rei erst einsetzt, nachdem Grecos Bemühungen,
am Hof Philipps il. FuB zu fassen, gescheitert wa-
ren.
Mit Greco wurden Gemälde auch religiösen inhal-
tes in Spanien ein teurer Besitz. Er, der auch als
Fletabelarchitekt und entwerfender Bildhauer ar-
beitete, hat wohl als erster die ästhetische Dimen-
sion der Kunst in Spanien zum Verhandlungsge-
genstand gemacht und sie damit zugleich dem bis
dahin allein maßgeblichen Urteil einer rein dem
Kult und Ritus verpflichteten Zweckmäßigkeit ent-
zogen. Dies war es wohl auch, was den mit allen
italienischen Malschulen seiner Zeit vertrauten
Greco zur Entwicklung jenes stets als ungewohn-
iich und exzentrisch bewerteten Habitus seiner
malerischen Eigenart getrieben hat. in der For-
mung eines neuen ästhetischen Begriffes des reli-
giösen Bildes bei gleichzeitiger Beibehaltung sei-
ner handwerklichen Reproduzierbarkeit lag die
Möglichkeit, die überkommenen Normen, an wel-
che die außerhöfische Kunst in Spanien gebunden
war, aufzubrechen.
Das Hauptwerk der Toiedaner Frühzeit ist ohne
Zweifel nEl Espoiiou, die Entkleidung Christi, in
den Jahren 1577l79 für die Sakristei der Kathedra-
le von Toiedo gemalt (Abb. 1). in diesem Bild hat
sich der Übergang zum gelangten Hochformat,
dem bevorzugten der ganzen spanischen Zeit, be-
reits mit allen Konsequenzen für die Struktur voll-
zogen. Der dichtgedrängten, ausschließlich in Ver-
tikalen gegliederten Komposition bietet sich kein
horizontaler Halt, und damit geraten die Proportio-
nen ins Gleiten. Es entsteht der Eindruck eines
Absinkens der Standebene und des Grundes nach
vorne (besonders bei den drei von Grecos Vertrags
partnern beanstandeten Marien). Aus der geball-
ten Massenkomposition wird eine Gefüge ohne Ei-
genschwere, das gleichwohl zentriert ist in der Fi-
gur Christi. Zu ihr verhält sich alles andere attribu-
tiv. Biidtiefe wird verhängt und verstellt, zum einen
Teil durch die akute Häufung des Gegenständli-
chen ersetzt und zum anderen in einen vertikalen
Strom verlegt. Das wird deutlich an der (wenn
auch nicht konsequenten) Lenkung des Lichtes
von oben her. Tatsächlich hat die biidfiächenpar-
ailele Licht- und Farbstaffelung viel von der Funk-
tion räumlicher Biidtiefe übernommen. Der empor-
gerichtete Blick Christi und das von oben einfal-
lende Licht ergeben sozusagen einen wgeistigen
Fiuchtpunktu außerhalb des Bildes, der die tiefen-
räumllche Struktur auflöst. in der Zurückdäm-
mung der realen Räumlichkeit liegt eine symboli-
sche Dimension begründet, die in der farbigen
Zentrierung ihre genaue Entsprechung hat: ganz
wenige Buntfarben, zu denen hier wegen seiner
Seltenheit und Lebhaftigkeit auch das Weiß ge-
zählt werden muB, sind zugleich reine Vorder-
grundfarben. Dem flammenden Kirschrot des Klei-
des Christi ist jeder Buntwert untergeordnet. Wir
sehen die Trias Blau-Flot-Geib, aber keine Farbper-
spektive. Ebenso fiächenhaft umgibt sie eine Fo-
lie von changierenden und dabei dumpfen, unbun-
ten, mit Schwarz und Braun durchsetzten kleintei-
ligen Flächen. Dort finden sich zwar alle buntfarbi-
gen Elemente wieder, doch so mit Dunkel ver-
hängt - man möchte sagen, mit materieller, irdi-
scher Substanz hverunreinigtu -, daß eben noch
eine Resonanz der starken Farben in der Biidmas-
se besteht. Die Emanation des Flot wird so gewis-
sermaßen von dieser Folie eines unbunten farbi-
gen Kongiomerates getragen. Das Rot gewinnt da-
bei symbolischen, zeichenhaften Charakter, der
das von H. Jantzen formulierte Problem von Eigen-
wert und Darsteilungswert der Farbe so kaum
noch vor dieses Bild zu bringen erlaubt. Die Farbe
hat hier symbolischen, und zwar nicht gegen-
standiich-symboiischen, sondern ontologisch-
symbolischen Wert. Es gibt kaum einen erhellen-
deren Kommentar zu dieser Farbqualität als die
4
folgende Passage aus dem Aufsatz "Idee einer kri-
fischen Symboliku von H. Sedlmayr5: "Die Farbe
,Rot' ist, phanomenologisch-ontologisch verstan-
den, wie jede Farbe, eine ,Vermähiung von Licht
und Finsternish Bei den Lichtfarben, zu denen das
Rot gehört, ist das Licht der ,Hinterrund', die Fin-
sternis der ,Vordergrund', der das Licht nicht zur
vollen Entfaltung kommen läßt, es zurückstaut.
