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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 160 und 161)

targemälde von Carlo Maratta zurück. Nach 1675 ur- 
sprünglich für S. Giovanni dei Fiorentini in Rom ge- 
malt, befindet es sich jetzt im Palazzo Pitti in Flo- 
renz". 
Daß die Maratta-Komposition. abgesehen von J.B. 
Straub, auch anderweitig im 19. Jahrhundert zu be- 
legen ist, zeigt das ausgezeichnete Gemälde. das 
Giovanni Battista Pittoni um 1725-1727 für S. Maria 
della Fava in Venedig maltew. 
Wenn es ein noch unveröffentlichtes Werk gibt, das 
innerhalb der langen Reihe der bisher bekannten 
Arbeiten Straubs unverhofft eine Lücke schließt. so 
ist dies eine meisterlich geschnitzte Plastik (Abb. 6). 
Sie tauchte erst vor kurzem aus älterem Münchener 
Privatbesitz auf. Es kann nicht der geringste Zweifel 
darüber bestehen, daß es sich bei der aus Linden- 
holz geschnitzten und alt gefaßten Hausmadonna 
(53,5:36:20 crn) um ein völlig eigenhändig ausge- 
führtes Werk J.B. Straubs handelt. Wie bei solchen 
Bildhauerarbeiten üblich, ist ebenfalls wie bei dem 
themengleichen Hochrelief von Straubs Wohnhaus 
die Rückseite der hier zu besprechenden Hausma- 
donna auf der Mondsichel abgeflacht. Über rötli- 
chem Bolusgrund sind weite Teile der ursprüngli- 
chen Fassung (Kopftuch hellblau, Kleid erdbeerrot, 
Mondsichel vergoldet) erhalten geblieben. Das In- 
karnat war jedoch ursprünglich viel blasser; die la- 
sierenden Schichten sind nicht erhalten. Ein derdas 
Marienhaupt einst umgebender Strahlenkranz aus 
Metall ist sinngemäß zu ergänzen. Ein Detail spricht 
besonders für die langjährige Erfahrung des Bild- 
schnitzers. Es besteht darin, daß als unterer Ab- 
schluß für die Büste die Form der auch in ikonogra- 
phisoher Hinsicht bedeutsamen Mondsichel ge- 
wählt wurde. In geradezu mathematisch genauer 
Berechnung fällt bei der vorliegenden Komposition 
ein kleiner Gewandbausch auf die imaginäre Mittel- 
achse. Andererseits ist sie aber auch zugleich der 
ideelle Ansatz für eine sich zu denkende Vertikale. 
Sie liegt unverkennbar der Gesamtkomposition zu- 
grunde, 
Denkt man einen Augenblick an die schon des öfte- 
ren genannte früher ausgeführte Hausmadonna 
Straubs zurück. so ist es keineswegs überraschend, 
daß der Bildhauer auch diesmal als darzustellenden 
Typus gleichsam das Porträt einer jungen Frau 
schuf, die wiederum der bürgerlichen Umwelt ent- 
nommen zu sein scheint. Das hier erstveröffent- 
lichte Werk einer Hausmadonna in Büstenform be- 
legt zugleich eindringlich, daß vor und neben Gün- 
ther der Hofbildhauer J.B. Straub zu den bedeu- 
tendsten Meistern Münchens im 18. Jahrhundert 
gehörte. 
Ganz besonders aufschlußreich ist die wesentliche 
Unterscheidung dieses Werkes von einer anderen, 
etwa ein rundes Jahrhundert früher entstandenen 
Hausmadonna (München, Bayerisches Nationalmu- 
seum). Es handelt sich um jenes Werk, das Straubs 
Meisterschüler Franz lgnaz Günther um 1761-1762 
aus Eichenholz für sein Münchener Haus am Ober- 
anger Nr. 11 schnitzte (Abb. 7). 
