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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 159)

Dietrich  dem hochgelibten Herrn Vattern  
aufgericht, welcher dermassen so khünstlich und 
natürlich conterfeit, das er von jedermann erkhent- 
lich",u 
Das Grabmal des Hans Werner von Raitenau ist seit 
1903" in der westlichsten der an das südliche Sei- 
tenschiff der Stiftskirche angebauten Kapellen auf- 
gestellt. Die Grabplatte selbst ruht auf einem breiten 
Sarkophag, dessen geschwungene Seiten geriffelt. 
an den Ecken von Bändern eingefalit und in der 
Mitte von je einem Wappenschild besetzt sind; der 
Sarkophag selbst erhebt sich über einem massiv 
wirkenden Sockel. Auf der oberen Platte liegt wder 
Ritter in voller Feldrüstung aufdem Paradebette, auf 
einem bezipfelten Kissen und ausgebreiteten Bahr- 
tuche; doch ist die ganze Figur eigentlich aufrecht 
stehend aufgefaßt, mehrals Iebensvolle Statuedenn 
als aufgebahrte Leiche. Der Kopf ist Portrait; Augen 
und Mund sind ausdrucksvoll geöffnet. Der Helm 
und die Handschuhe liegen links zu Füßen. Der Rit- 
ter halt in der gesenkten Rechten den Feldherrn- 
stab, die Linke ruht über der Brust, mit dem Daumen 
in die Feldbinde greifend"'--. 
Seit der kurzen Veröffentlichung des Grabmals 
durch Hans Tietzeß hat die kunstgeschichtliche 
Forschung" mit dem Hauptwerk des plastischen 
Schaffens dieser Zeit in Salzburg eigenartig wenig 
anzufangen gewußt. Der Meister wurde nicht nur 
stets mit "unbekannte charakterisiert. auch das 
Werk selbst ist manchmal ohne Begründung" mit 
1-1597" datiert worden, Diese Jahreszahl geht je- 
doch einwandfrei auf eine andere Notiz Stainhau- 
sers zurück: wln diesem Jahr (1597) ist auch verfer- 
tigt worden des Erzbischoffen Hern Vatter seeligen 
Grabstain sambt den eisernen Gatern darumb wie 
auch der schonne neue Althar, darvor diese Be- 
grebnus ist?" In seiner "Kirchenbeschreibungß 
von 1593 schrieb aber Stainhauser: w-Es solle auch 
Ihre Hochfürstliche Gnaden willen seyn, Sankt Blasii 
Althar zu erneuern und eine sehr köstliche und 
künstliche Tafel anstat deralten Ihren Hern Vatterzu 
Gedechtnus aufzurichtenw." Im Dezember 1593 
hatte also Wolf Dietrich einen Neubau des Retabels 
des auch dem hl. Blasius geweihten Kreuzaltaress" 
der Stiftskirche geplant, 1597 war dieser (nicht er- 
haltene) Altar vollendet. 
Bisher wurde nirgends der Umstand beachtet. daß 
das Grabmal Hans Werners von Raitenau, morpho- 
logisch betrachtet, nicht von einer Hand gearbeitet 
sein kann. So fallt auf, daß bei Grabplatte und Sar- 
kophag verschiedene Sorten des in Adnet bei Hal- 
lein (16 km südlich von Salzburg) gebrochenen 
Marmors" verwendet worden sind: die Grabplatte 
aus braunrotem --Lienbacher-r sitzt eigentümlich 
vertieft in dem aus "Rottropfii bestehenden Sarko- 
phag. Sicherlich ist die Verschiedenheit des Mate- 
rials von Relief und Unterbau nicht ausschlagge- 
bend, aber auch gegenüber der Feinheit der Einzel- 
formen der virtuos gemeißelten Platte wirkt die Ge- 
staltung des Sarkophags plump und einfach. 
Mein Lösungsvorschlag für alle bisher angeführten 
Probleme lautet daher: Zwischen dem 3. Mai und 
(spatestens) dem 14. Dezember des Jahres 1593 
schuf Veit Eschay die rotmarmorene Reliefplatte. 
die in Fußbodenhöhe von 1593 bis 1597 das Grab 
Hans Werners von Raitenau bedeckte (in diesem Zu- 
sammenhang ist wichtig: 1. erwähnte Hans Fugger 
in seinem Schreiben (D 2). daß Eschay seines ur- 
sprünglichen vHandtwerckhs ein Steinmöze-r war, 
technisch-handwerkliche Probleme haben also ge- 
wiß nicht bestanden; 2. sind trotz der Verschieden- 
heit von Material und Auftrag morphologische Ähn- 
lichkeiten mit dem Augsburger Olberg" zu beach- 
ten, so mit Nase und Haartracht des Christus, mit 
dem Gesichtsausdruck des Jakobus oder dem w-Ge- 
äderi- an der Hand des Petrus; und 3. ist doch der 
ausführende Bildhauer der Grabplatte des Vaters 
des Erzbischots wohl nur in dessen engstem künst- 
lerischem Umkreis zu suchen. muß also mit dem 
14 
Hofbildhauer dieser Zeit identisch gewesen sein). 