Das naturaiistische Beispiel ist die rote Farbe der
hinter einem Dunkelschieier verhüliten lichten
Sonne, im Sonnenaufgang wie im Sonnenunter-
gang. in dieser Erkenntnis des Wesens der roten
Farbe liegt aber ihr symbolischer Wert schon mit-
beschlossen. Rot ist zurückgestautes Licht, ver-
haltene Glut, wir können auch sagen: Glut
schlechthin. Denn in diesem Wort liegt eo ipso,
daß Lichthaftes hier nicht zum freien Ausdruck
kommt, sondern ,zurückgebannt' ist. Das ist un-
mittelbar - ins Farbige umgesetzt - das Rot.
Glut und Flot sind dasselbe, auf zwei Ebenen sich
darsteilend: zurückgebanntes Licht, zurückge-
banntes Feuer. Deshalb ist Rot die Farbe der Lei-
denschaft, denn was ist Leidenschaft anderes als
Glut, zurückgebannte Flamme, sich zeigend auf
der physischen Ebene? im Wesen des Fiot liegt
diese seine Symbolik schon begründet ist also
eine ontische Analogie, nicht von Menschen ge
schaffen, sondern von Menschen unabhängi und
unabänderlich in dem Wesen dieser Erscheinung
selbst gritndend Flot ist (nach H. Conrad-
Martius) auch das verhüllte Offenbare. Das Licht
ist das Offenbare schlechthin und als solches in
seiner Reinheit für das menschliche Auge und den
menschlichen Geist nicht zu fassen, nicht zu
schauen. Die Finsternis ist das Verhüilende. Auch
bei dieser Fassung steht das Licht hinter einem
Finsternisvorhang, aber der Aspekt ist deutlich
verschoben. Das Licht als ursprüngliche, seibstei-
gene Herrlichkeit, als Herrlichkeit des Grundes
selbst, geruht sozusagen, sich bis zu dem Grade
zu verhülien, daß es sich zwar mit seiner ganzen
Macht, aber nur in der verhüiienden Distanz zeigt.
So gefaßt, ist ,dasseibe' Rot auch symbolisch et-
was anderes: es ist die Farbe der unnahbaren Ma-
jestät, die herrscherliche Farbe schlechthin."
Die Farbe als Zeichen, weder den Gegenstand nur
be-zeichnend, noch sich selbst zum Gegenstand
verdingiichend, das hat es in vergleichbarer Weise
nur in der mittelalterlichen Kunst gegeben. Der
Vergleich mit der byzantinischen ikonographie
wird vor diesem Bild oft gezogen, er führt aller-
dings nicht sehr weit, denn die entscheidenden in-
haite, die der symbolischen Qualität der Farbe
hier ihre Richtung geben, kennt die mittelalterli-
che und byzantinische Malerei nicht. Nämlich die
psychische (beileibe nicht psychologische!) Di-
mension, die in den an sich nicht neuen, aber emi-
nent verknappten und konzentrierten Ausdrucks-
formen enthalten ist. Der emporgeworfene Blick,
das tränenfeuchte Auge, die vor die Brust gelegte
und wie auf die Gewalt der inneren Bewegung wei-
sende Fiechte oder die wie schützend über den ge-
bückten Schergen gehobene Linke, der nichts von
seinem wahren Tun weiß - das sind unerhört ein-
dringlich vorgetragene Pathosformeln einer völlig
neuen Bildrhetorik. Fthetorisch ist auch die Öff-
nung des Bildes auf den Betrachter hin; das Ab-
sinken des Vordergrundes ist der stärkste formale
Ausdruck dieses Sich-Öffnens, das ein unmittel-
bares Angesprochenwerden, ein Sich-nicht-mehr-
entziehen-Können durch das Bild bewirkt. Man
denke zum Vergleich an irgendein Bild etwa Fra
Bartoiommeos oder Pontormos! In ein Bild der Fle
naissance und erst recht des Manierismus hat der
Betrachter aktiv einzudringen und sich hineinzu-
denken, er muß Leistung aufbringen, weil dort ai-
Ies einer Statik gehorcht, die gleichsam auf dlaio
gischen Prinzipien aufbaut, welche eine Zwiespra-
che mit dem Gegenstand erfordern. Aus solchen
MGYÖÜZSFW tritt hier das Bild heraus, die Wechsel-
beziehung von Zeichenhaftigkeit und seelischer
Bewegung wendet sich nicht an die Ratio, son-
dern an solche Bereiche, in denen Überredung ai-
les gilt. Hier wird nicht argumentiert, sondern in
Zeichen gesetzt, die - weil sie zutiefst seelischen
Ursprungs sind - jenseits aller Widerspruchs-
möglichkeit stehen. Das Bild kann als ein klassi-
sches Beispiel für die Befolgung jener Vorschrif-
ten des Tridentiner Konzils von 1563 gelten, die
sich gegen die Verborgenheit, das Dunkle und Un-
klare der Biidsprache richten und für Einfachheit
und Faßiichkeit ihrer Aussage eintreten? Es
scheint, als liegein der Unmittelbarkeit seiner Zei-
chensprache auch ein eminent volkstümlicher
Zug. Schließlich ist es dieses Bild gewesen, das
Grecos Ruhm und Bleiben in Spanien gefestigt
und bestimmt, aber auch den Kreis seiner Auftrag-
geber abgesteckt hat.
