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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 163)

reich komponierte Türen, abgesehen vom Ritter- 
saal, selten. 
Die Tür ist ein Aedikula-Motiv mit Voilsäulen. 
Aedikuia-Türen sind in Innenräumen des Wiener 
kontinuistischen Wohnbaus selbst bei Palais sel- 
ten. Dagegen sind sie in Grafenegg auffallend 
häufig. Mit Vollsäulen finden sie sich in zwei gro- 
ßen Räumen durchgängig; es handelt sich um das 
nSpeisezimmer-i und den westlich anschließenden 
"Salonu oder "Großen Salon- in der Beletage des 
Nordfliigeis westlich des Torvorbaues. Das Spei- 
sezimmer hat Plafondkonsolen mit Maskarons, 
der Salon ist leicht kenntlich durch die Balkenköp 
fe - nach Art britischer wopen timber roofsw - 
am Plafond, versehen mit Büsten, alternierend Rit- 
ter und Engel darstellend. Die Entwürfe zum Spei- 
sezimmer sind teilweise 1867 datiert". Auch die 
Entwürfe zum Salon sind teilweise 1867 datiert 
und teilweise von Hugo Ernst signiertla. in den 
übrigen Grafenegger Räumen bilden Aedikula- 
Türen, mit Pilastern oder Halbsäuien instrumen- 
tiert, fast die Regel. Sie sind offenbar als eine 
Symboltorm für gesteigerte feierliche Monumen- 
talität aufgefaßt, gesteigert besonders durch ih- 
ren direkt tektonischen Ausdruck und ihre selb 
ständige (nicht isolierte) abgerundete Vollendung 
in sich als solches tektonisches Gebilde, quasi 
den Ausdruck selbständiger i-Existenzfähigkeitu, 
symbolisch aufgefaßt. 
Besonders in der Beletage des Westfiiigels, aber 
auch sonst in Einzelfällen, sind in Grafenegg auch 
die Fensterchambranen im Inneren des Schlosses 
zu Aedlkulen monumental tektonisiert. So finden 
sich in der Westflügel-Beletage Fensteraedikulen 
im schon erwähnten i-Damensalonu und, identisch 
gestaltet, nur ohne ein sie verbindendes Gebälk, 
im anstoßenden, ebenfalls bereits angezogenen 
nSchreibzimmer der Frau Gräfinii, sowie ähnlich 
im vom Schreibzimmer aus nach Süden zu über- 
nächsten Raum, dem "Schlafzimmer-i, zumindest 
teilweise 1864 entworfenlg. 
Die Sauienschäfte bei Tür und Kaminaufsatz im 
großen Raum des Breunner-Paiais' sind tordiert. 
Auch dies ist ein beliebtes Grafenegger Motiv 
schon bei Leopold Ernst, bei diesem beispielswei- 
se an der Aufsatznische des fragmentarisch erhal- 
tenen Eckkamins aus geschnitztem Holz im uNeu- 
en Salon des H. Grafen-i, dem östlichen Raum des 
ersten Stockes im Tor-Vorbau des Schlosses an 
dessen Nordfront, einem Raum, der stiikritisch 
vorn Verfasser etwa zwischen 1845 und 1855 ange- 
setzt und schon deshalb Leopold Ernst zuge 
schrieben wirdzü, oder beim Schaft eines Leuch- 
ters, der wegen des Stilcharakters und der Engels- 
hermen am Fuß wohl für die Kapelle bestimmt war 
und nicht vorhanden istäl. Weitere tordierte Säu- 
len zeigt ein Entwurf zu einem fragmentarisch er- 
haltenen Waschschrank in der Nordostecke des 
schon angeführten i-Schreibzimmers der Frau 
Gräflnzzu. Auch die sich teilweise an der Wand 
hinziehenden, nicht vorhandenen doppelstöcki- 
gen Etageren auf Entwürfen zum wTOlIBIISZlMMOW 
(Beletage, Westflügel, zwischen dem mehrfach er- 
wähnten wSchreibzlmmer der Frau Gräfin-i und 
dem auch schon erwähnten Schlafzimmer) haben 
tordierte Säuichen. Das Toilettezlmmer wurde im 
Wesentlichen 1866 entworfenzß. Zumindest teil- 
weise ausgeführte, aber nicht mehr in Grafenegg 
vorhandene Möbel für das vertäfelte Zimmer von 
lgnaz Graf von Markovics (Nordtiügel, Torvorbau, 
westlicher Eckraum des obersten Stockwerks) 
weisen vielfach tordierte Säulen oder Stäbe aufzi 
Sie finden sich dann beim Buffet für das schon ge 
nannte Speisezimmer; das Möbel ist zerlegt frag- 
mentarisch erhaiten25. Bei Teilung großer Räume 
in Kornpartlmente werden tordierte Säulen zwei- 
mal verwendet: lm Rittersaal von Leopold Ernst, 
der 1845 schon im Bau warzß, seiner Entstehungs- 
zeit stilistisch weit voraus ist und daher eine Wer- 
16 
tung Leopold Ernsts als Bahnbrecher des Konti- 
nulsmus rechtfertigt27, dann im mehrfach erwähn- 
ten liDamensaion-r der Westfiügei-Beietage, wie 
erwähnt vermutlich von Hugo Ernst. 
