17
Es folgten die Serien der „Hellas"-Lithographien,
die idyllische „Reise nach Apulien", die epischen
Steindrucke zu Homers „Odyssee", die Ko-
koschka als die erste Darstellung eines indivi-
duellen Menschenschicksals erlebte. Dann die
dramatischen Kaltnadelradierungen zum Aristo-
phanes („Die Frösche"). Der Künstler blickt weit
um sich und tief in die Dinge, um d_ie Ursachen
der Tragödie des Menschen zu ergründen. Hier
rekreiert er Shakespeares „König Lear" (Lithas),
dort Kleists „Penthesilea" (Lithos). In diesen Jah-
ren zwischen 1955 und 1975 erleben wir einen
vulkanischen Ausbruch schöpferischer Energie.
Da ist das monumentale Hamburger Mosaik
„Ecce Homines", nicht „Ecce Hama". Denn die
Betonung liegt nicht auf Christus allein, sondern
auf dem Gott und dem plebeiisch-brutalen römi-
schen Knecht, der ihm die Lanze in die Seite
sticht - beides sind M e n s c h e n.
Unzählig sind die Szenen und Kostüme für Ko-
kaschkas Theaterentwürfe, ein Reichtum von Ge-
stalten und Milieus, wie sie nur ein Barock-
mensch aufbringen kann. Dem Kulturverfall Eu-
ropas wirkt er entgegen, indem er zwei Gene-
rationen zeitgenössischer iunger Künstler sachte
auf den Pfad des schöpferischen Denkens und
Sehens lenkt. Er hat Licht über unser düsteres
Dilemma gebreitet und hat uns durch sein Le-
ben und Werk ein Beispiel gegeben, wie man
17
1B
19
20
Oskar Kakoschka, „Die Freier eilen zum Hafen".
dem Portfolio „Die Odyssee". Lithographie,
Oskar Kokoschka, „Der Schiffbruch des Odys-
seus". Aus dem Portfolio „Die Odyssee". Litho-
graphie, 1968
Oskar Kokoschko, „Friamos is sloin at the Altar
in his palace". Aus „Die Traerinnen". Lithoe
graphie, 1971172
Oskar Kakoschka, „The Spirit of God came
upon Saul". Aus dem Portfolio „Saul und Do-
vid". Lithographie, 1968
21
aufrecht stehen soll in einer Zeit des Niedergan-
ges, des nationalen und sozialen Hasses: „Das
geistige Erleben hat nichts zu tun mit Ländern
oder Ideologien. ln dem geistigen Staat, dem
Staat im Sinne Platos, gibt es Ethik. In diesem
Staat ist das größte Verbrechen der geistige
Betrug und die größte Sittlichkeit ist die Rein-
heit. Und das ist in ihrem Wesen die europäische
Geschichte. Das hat nur mit Europa zu tun. Wer
das nicht sieht, ist kein Europäer - ist ein Lemur
vielleicht."
Und; „Je tiefer, desto höher wieder, das ist die
Dynamik des Lebens." So las ich auch in seinem
letzten Weihnachtsbrief an mich: „Zum Glürk
hat der Winter begonnen, das heißt, er wird
auch wieder einmal vorbeigehen, und dann..."
Wer so denkt und sich nicht an die miserablen
drei Monate des Sonnentiefstands, der Kälte und
Nässe verliert, der denkt positiv, der denkt stolz
und schöpferisch. Und so wollen wir ihm heute
mit Pindars Versen huldigen.
„ApolIon! Süß gedeihet den Menschen End' und
Anfang, wenn ein Gott sie beteuert. Dieser
hat durch Deinen Rat wohl solches vollbracht."
21
22
23
Oskar Kokoschka, Selbstporträt mit-Fax
1966. Lithographie
Oskar Kakoschka, View af Downtowl
hattan with the Empire State Building
ÖllLeinwand, 40 x 54 cm
Oskar Kokoschka, Les Perspectives de la I
Aus dem Portfolio „Le Bol Masque"
graphie, 1967
f"! 1""