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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 154 und 155)

Für den Kunstsammler 
Volker Kutschera 
Ein Blick in die Welt der Papiertheater 
Keineswegs nur die vielzitierten „Bretter" waren es, 
die dem romantischen 19. Jahrhundert in Europa 
„die Welt bedeuten" konnten - neben ihnen spielten 
auch lithographierte Bögen eine Rolle, die ähnlich 
den bekannten Wiener „Mandlbögen" Theater- 
figuren, ia ganze Bühnendekorationen samt Portalen 
und Soffitten zeigten, welche koloriert, aufgeklebt 
und ausgeschnitten im wahrsten Sinn des Wortes 
das Theater unter die Leute brachten. Vorläufer 
dieser Bühnen aus Papier, die nicht nur als 
„Bogenware" zum Selberbasteln, sondern auch in 
nobler Ausführung als fertige „Apparate zur 
plastischen Darstellung der Hauptmomente aus 
beliebten Theaterstücken der Wiener Bühnen" 
(Verlag Trentsenskyl angeboten wurden, waren die 
starren, oft über ein Spiegelsystem zu betrachtenden 
Guckkästen gewesen. 
Unter den Papiertheater-Prinzipalen finden sich 
immerhin so berühmte Leute wie Friedrich Schiller, 
der als Kind mit Theaterfiguren des Augsburger 
Verlages Schmid gespielt haben soll, wie die 
Gebrüder Tieck, Ludwig Fulda und Wilhelm van 
Kügelgen, der in seinen „Jugenderinnerungen eines 
alten Mannes" dem Popiertheater ein Denkmal 
setzte, Technisch möglich wurde der ungeheure 
Erfolg des „Spielzeugs", das beileibe nicht nur 
Kinder in seinen Bann zu ziehen vermochte, erst 
durch die Verbreitung des Steindrucks, der Litho- 
graphie. „Steinsudeleien" nannten deshalb die 
Nürnberger Radierer und Kupferstecher die neue 
Reproduktionsmethode, die - was die Populärgraphik 
anlangt - ihrem zeitaufwendigen Gewerbe das 
Wasser abzugraben drohte, Geistig lag der 
Nährboden so reger Nachfrage im „Bildungsbürger- 
tum" des 19. Jahrhunderts, das in romantischem 
Sinne die wohl klassischsten aller Klassiker- 
lnszenierungen beiubeln konnte, das, von Zeit- 
genossen wie Goethe, Schiller und Grillparzer 
mitgerissen, sich über das vermittelnde Genie von 
Schlegel und Tieck sogar Shakespeare neu erwerben 
konnte- , ' . '  Trentsensky-Bührie, 1. A 
Der „Bildungswert" der kleinen Theater aus Papier ' . . i , i Jfesäene am Rain" "i" i 
war bald erkannt, und was den Erwachsenen , , , ' Trentsensk ggtme, 3, A, 
reizvoll erschien, sollte den Kindern Kenntnisse ' ' r rr , iE-Iflllfiizlscfrf ß"""liä?'"uc 
vermitteln. Eine Fülle von Theaterbauanleitungen, ' , . . Regdisngiän, iußlclglthbilrsa 
auch in regelrechter Buchform, war die Folge. ' - ' _ m'a '__ . 
F. d, V l b f h l V , _ Franzosisches Theater i 
in ige er eger rachten - o t rec tsorg os _V b pumemum .,_ Mm, am" 
gekürzte - Sonderausgaben von Theatertexten für V ' - 511W, Figuren WS Zinn 
Kinder heraus. Die Verbreitung des Papiertheoters 
als willkommenes Aktivans spielerischer Phantasie 
war iedenfalls international. Ob nun Briten - wie 
Übrigens auch Sir Winston Churchill - ihre Theater- 
figurinchen „ane penny playn an two pence 
colaured" von den damals über siebzig Londoner 
Firmen erwarben, die Franzosen bei Pellerin ihre 
Bögen „non dore" oder „dore" bezogen, die v. 
Deutschen in Berlin, Neuruppin, Eßlingen, Mainz, „„ V i passe , 
Nürnberg oder München kauften, die Wiener an - _ - UyJUyJyJÜULUUUÜÜYÜL 
den unvergleichlichen Bögen von Trentsensky ihre ' ' '  T: _ . 
Freude hatten oder die Skandinavier ein „Tivoli"- i ' "i" 
Theater bevorzugten: alle" war ein - lediglich in 
Details national gefärbtes - „Welttheater- 
Repertoire" eigen. Freilich darf man diese 
„völkerverbindende" Funktion, wie sie sich auf den 
ersten Blick aus dem Papiertheaterangebot ergibt, 
nicht gar zu idealisiert sehen: Die Urheberrechte 
scheinen vor hundert und mehr Jahren recht 
freizügig gehandhabt worden zu sein. Wo immer 
Gutes erschien, fanden sich alsbald Kopisten, und 
so mancher Stein hatte ein und dieselbe Zeichnung 
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