Um 1850 waren rrtwisted columnn und wtwisted pil- 
ianr sogar in den - intensiv britisch beeinflußten 
- Vereinigten Staaten beliebt. Verschraubtheit 
und Undulieren entsprachen der prezlösen Zier- 
lichkeit und zeitweiligen Bizarrerie (rrquaintnessrr) 
des frühen Kontinuismus. Andrew Jackson Dow- 
ning (1815-1852) widmet dem ntwisted pillarrr in 
seiner 1850 erstmals erschienenen nArchitecture 
of Country Housesu eineinhalb Seiten der Elogeiß 
wegen seines formalsymbolischen Gehaltes, ver- 
zeichnet ihn unter den nprincipal characteristicsrr 
des rrElizabethan Styleir, der überall für romanti- 
sche Schlösser ein Hauptanregungsqueli war, an 
erster Stelle?! allerdings als rrtwisted columnii, 
und bildet ihn bei vielen Möbelentwürfen und ei- 
 
Anmerkungen 20-40 (Anm. 17-19 s. S. 15) 
1" Vollständige Ansicht des Kamins: Zit. Anm. 7,1 Blatt, urinume- 
riert. bez. iJben in Leopold ErnstsSchrift -Kamin im neuen Salon 
des H. Grafen Grafenegg- 
" Zit. Anm. 7. 1 Blatt. unnumeriert. Auirii! und GrundriB das Leuch- 
ters mit weiteren 5 Detailstudien dafür, l. über Grundriß in Leopold 
Emsts Schrift bei. -GrundriB u. Daraufsicht des Leuchtarsr- 
11 Der Schrank ist durch muschelförmiges Waschbecken mit Tri- 
tonsmaskn als Wasserspeier darüber im Entwurf leicht kenntlich; 
Zit. Anm. 7, 1 Blatt. unnumeriert. r. unten Sign. -L. Ernst- 
" Zit. Anm. 7. beispielsweise 1 Blatt, unnumeriert. bez. oben 
r-Schloßbau Grafenegg llöbToilette-Zimmer Ansicht derSelte 4,-, 
1 Blatt. unnumerlert, bez. oben -Schloßhau Grafenegg 1566. Toi- 
lette-Zimmer. Ansicht der Seite Nc.1,. 
u Zit. Anm, 7. 1 Blatt, unnumeriert, mit 9 Mdbelaufrlssen und einem 
Schema für Verwendung verschiedener Hölzer bei einem uneruler- 
ten Objekt 
" Zit.Anm,7, 1 Blatt. unnumeriert. bez. oben -Schldßbau Grafenegg 
1567 Buffet im Speisezimmer . _ _.. 
2' Wien. Haus-. Hcf- und Staatsarchiv, Handschriften Grafenegg S81, 
Rentamts-Hauptbuch für das Jahr 1845. pag. B66. Pest 34, 35 
" Zum Rlttersaal vgl. Eggen. zit. Anm. s. pag. 15 
u Fleprint New York (1969). pag. 345-347 m. 2 Abb. 
1' Zit. Anm. 2B, pag. 392 
w Zit. Anm. 2B. Abb. 1B5 
3' Zli. Anm. 2B, psg. VII 
"z Aus Loudons Fruhwerk -A Treatise 011 Formlng. imbroving and 
managing couritry resldences-, London 1806. zitiert Germann Ge- 
org, Neugotlk. Geschichte ihrer Architekturtheorle. Stuttgart 
(1974). P89, 59-62 
u Für den dortigen kontinuistischen Wohnbau Beispiele bei Eggert, 
Zit. Anm. 13, pag. 212, Abb. 55, 95. 111. 178. 180, 219 
"1 Zit. Anm. 7, 1 Blatt, bez. i. Mitte -SchloBbau Grafenegg 1867. Biatt 
Nr. 7. Salon. Kleine Rosetten . . .- 
" Zit. Anm. 7. einige Blätter 
i" Zit. Anm. 7, 1 Blatt. bez. oben -Schloi3bau Gralenegg, Kleine Roset- 
ten. I4 Stück. Elchenhclz. Nr. B. Speisezlmmarm Slgn. unten r. 
rHugo Ernst Architekt.- 
Jordan Robert Furneuux. victbrian Architecture, (Harmondsworlh 
isss). Abb. 2a i- Fellcbn eboir A eas) 
" Giroulrd Mark, ThaVictorian Country Hbusaßkrcrd 1971. Abb es 
(Hiqhciura). Abb. 40a (Thoreshy) 
" The Bullder. Jg xiv, iess. 299 
"' Girouard, xlt. Anm. 3a. Abb. 91. 9a. es (Highclars). Abb. so (Crewe). 