Die von Eschay gearbeitete Grabplatte wurde 1597- 
zu diesem Zeitpunkt war Eschay nicht mehr in Salz- 
burg, wie viele andere hatte auch er wbald ausge- 
dient-r e im Zuge der Neugestaltung des Kreuzalta- 
res "erhöht-r, d.h. durch die Einbettung in einen 
Marmorsarkophag nmonumentalisiertrt. Mit der 
Ausführung des Sarkophags war möglicherweise 
Eschays Nachfolger als Hofbildhauer, der vorher in 
seiner Werkstatt arbeitende (D8) Matthäus Mur- 
mann", betraut worden. 
4a". 
i 
5 Salzburg, St. Peter, Stiftskirche, Bronzekandelaber. 
G Salzburg. St. Peter. Stiftskirche. Brclnzekandelaber, mitt- 
lerer Ausschnitt. 
7 Salzburg. St. Peter, Stiftskirche, Bvorizekandelaber, Aus- 
schnitt vorn Fuß mit Wappen Erzbischof Wolf Dietrichs 
von Raitenau in der Form vor August 1594. 
Schließlich wäre noch zu untersuchen, was gerade 
jenen Erzbischof und Reichsfursten von Salzburg. 
der wie kein anderer seiner Vorgänger oder Nach- 
folger durch die Forschung als Feind alles Alten, als 
Verächter jeder Tradition gekennzeichnet worden 
ist, was also Wolf Dietrich von Raitenau bewogen 
haben mochte, bei der Gestaltung des Grabes sei- 
nes Vaters auf die schlechthin ßmittelalterlicher- 
Grabplatte aus rotem Marmor zurückzugreifen. Ge- 
wiß hatte Stainhauser recht, als er meinte, daß dies 
eben "dergleichen rittermessigen Leuten gebürtß. 
DaB aber dadurch Wolf Dietrich sich "von gotischen 
Vorbildern nicht lcsmachen kannn (Franz Martin)". 
daß das Grabmal seines Vaters "stark untermischt 
mit Erinnerungen an die gotische Uberlieferungu ist 
(Lothar Pretzell)55, daß es wdie Tradition der goti- 
schen Hochgraberfortführtu (Heinrich Deckerfs, ist 
(in allen drei Fällen) nicht richtig. Denn im letzten 
Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts gab es keine "Tradi- 
tion der gotischen Hochgrabers, gab es keine "goti- 
sche Überlieferung- mehr. Die Tradition war bereits 
gebrochen, als der "Jüngling vom Helenenberge". 
jene 1502 aufgefundene antike GroBbronze eines 
Epheben", Einzug in die Prunkräume des landes- 
fürstlich-salzburgischen wHauptschlossesii hielt. 
als der Salzburger Bürgermeister und mit Venedig 
Handel treibende Kaufmann Waginger seinen Vor- 
namen Virgil in Vergil umwandelte", als dem nack- 
ten menschlichen Körper das besondere Interesse 
eines vMeister IP" und seinerleitgenossen galt. Als 
dann 1568 in Italien Vasaris Viten in ihrer zweiten. 
noch starkerdas historistische Element betonenden 
Ausgabe erschienen, war deutlich geworden, daß 
damit ein Mensch dieser Zeit die Vergangenheit als 
übermachtig empfand. 
Wolfgang Lotz hat an einigen Grabmalen des Bam- 
berger Domes für die Zeit "um 1600-1 Bestrebungen 
aufgezeigt, mittelalterliche Formen nachzuahmen: 
DMan kopiert die alten Gräber und weist damit die 
Würde eines Geschlechtes oder eines Bischofssit- 
zes ausäg." Wir wissen, daß in der Regierungszeit 
Wolf Dietrichs die Jahre knapp um 1593 jene seines 
größten Eifers und Ehrgeizes waren: Die (mit Lan- 
desverweisungen radikalen) Versuche der Wieder- 
herstellung der Einheit des katholischen Glaubens 
im Erzbistum, die (erreichte) Standeserhöhung sei- 
ner Familie, das (vergebliche) Streben nach dem 
Kardinalat sind unter anderem hier zu nennen, Kann 
man dann sagen, daß das "mittelalterliche-- Grab- 
mal für seinen Vater nur ein wSich-nicht-los- 
machen-Könneni- war? Ich meine. daß die tiefere 
Bedeutung im genauen Gegenteil liegt: Im klaren 
Empfinden der Vergangenheit und im Hinblick auf 
die "gute, alte Zeit" des wahren Glaubens vor den 
Jahren der Reformation war es für den Erzbischof 
das bewußte Setzen eines Zeichens. enrvachsen aus 
dem neuen Bildbekenntnis und Bildbedürfnis der 
Gegenreformation". 
Wolf Dietrich von Raitenau, der 62. Nachfolger des 
heiligen Rupert auf dem Thron der Salzburger Kir- 
chenfürsten, bverstendig, gelehrt, voll der Spra- 
chen, in Historie woll erfahren-q hat mit seinen Auf- 
trägen an Veit Eschay nicht nur den Boden für jene 
gewaltige Erneuerung der Monumentalplastik be- 
reitet, die im Barock so großartig vollzogen worden 
ist. Vor allem hat er damit bewiesen, daß auch die 
künstlerische (erst von seinen Nachfolgern vollen- 
dete) Erneuerung seiner Kathedralkirche wie seiner 
Residenzstadt nicht als Laune eines bauwütigen 
Feudalherrn, sondern als Triumphmal eines großen 
Geistes in die Geschichte einzugehen hat. 
U Anschrift des Autors. 
Franz Wagner, Kustos 
am Salzburger Barcckmuseum 
Mirabellgarten 
A-5024 Salzburg
	        
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