Neuilly selbst Napoleon dieses mit feinstem Kalkül
erdachte Werk bewunderte. Dominik Biemann be-
nutzte jedoch nicht diese ursprüngliche, heute im
Louvre befindliche Fassung als Vorbild, sondern
eine vor allem in den Gewandfalten der Beinpartie
der liegenden Psyche abweichende Variante. die
1794-96 für den russischen Fürsten Jussupoff voll-
endet wurde und heute in der Ermitage ist. Eine von
Tadolini gefertigte Replik davon gelangte in den Be-
sitz des Fürsten Metternich"? So wäre es nicht aus-
zuschließen, daß Biemann, der durch seine Bildnis-
kunst vielfache Beziehungen zur Wiener Aristokra-
tie besaß, eben diese Marmorkopie vorAugen hatte,
als er sein Glas konzipierte. Die Amor-und Psyche-
Gruppe Canovas galt wegen der überaus gesuchten
und eleganten Verschränkung der beiden Figuren in
6
_ va-Schülers und
der zeitgenössischen Kritik als eine der raffinierte-
sten Erfindungen damaliger Skulptur. So nimmt es
nicht wunder, wenn sich derjunge ehrgeizige Glas-
schneider dazu anspornen ließ. seine Kräfte mit die-
ser anspruchsvollen Vorlage zu messen. Der Erfolg
mochte ihn zu weiteren Versuchen in dieser Rich-
tung beflügeln.
Es haben sich zwei andere als Pendants gearbeitete
konische Becher auf geschliffenen Walzenfüßchen
von identischer Grundform erhalten, die heute- lei-
der auseinandergerissen - in zwei verschiedenen
Privatsammlungen aufbewahrt werden. Auf einem
Hochschliffmedaillon weisen sie jeweils eine ge-
schnittene Venus-Darstellung auf: eine kauernde
Venus übereinem kleinen Postament (Abb. 8) in der
Sammlung Fritz Biemann, Zürich". und eine lie-
gende Venus mit Amorknaben auf einem sockelarti-
gen Ruhebett (Abb. 10) in der Sammlung Heinrich
Heine, Karlsruhe". Besonders bei der von vorne
wiedergegebenen kauernden Venus läßt sich die
hohe Könnerschaft, die das Sujet mit seinen starken
Verkürzungen beim Glaskünstler voraussetzte.
deutlich nachempfinden. Obwohl man sich gerade
bei diesem Motiv an Vorbilder derantiken Plastik er-
innert fühlt, gehen beide Venus-Darstellungen auf
Marmorbildwerke des Pietro Tenerani. eines Cano-
langjährigen Mitarbeiters von
Thorvaldsen, zurück, der nach dessen Fortgang
eine beherrschende Rolle im Kunstleben Roms
spielte und seit 1860 neben seinen Lehrverpflich-
tungen an derAccademia di S. Luca Generaldirektor
der römischen Museen war. Die beiden Venus-Ge-
stalten deuten freilich in seine frühere Zeit (Abb. 7
und 9). Gemäß alter bildhauerischer Schulungstra-
dition, die im Kopieren nach Antiken bestand. hatte
er die kauernde Venusw fast wörtlich von dem be-
rühmten antiken Bildwerk des Doidalsas übernom-
men. wahrend er die lagernde Venus, der Amor ei-
nen Dorn aus dem Fuß zieht. selbst erfunden hatte.
Wir wissen, daß er diese Venus-und-Amor-Gruppe
um 182111822 für den Fürsten Nicolas Esterhazy
ausfuhrte". Vermutlich hing dieser Auftrag mit dem
1817 erfolgten Besuch dieses österreichischen Mi-
nisters im römischen AtelierThorvaldsens, woTene-
rani damals arbeitete, zusammen. Offenbar i:
auch die im Nachlaß Teneranis erwähnte Por
ste Esterhazysentstanden"? Ob die kauernde
ebenfalls für Esterhazy gearbeitet wurde, i:
nachweisbar, Wenngleich von der Vent.
Amor-Gruppe auch für andere Auftraggeber
ken entstanden und sicher auch graphische
bildungen existierten, die Dominik Biemai
kannt haben konnte, ist es doch eher wahrs
Iich, daß er das Original in der Sammlung dl
sten Esterhazy selbst - vermutlich in seiner'
Galerie, für die auch die zu gleicher Zeit be
valdsen bestellten Bildwerke eines Amorl
und einer Bacchantin bestimmt waren's - ki
lernte.
Biemann war jedenfalls im Winterhalbjahr 1