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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 163)

dings nicht unterordnen konnte. Josef Bayer ging 
in seinem Buch wDas neue K. K. Hofburgtheater 
als Bauwerk", Wien 1894 (Die TheaterWiens Bd. 3) 
auch auf die plastischen Details des Bacchus- 
zuges ein. 
Die Grenzen des Schönen und damit das Feld der 
darstellbaren Wahrheit wurden durch traditionelle 
Moralbegriffe auch auf der Bühne abgesteckt. Der 
Hofschauspieler Adolf Sonnenthal (1834 - 1909), 
der durch die Darstellung von Persönlichkeiten 
aus der Geschichte des Altertums großen Anwert 
gewann, bereitete sich auf die Darstellung des Fa- 
bricius (in Wilbrandts "Tochter des Herrn Fabri- 
cius") durch den Besuch des Gefängnisses von 
Capo d'lstria vorg, doch trotz seiner idealisierten 
Darstellung empfand der Kritiker Ludwig Speidel 
(1830-1881) Abneigung gegen den Geruch des 
Zuchthauses. Damit war, wie dieses Beispiel 
zeigt, das Burgtheaterrepertoire auch unter der Di- 
rektion Dingelstedt (1870 - 1881) mit naturalisti- 
schen Zeichen behaftet, die die Mäzenaten der 
Kunst in den adeligen Salons nicht akzeptieren 
wollten. Sonnenthal fand in der Rolle des "Fuhr- 
mann Henschelit (1899) bei einem Teil des Burg- 
theaterpublikums nur deshalb Verständnis, weil er 
diese schlichte Figur in Wilhelm Teils Tonart ver- 
setzte und Züge des modernen Verismus Gerhart 
Hauptmanns mit Schiller veredeltem; bei 
Hofmannsthal-Aufführungen mußten gleichartige 
Retuschen nicht erst gefordert werden. 
Weniger gefährdet waren die sozialen Positionen 
in der Oper. Sie schien stärkere Repräsentations- 
momente anzubieten als die Schauspieiatmo 
sphäre. Dem Sitzungsprotokoll eines Ausstat- 
tungskomitees, das Vorkehrungen für die Eröff- 
nung des neuen Wiener Opernhauses zu treffen 
hatte, und dem auch Franz Dlngelstedt als Hof- 
operndirektor angehörte, ist 1868 zu entnehmen, 
daß ein paar Opern "dergestalt in Szene gehen" 
sollen, "daß sie dem stets auf das Ausland hinwei- 
senden Publikum genügend zeigen, wie wir es 
auch hier in Wien verstehen, historische Treue mit 
der Befriedigung der Augenweide zu verblndenW. 
Dingelstedt selbst hatte schon um die Mitte der 
fünfziger Jahre als Hoftheaterintendant in Mün- 
chen malerische Akzenre in der historischen Büh- 
nengestaitung und in der Bewältigung der Schau- 
spielergruppierung betont, durch die 1875 im 
Burgtheater vorgestellte Neuheit der Inszenierung 
des gesamten ShakespeareKönigszyklus erwarb 
er sich aber im Wiener Raum den Beinnamen 
"Scnliemann Shakespearesuu. Daß dieses Unter- 
nehmen den Flaum des alten Burgtheaters zu 
sprengen drohte, deutet eine Kritik von Heinrich 
Laube an, der als Burgtheaterdirektor (1850 bis 
1867) freiwillig aus dem Amt geschieden war: 
„Man nennt die Königsdramen bekanntlich ,Histo- 
rien', zu deutsch Geschichten, weil sie keine Dra- 
men sind. Zur Entschädigung kriegt man auf dem 
kleinen Theater sorgsam wie Im Ballett eingeübte 
Schlachten zu sehen und viel Pagen und kostbare 
Kostümeßrr. Fünf Monate nach Dingelstedts ins- 
zenierungsfolge traten die Meininger zu ihrem er- 
sten Wiener Gastspiel im Theater an der Wien, un- 
ter anderem mit Shakespeares "Julius Cäsar", 
Schillers nFlQSCOrr und Kleists "Herrmann- 
schlachtii auf. Für Ludwig Speidel szenierte Her- 
zog Georg ll. von Meiningen ungefähr so, wie Pilo 
ty in München malte, ihn störte "ihre Prätension" 
historisch korrekt zu sein. "So etwas malt man auf 
die Leinwand und verliert weiter kein Wort 
darüberW. 