in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ist das
"Begräbnis des Grafen Orgazr- entstanden, ein
Bild, das sich wohl in der Vorstellung zuerst ein-
stellt, wenn von Greco die Rede ist. Es ist eines
der wenigen im ursprünglichen Zusammenhang
verbliebenen Gemälde Grecos in einer Kapelle von
S. Tome in Toldeo (Abb. 2). Das Thema ist die le-
gendäre Vision einer Trauergemeinde, der im Jah-
re 1323, als sie sich eben zum Begräbnis des Gra-
fen, eines Wohitäters und Förderers jener Kirche
und der Augustiner, anschickte, die Heiligen Au-
gustinus und Stephanus erschienen sind, wie sie
mit eigenen Händen den Leichnam des Grafen zur
Fluhe betten, wahrend sich darüber der Himmel zu
seiner Verklärung öffnet. Des ganzen, im Vertrags-
protokoil für das Bild lapidar beschriebenen Ereig-
nisses wird als einziger der rechts im Chorrock als
Fiückenfigur dargestellte Priester voll ansichtig
und teiihaftig; er ist gleichsam als Zeuge und Bür-
ge für die Wahrheit des Legendenberichtes und
der Bildaussage aufgerufen. Gegenüber anderen
visionären Gestalten bei Greco erfüllt dieser Prie-
ster eine viel kompliziertere "rhetorische-i Funk-
tion als Vermittler zwischen irdischem und himm-
lischem Geschehen. Während sonst bei Greco die
Heiligen stets ;aliein mit ihrer Vision sind, ist der
Seher hier zugleich der Zeremonienmeister einer
unerhört vornehmen und edlen Gesellschaft von
Mitspielern und Beiwohnenden. ist sonst bei Gre
co die Frage nach dem Ort eines Geschehens fast
gleichgültig, so erhebt sie sich hier sofort, obwohl
jede Ortsangabe absolut fehlt. ist es Tag oder
Nacht, im Freien, auf dem Friedhof, in einer Kapel-
le oder Gruft? Wie kommt es, daß diesem weit zu-
rückliegenden, einmaligen historischen Ereignis,
diesem an Ort und Zeit gebundenen Wunder
gleichwohl gegenwärtige, als Porträtierte benenn-
bare Zeitgenossen Grecos beiwohnen? Ein Zere-
monieli, das im Ortiosen, im zeitlich Unbestimm-
ten und räumlich Undefinierten stattfindet,
scheint ein Widerspruch in sich selbst zu sein.
Worin liegt zunächst das Zeremonielle? Denkt man
zurück an dienEritkleidung Christi- (Abb. 1), so fällt
auf, daß die Personen und Heiligen nichts mehr
von jener durchdringenden Erschütterung zeigen.
Wohl einen tiefen, höfischen Ernst und das
Schweigen, das einst jeden zelebrierten Akt
des spanischen Hofzeremonieiis begleitete, doch
spiegelt kein Gesicht in diesem Gruppenporträt
das Wundergeschehen als etwas Einmaliges, Au-
Berordentliches wider. Das steife, alles verbergen-
de Schwarz der Kleidung, das Abgezirkelte der
Halskrausen und preziösen Formelsprache, der
Gestik in ihren ornamentalen Figurationen, das
Beiwerk tauschierten Metalls und bestickter Para-
mente sind Ausdruck und Form des Zeremonielien
ebenso wie die Haltung der Gesichter, deren Aus-
drucksskala eigentlich nur den kurzen Weg von
fast höflich-höfischem Erstaunen bis zur völlig
undurchdringlichen Ausdrucksiosigkeit kennt.