dings nicht unterordnen konnte. Josef Bayer ging
in seinem Buch wDas neue K. K. Hofburgtheater
als Bauwerk", Wien 1894 (Die TheaterWiens Bd. 3)
auch auf die plastischen Details des Bacchus-
zuges ein.
Die Grenzen des Schönen und damit das Feld der
darstellbaren Wahrheit wurden durch traditionelle
Moralbegriffe auch auf der Bühne abgesteckt. Der
Hofschauspieler Adolf Sonnenthal (1834 - 1909),
der durch die Darstellung von Persönlichkeiten
aus der Geschichte des Altertums großen Anwert
gewann, bereitete sich auf die Darstellung des Fa-
bricius (in Wilbrandts "Tochter des Herrn Fabri-
cius") durch den Besuch des Gefängnisses von
Capo d'lstria vorg, doch trotz seiner idealisierten
Darstellung empfand der Kritiker Ludwig Speidel
(1830-1881) Abneigung gegen den Geruch des
Zuchthauses. Damit war, wie dieses Beispiel
zeigt, das Burgtheaterrepertoire auch unter der Di-
rektion Dingelstedt (1870 - 1881) mit naturalisti-
schen Zeichen behaftet, die die Mäzenaten der
Kunst in den adeligen Salons nicht akzeptieren
wollten. Sonnenthal fand in der Rolle des "Fuhr-
mann Henschelit (1899) bei einem Teil des Burg-
theaterpublikums nur deshalb Verständnis, weil er
diese schlichte Figur in Wilhelm Teils Tonart ver-
setzte und Züge des modernen Verismus Gerhart
Hauptmanns mit Schiller veredeltem; bei
Hofmannsthal-Aufführungen mußten gleichartige
Retuschen nicht erst gefordert werden.
Weniger gefährdet waren die sozialen Positionen
in der Oper. Sie schien stärkere Repräsentations-
momente anzubieten als die Schauspieiatmo
sphäre. Dem Sitzungsprotokoll eines Ausstat-
tungskomitees, das Vorkehrungen für die Eröff-
nung des neuen Wiener Opernhauses zu treffen
hatte, und dem auch Franz Dlngelstedt als Hof-
operndirektor angehörte, ist 1868 zu entnehmen,
daß ein paar Opern "dergestalt in Szene gehen"
sollen, "daß sie dem stets auf das Ausland hinwei-
senden Publikum genügend zeigen, wie wir es
auch hier in Wien verstehen, historische Treue mit
der Befriedigung der Augenweide zu verblndenW.
Dingelstedt selbst hatte schon um die Mitte der
fünfziger Jahre als Hoftheaterintendant in Mün-
chen malerische Akzenre in der historischen Büh-
nengestaitung und in der Bewältigung der Schau-
spielergruppierung betont, durch die 1875 im
Burgtheater vorgestellte Neuheit der Inszenierung
des gesamten ShakespeareKönigszyklus erwarb
er sich aber im Wiener Raum den Beinnamen
"Scnliemann Shakespearesuu. Daß dieses Unter-
nehmen den Flaum des alten Burgtheaters zu
sprengen drohte, deutet eine Kritik von Heinrich
Laube an, der als Burgtheaterdirektor (1850 bis
1867) freiwillig aus dem Amt geschieden war:
„Man nennt die Königsdramen bekanntlich ,Histo-
rien', zu deutsch Geschichten, weil sie keine Dra-
men sind. Zur Entschädigung kriegt man auf dem
kleinen Theater sorgsam wie Im Ballett eingeübte
Schlachten zu sehen und viel Pagen und kostbare
Kostümeßrr. Fünf Monate nach Dingelstedts ins-
zenierungsfolge traten die Meininger zu ihrem er-
sten Wiener Gastspiel im Theater an der Wien, un-
ter anderem mit Shakespeares "Julius Cäsar",
Schillers nFlQSCOrr und Kleists "Herrmann-
schlachtii auf. Für Ludwig Speidel szenierte Her-
zog Georg ll. von Meiningen ungefähr so, wie Pilo
ty in München malte, ihn störte "ihre Prätension"
historisch korrekt zu sein. "So etwas malt man auf
die Leinwand und verliert weiter kein Wort
darüberW.
Solche Worte dürfte man auch Laube zuschrei-
ben, und deshalb konnte diesem großen Theater-
praktiker der freizügige Vorwurf gemacht werden,
daß er für die Ausgestaltung des äußeren Schau-
piatzes "nicht den geringsten Sinn hattewrr. Ge-
gen eine solche Unterstellung spricht zum Bei-
spiel die Reaktion auf Laubes erste Wiener Shake-
22
speareinszenlerung, "Julius Caesar" (1850), zwan-
zig Jahre vor Dingelstedt am Burgtheater: "Mit
staunendem Jubel begleitete das Publikum die
Volksszenen, die Laubes Bearbeitung noch leben-
diger gestaltet hatte, es bewunderte auch die hi-
storische Richtigkeit in Kostümen und Dekoratio
11801641, Einschrankend muß bemerkt werden, daß
der Jubel vor allem der politischen Aktualität der
Volksszenen galt. Adam Müller-Guttenbrunn
meinte am Ende der achtziger Jahre: vLaubes Kor-
rektheit und Nüchternheit hinderten ihn nicht, al-
lem seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, denn ein-
seitig war er nie. Dingelstedt wardies im höchsten
Grade. Er lebte nur in dem Gedanken an seine
Schaustücke", "niemand kann sich seiner that-
kräftigen Förderung rühmen außer er selbstwii.
4 Prunkfoyer des Neuen Hofburgtheaters, um 1890
5 Großer Ausschnitt aus der Mitte des "Triumphzuges
des Bacchus und der Ariadne" von Rudolf Weyr, 1881182
Anmerkungen 9-23
' Adolf von Sorinenthals Briefwechsel Hrsg. Hermine Sonnenthal.
