"Burgtheater und Historismusu war der knappe Ti-
tel einer Ausstellung, die 1976 in Schloß Grafen-
egg in Niederösterreich gezeigt wurde und die
dem folgenden Beitrag als Ausgangspunkt diente.
Vorn Burgtheater in seinen kulturell und konven-
tionell geprägten Erscheinungsformen wurden
bisher viel mehr Spuren gedeutet als vom Begriff
Historismus, der zur Nachfixierung der zweiten
Hälfte des 19. Jh.s seine begrenzte Anwendbar-
keit zeigt.
Historienmalerei und Historiendramatik sind so
eng miteinander verwandt, daß es naheliegt, einen
Historismusbegriff der bildenden Künste für die
Theatergeschichte zu überprüfen. Dabei ist sogar
an eine Entlastung des zumeist überbeanspruch-
ten Begriffs Realismus gedacht, in dem zuweilen
das gesamte 19. Jahrhundert Platz finden mußte.
Dramaturgische Vorstellungen von historischem,
poetischem oder künstlerischem Realismus, poe-
siegetränkter Wahrheit oder historisierendem Na-
turalismus suchen Vermittlung zwischen Möglich-
keit und Wirklichkeit. Paßte schon manchen Zeit-
genossen Grillparzers die antike Einkleidung nicht
mehr zur kleinbürgerlichen Problematik seiner
Dramen, so hob sich die pompös-historische Aus-
sfattung bei epigonalerer Dramatik in der zweiten
Hälfte des 19. Jh.s schließlich so stark von der ak-
tuellen Thematik ab, daß im Naturalismus pro
grammatische Formulierungen gegen die wBüh-
nenromantiku gefunden wurden; aber selbst diese
neue Naturaiistische Dramatik schien bereits
1892 r-die Umständlichkelt und die Zufälligkeiten
des Lebens noch zu übertrumpfenhr. Auch dieses
Programm hatte sich mit der Formulierung bereits
seiner Überwindung ausgesetzt.
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innerhalb der theatralischen Äußerungen auf dem
Burgtheater des 19. Jh.s starre Abgrenzungen mit
Stilbegriffen vorzunehmen, hieße mit nicht tragfä-
higen Hiifskonstruktionen ein Gebäude flüchtig
verkörperter Gedankenwelt unzureichend nach-
bauen zu wollen. Eine klare begriffliche Fassung
des Historismus als Bühnenstil drangt sich kaum
auf, doch bildet der Direktionsantritt von Franz
Dingelstedt 1870 eine Zäsur, ab der stärkere opti-
sche Dynamik gemeinsam mit außerlicher gepräg-
ter Ästhetik Iiistoristische Merkmale aufweisen.
Bei Heinrich Laube war der Ton der Wahrhaftig-
keit und Natürlichkeit, der realistisches Bemühen
auszeichnet, noch keinen so kräftigen Übermalun-
gen ausgesetzt.
Das historische Fieber begann nicht erst im
19. Jh. plötzlich um sich zu greifen, die Bühne hat-
te immer schon von Historie und dem Interesse
daran gelebt. Nach der höfischen ideaiisierung
früherer Zeiten zur erhöhten Selbstdarstellung be-
gann für viele Mittler klassischer Anschauung
schon im 18. Jh. die Reise zu den Quellen der AI-
ten. Der Stoff zur Volksbildung wurde im 19. Jh.
mit neuen Mitteln der Vervielfältigung rasch ver-
breitet. Die Aufnahme von Bildern war an weniger
Voraussetzungen gebunden als die Bewältigung
schriftlicher Quellen. im Bemühen der Wissen-
schaft wurde den Vorbildern aus der Geschichte
durch die optische Zugabe, durch die Verbindung
historischen Blidungsstoffes mit Vorlagen zur un-
mittelbaren Anschauung eine neue Einheit von
Form und lnhalt gegeben, den Bildungsinteressen
wurde eine weitere Grundlage bereitet.
Genaue historische Studien zur Bühnenausstat-
tung wurden schon zur Mitte des 18. Jh.s in gro
Alfred Koll
Der große Zug des Historis-
mus auf der Bühne
1 Gottfried Semper, Neues Hcfburgtheater, Wien 1, Karl-
Lueger-Ring 2. Mitteiteil der Hauptfront mit dem Hoch-
fries "Triumphzug des Bacchus und der Ariadne" von
Rudolf Weyr, 1881182
2 Der vorschreitende Herold aus dem Bacchuszug (siehe
Abb. 1)
3 Ausschnitt aus der linken Hälfte vom "Triumphzug des
Bacchus und der Ariadneti
Anmerkungen 1-3
' Gegen den Strom. Flugschriften einer literarisch-kt]nstierischen
Gesellschaft. Wien 18851894. Heft XXlV (1892), S. 25
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t kahiar, Gerhard: Adolfwllbrendts Dramen am Burgtheater miss.
Wien 19111. s. es
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