- 
licher Versuch, einen Kristallisationspunkt kulturellen 
Lebens in diesem Raume zu schaffen, wo sich 
ansässige Bevölkerung und anreisende Städter 
treffen. Die 6. Präsentation brachte unter dem Titel 
„Landschaften" Arbeiten von K. Benkovic, 
L. Beschorner, W,-D. Winiwarter, H. Zimmer-Krepcik, 
E. Heis, F. Heis, F. X. Schmid, G. Schmid, R. Janisch, 
A. Karnberger, H. Cislaghi, F. Dykiert, H. Leinfellner 
und G. Riediger. Der Film „Ein Traum nur im 
Herbst" von F. X. Schmid und Helmut Leinfellner 
wurde vorgeführt. 
(10. - 25. 9. 1977) A- Vogel
	        
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