Wie W. de Groff überein von ihm angefertigtes Werk 
1737 treffend sagte, ist sie par excellence ein "Chef 
d'oeuvre pour la ressemblance, Vattitude et le tra- 
vailn. Im Gegensatz zu den vorgenannten themen- 
gleichen Werken Straubs verfügt sie erstaunlicher- 
weise über kein einziges Attribut. Im Vergleich zu 
ihnen ist diese Darstellung wesentlich abstrakter 
und zugleich phantasievollen Wie keine zweite Pla- 
stik dieser Zeit besitzt das Werk Günthers die r-Un- 
nahbarkeit Tiepolesker Madonnene (A. Feulner). 
Entgegen der Auffassung Straubs ist sie unver- 
kennbar von höfischer Kunst inspiriert. Ebenso ist 
hier darauf hinzuweisen, daß hinter einer solchen 
Darstellung ein ganzlich anders orientierter reli- 
gionsgeschichtlicherAspekt steht. Dieser wiederum 
steht in engstem Zusammenhang mit der barocken 
t-Schaufrömmigkeitu. 
Wenn man ß-von der eben genannten Plastik Gün- 
20 
thers ausgehend, sich anschließend mit dem Typus 
beschäftigt, welcher der Straubschen Hausma- 
donna auf der Mondsichel entspricht, dann stellt 
sich heraus, daß auch sie gleich dem Werk Günthers 
auf eine r-erlauchtes Ahnenreihe zurückzuführen 
ist. Hinter beiden Werken steht nach G. Gugitz der 
ursprünglich byzantinische Typus der r-Agiosoteris- 
sar- (vermutlich Kopie eines lkons von Fermo). Der 
abendländischen Kunst wurde der in Rede stehende 
Typus der "Madonna mit dem leicht zur Seite ge- 
neigten Haupt-r durch einige bereits im früheren 17. 
Jahrhundert in Rom geschaffene themengleiche 
Werke (Bronze und Marmor) vermittelt. Die hier zu 
nennenden Madonnenbildnisse in Büstenform wur- 
den von dem italo-flämischen Bildhauer Francois 
Duquesnoy (1594-1643) ausgeführt". 
In mehrfacher Hinsicht läßt sich der Gesichtstypus 
der Straubschen Hausmadonna auf der Mondsichel 
im Werk des Bildhauers belegen (Abb. 8). Über das 
Haupt des Hausmadonnenreliefs (München, Bayeri- 
12 F.J. Günther, Hausmadonna, Bleiguß (Kopfdetail). 
Augsburg, Städtische Kunstsammlungen 
Anmerkungen 18-23 
l" H. Voß, Malerei des Barock in Rom, Berlin 1924, s. sss mit Abb 
s. 33a. 
"t Dali ebenfalls lgnaz Günther mit dem Typus vertraut war, zeigt ein 
kompositionsgleicher Entwurf fur ein Andachtsblld. G. Woeckel, 
Die Handzeichnungen des kurlürstlich bayerischen Hofbildhauers 
Franz lgnaz Günther, 2. Aufl, Weißenhorn 1975, s. 2231229. 
z" e. Woeckel, Franz lgnaz Günther, Der große Bildhauer des bayeri- 
senen Rokoko. Regensburg 1977. s. 44. 
Als Werk Straubs wurde sie bereits in dem Augsburgischen Kunst- 
tzlatt, a. Jg., VII. Stück v.31.7. 11124161 (unter Nr. so) bezeugt c. 
Giedion-Welcker. J.B. Straub, München 1922, s. 29 mit Abb a1. 
s. a1. -F'. Stainer, op m, s 11D(angahlich -um 1750", hazw. heim 
Gegenstück 17457) 
1' c. Giedton-Welcker, s.a.o.. Abb. 72 (Schäftlarn) und Foto Marburg 
Nr 202. 137 (München-Berg am Lairn). 
U G. Woeckel, Franz lgnaz Gunther, a.a.0.. s. 4a r , es mit Abb 57. 
s. 127. Unzuganglich war mir eine Münchener Magisterarbeil: 
E. Stark, Hausmadonnen an Münchener Hausfassaden des 17. und 
18. Jh. in" Kunslchronik. 31. 1978. S. 333 erw. 
 
sches Nationalmuseum) hinweg läßt sich dt 
rezeptive, doch für die Auffassung Straubs c 
teristische Kopftypus zunächst auf die wohl: 
ste weibliche Heiligendarstellung des Bild 
zurückverfolgen (Abb. 9). Es handelt sich I 
bisher noch keineswegs richtig beurteilte C 
Iung einer hl. Agathe in der ehemaligen Ben 
nerabteikirche in Tegernsee". 