Abb. B6 (Marevale). Angabe der Architekten und dar Daten bei den 
britischen Vergleichsbeispielen nach Girouard. dort bei den be- 
treffenden Abbildungen; Angabe beim Buckingham Palaca jedoch 
nach Anm. 39. zit. Publikation 
a1 
ner Türeinfassungaü ab. Das Buch, von dem in 
neun Auflagen über 16.000 Exemplare verkauft 
wurden, erschien in den USA3'. Aber es bekennt 
einen maßgeblichen Einfluß von John Claudius 
Loudons rrEncyciopaedia of Cottage, Farm and 
Villa Architecture and Furniturerr, London 1833 
und später häufig nachgedruckt, und dieses 
höchst umfangreiche Werk - die Erstausgabe 
enthält 1138 Seiten und 2039 Abbildungen - war 
im Kontinuismus, besonders dessen Frühstufe, in 
Europa von großem Einfluß. Ein Teilband ist in den 
Restbeständen der Grafenegger Bibliothek 
erhaltenßz. 
Der Kamin des Großen Salons im Breunnerpalais 
Wien steht diagonal über Eck. Diese Kaminauf- 
stellung ist im Kontinuismus überaus häufig und 
naheliegend. Sie nuanciert die nüchterne Recht- 
winkligkeit einer Raumecke und vermittelt zwi- 
schen zwei Wänden; sle ist eine der Erscheinungs- 
formen des Aufbruchs des Kontinuismus gegen 
kubische, kompakte Verblocktheit, in der sich im 
Aufklärungsrationalismus bis zum Vormarz die 
allgemeine nüchtern-simple, kaikulierende, kon- 
struierende Determiniertheit durch das 
Stereometrisch-Anorganische besonders zeigte. 
Auch andere Objekte oder Gruppen von solchen 
stellte der Kontinuismus diagonal in Raumecken 
und faste am Äußeren von Gebäuden die Ecken 
sehr häufig ab. Nicht nur in Grafenegg finden sich 
zahlreiche diagonal gestellte Kamine und Öfen, 
auch beispielsweise in Wienßß. 
Die Rechteckfelder des Plafonds im Großen Salon 
der Singerstraße haben als Milieu jeweils große 
Rosetten. Dies ist im Wiener Kontinuismus selten, 
jedoch wiederum in Grafenegg bei Leopold Ernst 
und seinen Nachfolgern häufig und charakteri- 
stisch. Die Rosetten des Singerstraßenraums und 
die nachfolgend angeführten Grafenegger Ver- 
gleichsbeispleie sind mehrschichtig verräumlicht. 
Die Rosette scheint vor der Decke zu schweben, 
auch ihre Einzelschichten scheinen untereinander 
abgestuft zu schweben. Die Blätter und sonstigen 
Rosettenteile sind dünnschalig, entmaterialisiert 
wirkend - ein Hauptanliegen der Romantik, wel- 
che den Kontinuismus bestimmt -, großformig 
gewölbt, intensiv abwechslungsreich gestaltet 
und rhythmisiert und bei aller Großformlgkeit fein 
und oft tiefgeschnitten gerippt. Überhaupt zeigen 
sie eine intensive, geschnitten wirkende Präzi- 
sion, weiche die Rosetten frühkontinuistisch wir- 
ken ließe, wenn die Großformigkeit nicht wäre, da- 
zu noch die raumhaltige Piastizität. Oft haben die 
Rosetten ein aus der Kelchmitte abhängendes 
upendantu in Zapfenform. 
Beim Grafenegger Rittersaal, wie angeführt 1845 
schon im Bau, sind speziell die zwölf kleineren Ro 
setten denen des Singerstraßen-Salons im Typus, 
wie er oben gezeigt wurde, ähnlich. Die Form ist 
beim Rittersaal gemäß der früheren Entstehungs- 
zeit noch etwas kompakter, und die Einzelblätter 
sind flächiger. Auch im schon erwähnten Salon 
sind die kleineren Rosetten denen der 
Singerstraßen-Decke vergleichbar. im Entwurf 
standen sie 1867 festl". Die Entwürfe zum großen 
Salon sind teilweise von Hugo Ernst signiert35. 
Ferner lassen sich die vierzehn kleineren Rosetten 
des östlich an den Salon anstoßenden, schon er- 
wähnten Speisezimmers anschließenw, dann die 
Mittelrosette des Plafonds im "Schreibzimmer der 
Frau Gräfin", das auch bereits angeführt wurde. 
Dies waren nur wenige Beispiele aus Grafenegger 
Haupträumen. 
Ein anderer, dem Raum des Breunnerpalais also 
nicht völlig vergleichbarer Rosetteniypus in Gra- 
fenegg zeigt Vermittelung der einzelnen Blatt- 
schichten durch übergreifende. mehrfach ge 
schweifte, agraffenartige Konsolen. Generell mit 
Plafondrosetten in Konnex sind die zahlreichen 
Hängezapien in Grafenegg zu sehen, von denen
	        
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