Solche Worte dürfte man auch Laube zuschrei- 
ben, und deshalb konnte diesem großen Theater- 
praktiker der freizügige Vorwurf gemacht werden, 
daß er für die Ausgestaltung des äußeren Schau- 
piatzes "nicht den geringsten Sinn hattewrr. Ge- 
gen eine solche Unterstellung spricht zum Bei- 
spiel die Reaktion auf Laubes erste Wiener Shake- 
22 
speareinszenlerung, "Julius Caesar" (1850), zwan- 
zig Jahre vor Dingelstedt am Burgtheater: "Mit 
staunendem Jubel begleitete das Publikum die 
Volksszenen, die Laubes Bearbeitung noch leben- 
diger gestaltet hatte, es bewunderte auch die hi- 
storische Richtigkeit in Kostümen und Dekoratio 
11801641, Einschrankend muß bemerkt werden, daß 
der Jubel vor allem der politischen Aktualität der 
Volksszenen galt. Adam Müller-Guttenbrunn 
meinte am Ende der achtziger Jahre: vLaubes Kor- 
rektheit und Nüchternheit hinderten ihn nicht, al- 
lem seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, denn ein- 
seitig war er nie. Dingelstedt wardies im höchsten 
Grade. Er lebte nur in dem Gedanken an seine 
Schaustücke", "niemand kann sich seiner that- 
kräftigen Förderung rühmen außer er selbstwii. 
 
4 Prunkfoyer des Neuen Hofburgtheaters, um 1890 
5 Großer Ausschnitt aus der Mitte des "Triumphzuges 
des Bacchus und der Ariadne" von Rudolf Weyr, 1881182 
Anmerkungen 9-23 
' Adolf von Sorinenthals Briefwechsel Hrsg. Hermine Sonnenthal. 
Stuttgart 1912. Bd. 2, S. 112 
Neue Freie Presse 2. s. ieao (Ludwig Speidel) 
m Sonnenthal 3.3.0. Bd. 2, S. 1581., 172i. 
" Sltzungsprotokoil 4. 11. 18GB. Hause Hnf- und Staatsarchiv. Oper 
145 
" Schlepprlik, Alfred: Grundlagen und Entwicklung der Repertoire- 
gesialtung im Wiener Burgtheater zwischen 188i und 1914. Dies. 
Wien 1959, S. 31 
u Deutsche Rundschau. Hrsg. Juiius Rodenberg.Beriin1874 1. Jg 
Heft 7, April 1575 
" Speidel, Ludwig: Schauspieler. Berlin 1911. s. 4sit 
" Berger, Alfred: Meine Hamburglsche Dramaturgie. Wien 1910. 
S. 229 
Wirikler. Helga: Die Kostumgestalter des Wiener Burgtheaters in 
der Zeit von 1845 bis 1900, Biss , Wien 1566. S. B5 
w giüIier-Guttenbrunn, Adam. Das Wiener Theaterleben. Wien 1890. 
.31 
" winriler a.a.O. S. 9a 
- Drarnaiurglsche vnnrage wien 1390, s 1111i. 
. 51 
s 1441i 
1' Hebbei. Friedrich: Mein wun überdas Drama: in: Sämtliche Werke 
in 12 Bänden. Hrsg. Hermann Krumm. Leipzig 1867. au. 10. s. 13. 