Mit welcher Konsequenz andererseits Straut 
einmal in sein Repertoire aufgenommenen 
später immer wieder neu abwandelte und er 
chend nuanciene, zeigt der Blick aufthemeng 
Darstellungen bei einem Relief (1764) und b! 
annähernd lebensgroßen Standfigur (1768) (l 
und 11). Es ist dies die Maria einer Verkündii 
darstellung im Predellenaufsatz des linken S: 
tars in Schäftlarn und eine Maria als Mater Dt 
im Chor der Pfarrkirche St. Michael in Mü 
Berg am Laim". Aus der förmlich zwingend: 
abfolge der oben genannten. motivisch sich 
stark ahnelnden Werke Straubs geht mit Sic 
hervor, daß die von ihm geschnitzte Hausmz 
auf der Mondsichel unbedingt an das Ende c 
gezeigten Reihe gehört. Sie zählt demnach z: 
Werken des Münchener Bildhauers, die erst 
frühen Siebziger Jahren von ihm ausgefüh 
den. 
Um die allgemein stilistischen Beweggründe 
dieser Datierung führten, wenigstens noch 
nern anderen Punkt aus zu sehen. ist abschl 
von einer bisher noch nicht erwähnten 
Hausmadonna lgnaz Günthers zu spre 
(Abb. 12). Der reine Zufall will es übrigens, I 
einst sogar in Straubs unmittelbarer Umg 
d.h. in der Münchener Hackenstraße, als Hz 
donna verwendet wurde (Augsburg, Star 
Kunstsammlung; Röhrersamrnlung). Trotz 1 
merkenswerten werkstoffmäßigen Verschiet 
- bei dem Werk Günthers handelt es sich 1 
schenderweise um einen farbig bemalten t 
(H. 45,2 cm) - ist nicht zu übersehen, daß s 
beiden Spätwerke der genannten Bildhaui 
gleichsweise ähneln, wobei zugegeben die 
gleichheiteine bemerkenswerte Rollespieltl 
andererseits zugleich auch wieder trennt, wer 
von der Qualität hier einmal absieht, ergibt Sl 
einer anderen Konstellation. J.B. Straub als r 
der bayerischen Rokokoplastik war Primus ir 
res im Kreis der in München ansässigen Bilc 
während in gleicher Eigenschaft der um 2( 
jüngere Meisterschüler Straubs lgnaz Güntl 
ein nMozartrr unter den deutschen Bildhaut 
Rokoko inzwischen längst europäischen R: 
reicht hatte. 
In summa läßt sich zu den in der Kunstlani 
München ausgeführten, von uns genannten l 
sagen, daß sie ein gemeinsamer geistiger 
eint. Er besteht, vereinfacht gesagt, darin, dal: 
len zur Sprache gekommenen Beispielen 
dungsmäßig die römische Kunst des 17. Ja 
derts stets der gebende und die mehrfach ge 
bayerisch-münchnerische Komponente der 
des 18. Jahrhunderts immer der nehmende" 
Daß jedoch trotz der in allen Fällen bewii 
Übernahme von fremden Kompositionsmotii 
den für München so kennzeichnenden H: 
donnen (E.Q. Asam, J.B. Straub und F.J. G1 
die künstlerischeAussage in den genanntent 
bis zur letztmöglichen Konsequenz gesteigr 
zugleich inhaltlich vertieft wurde, ist selbst 
halb der europäischen Kunstlandschaft d 
Jahrhunderts ein kaum ganz erklärbares I 
ITIEBH. 
Ü Anschrift des Autors: 
Dr. Gerhard P. Woeckel 
Zentralinstitut für Kunstgeschichte 
Meiserstraße 10 
D-BOOO München 2
	        
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