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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 160 und 161)

Künstlerprofile 
l Niederosterreichische Landschaft 
2 BHUSVin 
a Leopold BIISIIHQEF ltl seinem Atelier 
in Wien-Mauer 
4 Die Nachdenkliche 
s Landschaft mit Bauernhot und Pfer- 
degespann 
s Kinder 
7 Sitzende und Totenschiff 
Leopold Birstinger 
 
"ÜIS große Traurigkeit des Leopold Birstingers 
Anlaßlich einer Ausstellung in der Galerie Wiirihle 
- und was man dort nicht sah 
Es war eine schone Ausstellung bei Wurthle. Das erste- 
mal seit vielen Jahren sah man wieder Olbilder von Leo- 
pold Birstinger in einem Ausstellungsraum beisammen. 
Und die freudige Buntheit. die da von den Wanden 
leuchtete. die frohlichen Landschaften mit ihren gelben. 
grünen und orangefarbenen Feldermosaik, die sonnen- 
beschienenen Kellergassen des Weinviertels. die fast 
pointillistische Blutenpracht der niederosterreichischen 
Bauerngärten, das vielerlei Grün und die Baume mit ih- 
ren violetten Schatten ließen turwahr nicht an einen 
Fünlundsiebziger denken. der dies gemalt hat. Ja, je jun- 
ger die Bilder sind. um so heller und leuchtender wird 
die Palette des Malers, der am 30. Oktober seinen 75. 
Geburtstag feierte. 
Nichts mehr ist in diesen Bildern von dem poetischen 
Flealismus seiner Lehrer Sterrer und Bacher an der Wie- 
ner Akademie. Birstinger ist bei den Franzosen in die 
Schule gegangen. Van Gogh hat auch fur ihn die reine 
Farbe entdeckt. die "Fauvesii, der deutsche Expressio- 
nismus - gemildert durch osterreichischen Kolorismus. 
das ist Birstinger heule, wie es natürlich Kubin ist, der 
von ihm hoch verehrte, der die Graphik beeinfluBte. 
Wenn i-der Birstingeri- seine leuchtenden Bilder in die 
Sonne zum Trocknen stellt zwischen dem ehemaligen 
Stadel und dem Ausnahmhausl, bleibt so mancher Vor- 
übergehende stehen vor dem alten Weinbauernhof in der 
Maurer Langegasse. wo die gemalte Pracht zwischen 
dem dunklen Grün der elf kegelig gestützten Eiben- 
baume nur um so heller prangt. 
Man plaudert mit ihm abends beim Maurer Heurigen, 
wenn auch kaum einer jemals sein Atelier betreten hat 
und auch nicht ahnt. dafl das Barbeißige. das Flasonie- 
ren. aus innerer Verletzlichkeit stammt. 
Die Birstingers kommen aus dem Horner Wald; der Bru- 
der hat in Alberndorf den Hof. Er selbst. Leopold. lernte 
in der Schöllermuhle im Pulkatal die Mullerei; von da hat 
er das Frühaufstehen. Aber der Schollermüller war ein 
Sauter, und als sie ihn suchen gingen eines Nachts, stieß 
der junge Birstinger im Finstern mit der Stirn an zwei 
Schuh Der Müller hatte sich aufgehangt - und da hatte 
auch er von der Müllerei genug. 
Der Pulkauer Altar halle es ihm schon lange angetan. so 
malen konnenl An der Pulkauer Landschaft erprobte er 
zuerst sein Zeichentalent. Heute noch zieht es den Bir- 
stinger in das nördliche Niederösterreich, ein-. zweimal 
im Monat muß er ins Wein-, ins Waldviertel, er braucht 
das, die einfache, herbe Landschaft und den Blick von 
den welligen Höhh. Unzählige Male hat er ihn gemalt, 
dunkler. toniger vor Jahren. heller jetzt und bunter. ver- 
sohnlicher mit viel Sonne in letzter Zeit. 
Manch Bitteres hat Leopold Birstinger bis zu jenen son- 
nendurchtluteten Blumengarten seines Alters durchge- 
macht Mit 31 Jahren starb ihm die Gattin. die Schweizer 
Malerin Annemarie Brendlin - mit ihr verlebte er die 
schonste Zeit. nach zwei Jahren Rom-Stipendium 
durchwanderten sie Europa, lernten seine Kunstzentren 
kennen - sie ließ den verzweifelten mit zwei Buben zu- 
rück. 
Und dies, der Tod der geliebten Frau, der Tod der Mut- 
ter. die kranke Schwester. seltener die Kinder, fand Ein- 
zug in sein Werk, das graphische Werk vor allem. das 
nur wenige Freunde und Sammler kennen, das er nie 
ausgestellt hat und das so gegensätzlich zur leuchtenden 
Farbenpracht der Malerei ist. Hier lafit er einen tiefen 
Blick in sein Innerstes tun. wo der Tod eine Erschütte- 
rung ausgelöst hat. die unuberwindbar bleibt, Und viel- 
leicht ist das auch der Grund. warum er die Blatter nicht 
der Offentlichkeit prasentiert: Er will sich nicht preisge- 
ben. will sein ureigenstes Leben und Erleben, das mit 
diesen Bildern untrennbar verwoben ist, seine Schwer- 
mut und große Traurigkeit nicht öffentlich darstellen. 
Da ist immer wieder das imaginare Portrat der Frau: der 
schmale, feine Kopf. die schwermütigen Augen werden 
zum Typus. der in klaren statischen Figuren wiederkenrt. 
monumentaler im Holzschnitt, malerischer in der Radie- 
rung. Die Weinende, die Nachdenkliche, die Sitzende, an 
der das Totenschift vorüberzieht, Es sind i-instandige Ar- 
beiten-, wie sie der Maler nennt. 
Otto Mauer, der Freund, der den Künstler sehr schatzte. 
fand in "Wort und Wahrheit- schone Zeilen für Leopold 
Birstinger: "Dieser Kunst haftet der Schimmer der 
Keuschheit an. ein Verletzliches, im Verborgenen still 
Gedeihendes, nirgends sucht virtuos gehandhabte Tech- 
nik die Seele zu stören. aus der alles strömt. 
. . . Persönlich und durchlebt ist alles in diesen Blättern, 
durchlebt und durchlitten . . . Es ist eine Welt des Krea- 
türlichen. riüllt von Sorge, Tod und Einsamkeit, von 
schwerm' igem Tieisinn und grüblerischem Schicksals- 
BTHSLii 
"Wenn eines meiner Bilder bleibt, kann ich vor meinen 
  
Söhnen bestehen", sagt Leopold Birstinger, ein Künstler. 
Elisabeth Koller-Gluck 
69 
der die Demut kennt
	        
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