Gerhart Egger
Phainomena - Anastasis
auf einer russischen Ikone
1 Phainomena-Anastasis. Russische IKONE, um 1700. HOIZ.
Tempera, Goldgrund, 110x245 cm. Wien. Privatbesitz.
Ausschnitt: "Der gute Schacher an der Himmelstüra.
Neben den Repräsentationsikonen, die einem
strengen ikonographischen Kanon unterliegen und
deren Aufgabe es ist, auf die verehrungswürdige
Gegenwart Gottes und der Heiligen aufmerksam zu
machen, stellte sich die byzantinischeKunst von An-
fang an die weitere Aufgabe, auch Szenen aus dem
Leben Christi, der Gottesmutter und der Heiligen
abzubilden. Auch diese haben im Kirchenraum ihren
vorgeschriebenen, didaktisch und anagogisch be-
dingten Platz und unterliegen einem festgelegten
Kanon. Erfaßt wurden hiebei vorwiegend die
Hauptszenen der Christusgeschichte und des Ma-
rienlebens, geordnet nach den Festen des Kirchen-
iahres. Später erst entstand eine lkonographie der
Heiligenviten als Randbilder einer Ftepräsentations-
ikone und als letzte Erweiterung Bilder, die nach
theologischen Überlegungen ihre spekulative An-
ordnung erhielten. Auch jene beziehen in den mei-
sten Fällen die bildformende Vorstellung aus den
Texten der Evangelien, doch die Zusammenstellung
einzelner Szenen folgt einem spekulativen Pro-
gramm.
Dieser spekulativen Gruppe von Ikonen gehört das
hier zu behandelnde, seltene und komplizierte Bild
einer Anastasis an.
Seit derfrühesterhaltenen Darstellung dieser Szene
in Sta. Maria antiqua in Rom, die am Beginn des
8. Jh.s unter dem griechischen Papst Johannes Vll.
entstand. und der Ausbildung einer dogmatisch be-
stimmten lkonog raphie ist die Anastasis das eigent-
liche Erlösungsbild. Sie besagt das naufstehen las-
senw ebenso wie "die Auferstehung" und ist die Illu-
stration zum Credo-Text t-abgestiegen in die Höllea.
ln ihr wird die Überwindung der Macht des Satans
und die dadurch gegebene Befreiung des ersten
Menschen wie auch der Gerechten des Alten Testa-
mentes gezeigt.
Unter dem Titel w-Auferstehung unseres Herrn Jesus
Christus-ß ist hier diese "theologisch-r konzipierte
Szene in der Mittelachse des Bildes verbunden mit
der historischen, im Evangelium festgelegten Szene
der Auferstehung aus dem Grabe und darüber der
prophetisch-endzeitlichen: der thronende Christus
zur Rechten des Vaters im Himmel.
Der geöffnete Höllenrachen in der linken unteren
Ecke ist als Erweiterung, gleichsam Dramatisierung
aus der lkonographie des Jüngsten Gerichtes zur
Anastasis dazugenommen. Wahrhaft spekulativ
aber wird das Bild erst durch den Zug der Gerech-
ten, "Das Volk aller Erlöstenu, der, von Christus ge-
wiesen. einen steilen Berg zur Paradiesestüre hin-
ansteigt. Dieser Zug erreicht rechts oben das von ei-
nem Cherubim bewachte Paradies und wird vom gu-
ten Schächer aus der Kreuzigung angeführt: wEs
kam der begnadete kluge Schächer zur Himmelstür
und der Versammlung der Cherubime im flammen-
den Gewande und er zeigte die Zeichen des Kreu-
zesß. innerhalb der Paradiesesmauer stehen, laut
Beischriften, Enoch und Elias und wiederum der
gute Schächer.
Diesem Bogen der Erlösung. vom Höllenrachen bis
zum Paradies. entspricht aufder linken Bildseite der
Bogen der Verdammung, der von der Auferstehung
Christi zum Höllenrachen führt. Der Auferstandene
sendet drei Engel aus: w-Es befahl der Herr. den Sa-
tan zu binden} Die Inschrift entstammt nicht dem
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