Für den Kunstsammler
Volker Kutschera
Ein Blick in die Welt der Papiertheater
Keineswegs nur die vielzitierten „Bretter" waren es,
die dem romantischen 19. Jahrhundert in Europa
„die Welt bedeuten" konnten - neben ihnen spielten
auch lithographierte Bögen eine Rolle, die ähnlich
den bekannten Wiener „Mandlbögen" Theater-
figuren, ia ganze Bühnendekorationen samt Portalen
und Soffitten zeigten, welche koloriert, aufgeklebt
und ausgeschnitten im wahrsten Sinn des Wortes
das Theater unter die Leute brachten. Vorläufer
dieser Bühnen aus Papier, die nicht nur als
„Bogenware" zum Selberbasteln, sondern auch in
nobler Ausführung als fertige „Apparate zur
plastischen Darstellung der Hauptmomente aus
beliebten Theaterstücken der Wiener Bühnen"
(Verlag Trentsenskyl angeboten wurden, waren die
starren, oft über ein Spiegelsystem zu betrachtenden
Guckkästen gewesen.
Unter den Papiertheater-Prinzipalen finden sich
immerhin so berühmte Leute wie Friedrich Schiller,
der als Kind mit Theaterfiguren des Augsburger
Verlages Schmid gespielt haben soll, wie die
Gebrüder Tieck, Ludwig Fulda und Wilhelm van
Kügelgen, der in seinen „Jugenderinnerungen eines
alten Mannes" dem Popiertheater ein Denkmal
setzte, Technisch möglich wurde der ungeheure
Erfolg des „Spielzeugs", das beileibe nicht nur
Kinder in seinen Bann zu ziehen vermochte, erst
durch die Verbreitung des Steindrucks, der Litho-
graphie. „Steinsudeleien" nannten deshalb die
Nürnberger Radierer und Kupferstecher die neue
Reproduktionsmethode, die - was die Populärgraphik
anlangt - ihrem zeitaufwendigen Gewerbe das
Wasser abzugraben drohte, Geistig lag der
Nährboden so reger Nachfrage im „Bildungsbürger-
tum" des 19. Jahrhunderts, das in romantischem
Sinne die wohl klassischsten aller Klassiker-
lnszenierungen beiubeln konnte, das, von Zeit-
genossen wie Goethe, Schiller und Grillparzer
mitgerissen, sich über das vermittelnde Genie von
Schlegel und Tieck sogar Shakespeare neu erwerben
konnte- , ' . ' Trentsensky-Bührie, 1. A
Der „Bildungswert" der kleinen Theater aus Papier ' . . i , i Jfesäene am Rain" "i" i
war bald erkannt, und was den Erwachsenen , , , ' Trentsensk ggtme, 3, A,
reizvoll erschien, sollte den Kindern Kenntnisse ' ' r rr , iE-Iflllfiizlscfrf ß"""liä?'"uc
vermitteln. Eine Fülle von Theaterbauanleitungen, ' , . . Regdisngiän, iußlclglthbilrsa
auch in regelrechter Buchform, war die Folge. ' - ' _ m'a '__ .
F. d, V l b f h l V , _ Franzosisches Theater i
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gekürzte - Sonderausgaben von Theatertexten für V ' - 511W, Figuren WS Zinn
Kinder heraus. Die Verbreitung des Papiertheoters
als willkommenes Aktivans spielerischer Phantasie
war iedenfalls international. Ob nun Briten - wie
Übrigens auch Sir Winston Churchill - ihre Theater-
figurinchen „ane penny playn an two pence
colaured" von den damals über siebzig Londoner
Firmen erwarben, die Franzosen bei Pellerin ihre
Bögen „non dore" oder „dore" bezogen, die v.
Deutschen in Berlin, Neuruppin, Eßlingen, Mainz, „„ V i passe ,
Nürnberg oder München kauften, die Wiener an - _ - UyJUyJyJÜULUUUÜÜYÜL
den unvergleichlichen Bögen von Trentsensky ihre ' ' ' T: _ .
Freude hatten oder die Skandinavier ein „Tivoli"- i ' "i"
Theater bevorzugten: alle" war ein - lediglich in
Details national gefärbtes - „Welttheater-
Repertoire" eigen. Freilich darf man diese
„völkerverbindende" Funktion, wie sie sich auf den
ersten Blick aus dem Papiertheaterangebot ergibt,
nicht gar zu idealisiert sehen: Die Urheberrechte
scheinen vor hundert und mehr Jahren recht
freizügig gehandhabt worden zu sein. Wo immer
Gutes erschien, fanden sich alsbald Kopisten, und
so mancher Stein hatte ein und dieselbe Zeichnung
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