Es war gerade die zeitgenössische Kunst, die ein
verstärktes Augenmerk auf die Grimassenköpfe
Messerschmidts gelenkt hat. (Man könnte hierstell-
vertretend für andere auf Arnulf Rainers i-Face-Far-
cesu hinweisen'.) Damit habenjene Köpfewiederum
neue Aktualität erhalten und erscheinen in einem
anderen Licht, wohingegen die Wissenschaft sich
dazu zumeist skeptisch verhalten hat.
Vor mehr als vierzig Jahren ist ein Aufsatz von Ernst
Kris erschienen, der sich "psychologisch-histori-
scher Versuch-e nennt und ein psychologisch deut-
bares Gesamtbild Messerschmidts rekonstruieren
wolltez, doch scheint uns dies nur zum Teil gelun-
gen. Die folgenden Bemerkungen sollen das noch
immer vorherrschende Messerschmidt-Klischee re-
vidieren helfen. Vor allem gehtes um den Nachweis
derKontinuitätdes Gesamtwerkes und um die Logik
der künstlerischen Entwicklung,
Zunächst kurz zur Biographie: Messerschmidt
wurde 1736 in WiesensteiglSchwaben geboren?
Die Lehrzeit verbrachte er bei den Onkeln Straub in
München und Graz und wird dort zumindest die
Grundbegriffe mitbekommen haben. Ganz ent-
scheidend war sicher der Einfluß des kaiserlichen
Hofnfialers van Meytens und dann der einjährige
26
Aufenthalt in Ftorn, wo der dreißigjährige Bildhauer
nicht nur mit der antiken Kunst vertraut wurde. son-
dern mit zahlreichen Künstlern derZeit Kontakt auf-
genommen haben muß. Interessanterweise ist uns
vorn sogenannten Frühwerk nichts erhalten, wohl
aber genannt". Nach Wien zurückgekehrt, ver-
suchte Messerschmidt an der Akademie Fuß zu fas-
sen, was ihm schließlich nicht gelungen ist. 1783 ist
der Künstler vereinsamt in Preßburg gestorben.
Als Überleitung zu den kunsthistorischen Bemer-
kungen mögen hier noch einige Passagen von Zeit-
genossen Messerschmidts angefügt werden. In
einer "Reisebeschreibung durch Deutschland und
die Schweiz im Jahre 1781er erwähnt der Verfasser
Friedrich Nicolai Messerschmidts Hang zur Einsam-
keit und dessen spiritistische Ideen, die, soweit wir
heute sehen können, in der damaligen Zeit sicher
nichts Außergewöhnliches waren'. Inwieweit damit
auf die Grimassenköpfe Messerschmidts Bezug ge-
nommen werden sollte. läßt sich wohl nicht beant-
worten. Fest steht freilich. daß fast immer nur diese
"rätselhaften" Werke Aufsehen erregt haben und of-
ter hervorgehoben wurden als die offizielle Porträt-
plastik. Die wissenschaftliche Literatur hat die Serie
der Messerschmidtschen Köpfe als reine wPsycho-
Gottfried Biedermann
Franz Xaver Messerschmidt -
zu den sog. iiCharakter-
köpfenii
Richard Milesi zum 65. Geburtstag
Anmerkungen 1-8
z
Vgl. "Korpersprache-Bodylanguagee, Katalog der Ausstellung.
Graz 191a.
E Kris. Die Charaklerkopte des Franz Xaver Messerschmldt, in:
Jahrbuch der Kunsthisiorlschen Sammlungen in Wien, 1932.
s. 1691i. und irl' Fsychoarlalyllc Exploratidns in Art. New York 1964.
s. 12811.
Besonders A llg, Franz Xaver Messerschmidts Leben und Werke.
Leipzig-Prag 1885
und, M. Mallkowa, oie Fortrat lastik von Franz xaver Messer-
schmidt. in Mitteilungen der sterreichischen Galerie in Wien.
1965. s 1m
bei A Jhg. aa o.
' F. Nicolai. Beschreibung einer Fleise durch Deutschland und die
Schweiz lm Jahrs1781.Eerlin-St9ttln17B5.Bd VI. S. 40111. (abge-
druckt ba1E.Krls,a.a 0.. s 22411.)
G Weiss, Franz Xaver Messerschmidt, ein Bildhauer des 1B Jahr-
hunderts. Phil Dlss , Wien 1924
H. u, M. Wittkower. 50th under Saturn. London 1963. S. 124"
W. Sauerlander. Jean-Antolne Houdon. Voltaire. Stuttgart 1953,
Reclams Werkmonographien.
Vgl M. Sauertandl. Die deutsche Plastik des 1a Jahrhunderts,
Munchen 192a, Abb. es, 100.