15. 44, 49 
"i Titel eines Feuilletons von s. Pflügen in- Neues Wiener Tagblatt 
6.12.1B75.S.11 
 
Welche Vorwürfe von zeitgenössischen Kritikern 
und anderen einflußreichen Organen aber ande 
rerseits gegen Laube erhoben worden sein moch- 
ten, unter seiner Führung waren immerhin die 
Schauspielergrößen Bernhard Baumeister, Fried- 
rlch Beckmann, Ernst und Helene Hartmann, Karl 
Meixner, Adolf Sonnenthal und Charlotte Wolter 
engagiert worden, die auch noch unter Dingel- 
stedt zu den Glanzstücken des Burgtheaters zähl- 
ten. Diese Schauspieler hatten solche Qualitäten 
als Bühnenpersönlichkeiten, daß ihnen in der 
zweiten Hälfte des 19. Jh.s ein bedeutender Teil 
der Burgtheaterdramatik auf den Leib geschrie- 
ben werden konnte. Laube war die Verteidigung 
des Burgtheaters als Sprachfeste ein wesentlich 
größeres Anliegen, Schauspieler, die auf diesem 
Boden groß wurden, konnten sich noch in pompös 
beladenen Kaschierungen behaupten; die Pflege 
der Sprache war übrigens schon lange mit der Na- 
tionaltheaterldee verknüpft. Man bemühte sich 
das ganze 19. Jh. hindurch, den eigenen Sprach- 
und Bilderschatz mit der Nationalhistorie zu ver- 
binden. Eine vielfarbige Palette mehr oder weniger 
bewegter "Tableaux vivanlsii wurde auf die Bühne 
gebracht, das Angebot reichte von Momenten aus 
Österreichs Geschichte, die bekannten Gemälden 
heimischer Historienmaier nachgestellt wurden, 
bis zu aufwendigen Krönungszügen. Der EinfluB 
der bildenden Kunst bis in den privaten Bereich 
wird zum Beispiel in einem "Brevier der Konversa- 
tion und gesellschaftlichen Unterhaltung" 1878 
offenbar, wo das Kapitel über "Lebende Bilder" 
unter das Motto gestellt ist: "Selbst im Augen- 
blick des höchsten Glücks und der höchsten Noth 
bedürfen wir des Künstiersß in frühen höfischen 
Festspielen geübte Gruppierungen und Schiußta- 
bleaus mit Ausrichtung auf eine Mittelachse wa- 
ren noch für Dingelstedt verbindlich, sein Ausstat- 
ter Franz Gaul galt besonders beim Adel als ver- 
sierter Arrangeur Lebender Bilder. Schon in sei- 
nem Dienstvertrag für die Wiener Oper hatte sich 
Gaul verpflichtet, "auf jedesmaliges Verlangen 
der betreffenden Direktion, im Vereine mit dersel- 
ben, oder den betreffenden Herren Regisseuren, 
bei Stellung von Gruppen, Tableaux, festlichen 
Aufzügen, die künstlerische Aufstellung zu 
leitenrr. im selben Vertrag wurde ihm auch die Frei- 
heit zur gründlichen Reform im Kostümbereich 
der Hoftheater in "künstlerischen wie histori- 
schen Belangen" zugestandenw. 
Nach derart tradierten Gesetzmäßigkeiten zählt 
Alfred von Berger um 1890 zu den Hauptaufgaben 
eines Regisseurs, "nicht nur den geistigen Gehalt 
zu einleuchtender Erscheinung" zu bringen, son- 
dern "innerhalb gewisser Grenzen" auch dafür 
Sorge zu tragen, "daB diese Erscheinung in einer 
Reihe plastischer, ästhetisch befriedigender 
Gruppen oder Bilder vor sich gehemii. Es hatte 
sich in der Vorliebe für die Symmetrie anschei- 
nend die Tradition einer zentralen weltlichen und 
religiösen Ordnung erhalten. Die Idee der Huldi- 
gung war aber auch in vielen Massenszenen, z. B. 
in Form der bereits notierten Krönungszüge, aus- 
gedrückt, die sich bruchlos bis zu den geistlichen 
und weltlichen Prozessionen des Mittelalters zu- 
rückverfoigen lassen. 
im Historismus hat es den Anschein, als würde 
die Szene mehr Bewegung erfahren, man kann Pa- 
rallelen zur zeitgleichen Entwicklung des Um- 
gangs mit dem bewegten Abbild im "Lebensradii 
oder den optischen Zauberscheiben entdecken. 
Den Eindruck des Gastspiele der Meininger be- 
schreibt Ludwig Speidel auch in diese Richtung 
und vermerkt den "Hauptstolz" ihrer Theaterregie 
in der "Kunst, Gruppen zu stellen, zu bewegen, in- 
einander ÜbEfZUiÜhfEfln. "Wie ein plastisches 
Bildwerk, das lebendig wird und sich zu bewegen 
beginnt." "Das Meininger Shakespeare-Volk ist 
ein Ungeheuer, an dem kein Nerv schlaff, kein
	        
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