Stuttgart 1912. Bd. 2, S. 112
Neue Freie Presse 2. s. ieao (Ludwig Speidel)
m Sonnenthal 3.3.0. Bd. 2, S. 1581., 172i.
" Sltzungsprotokoil 4. 11. 18GB. Hause Hnf- und Staatsarchiv. Oper
145
" Schlepprlik, Alfred: Grundlagen und Entwicklung der Repertoire-
gesialtung im Wiener Burgtheater zwischen 188i und 1914. Dies.
Wien 1959, S. 31
u Deutsche Rundschau. Hrsg. Juiius Rodenberg.Beriin1874 1. Jg
Heft 7, April 1575
" Speidel, Ludwig: Schauspieler. Berlin 1911. s. 4sit
" Berger, Alfred: Meine Hamburglsche Dramaturgie. Wien 1910.
S. 229
Wirikler. Helga: Die Kostumgestalter des Wiener Burgtheaters in
der Zeit von 1845 bis 1900, Biss , Wien 1566. S. B5
w giüIier-Guttenbrunn, Adam. Das Wiener Theaterleben. Wien 1890.
.31
" winriler a.a.O. S. 9a
- Drarnaiurglsche vnnrage wien 1390, s 1111i.
. 51
s 1441i
1' Hebbei. Friedrich: Mein wun überdas Drama: in: Sämtliche Werke
in 12 Bänden. Hrsg. Hermann Krumm. Leipzig 1867. au. 10. s. 13.
15. 44, 49
"i Titel eines Feuilletons von s. Pflügen in- Neues Wiener Tagblatt
6.12.1B75.S.11
Welche Vorwürfe von zeitgenössischen Kritikern
und anderen einflußreichen Organen aber ande
rerseits gegen Laube erhoben worden sein moch-
ten, unter seiner Führung waren immerhin die
Schauspielergrößen Bernhard Baumeister, Fried-
rlch Beckmann, Ernst und Helene Hartmann, Karl
Meixner, Adolf Sonnenthal und Charlotte Wolter
engagiert worden, die auch noch unter Dingel-
stedt zu den Glanzstücken des Burgtheaters zähl-
ten. Diese Schauspieler hatten solche Qualitäten
als Bühnenpersönlichkeiten, daß ihnen in der
zweiten Hälfte des 19. Jh.s ein bedeutender Teil
der Burgtheaterdramatik auf den Leib geschrie-
ben werden konnte. Laube war die Verteidigung
des Burgtheaters als Sprachfeste ein wesentlich
größeres Anliegen, Schauspieler, die auf diesem
Boden groß wurden, konnten sich noch in pompös
beladenen Kaschierungen behaupten; die Pflege
der Sprache war übrigens schon lange mit der Na-
tionaltheaterldee verknüpft. Man bemühte sich
das ganze 19. Jh. hindurch, den eigenen Sprach-
und Bilderschatz mit der Nationalhistorie zu ver-
binden. Eine vielfarbige Palette mehr oder weniger
bewegter "Tableaux vivanlsii wurde auf die Bühne
gebracht, das Angebot reichte von Momenten aus
Österreichs Geschichte, die bekannten Gemälden
heimischer Historienmaier nachgestellt wurden,
bis zu aufwendigen Krönungszügen. Der EinfluB
der bildenden Kunst bis in den privaten Bereich
wird zum Beispiel in einem "Brevier der Konversa-
tion und gesellschaftlichen Unterhaltung" 1878
offenbar, wo das Kapitel über "Lebende Bilder"
unter das Motto gestellt ist: "Selbst im Augen-
blick des höchsten Glücks und der höchsten Noth
bedürfen wir des Künstiersß in frühen höfischen
Festspielen geübte Gruppierungen und Schiußta-
bleaus mit Ausrichtung auf eine Mittelachse wa-
ren noch für Dingelstedt verbindlich, sein Ausstat-
ter Franz Gaul galt besonders beim Adel als ver-
sierter Arrangeur Lebender Bilder. Schon in sei-
nem Dienstvertrag für die Wiener Oper hatte sich
Gaul verpflichtet, "auf jedesmaliges Verlangen
der betreffenden Direktion, im Vereine mit dersel-
ben, oder den betreffenden Herren Regisseuren,
bei Stellung von Gruppen, Tableaux, festlichen
Aufzügen, die künstlerische Aufstellung zu
leitenrr. im selben Vertrag wurde ihm auch die Frei-
heit zur gründlichen Reform im Kostümbereich
der Hoftheater in "künstlerischen wie histori-
schen Belangen" zugestandenw.
Nach derart tradierten Gesetzmäßigkeiten zählt
Alfred von Berger um 1890 zu den Hauptaufgaben
eines Regisseurs, "nicht nur den geistigen Gehalt
zu einleuchtender Erscheinung" zu bringen, son-
dern "innerhalb gewisser Grenzen" auch dafür
Sorge zu tragen, "daB diese Erscheinung in einer
Reihe plastischer, ästhetisch befriedigender
Gruppen oder Bilder vor sich gehemii. Es hatte
sich in der Vorliebe für die Symmetrie anschei-
nend die Tradition einer zentralen weltlichen und
religiösen Ordnung erhalten. Die Idee der Huldi-
gung war aber auch in vielen Massenszenen, z. B.
in Form der bereits notierten Krönungszüge, aus-
gedrückt, die sich bruchlos bis zu den geistlichen
und weltlichen Prozessionen des Mittelalters zu-
rückverfoigen lassen.
im Historismus hat es den Anschein, als würde
die Szene mehr Bewegung erfahren, man kann Pa-
rallelen zur zeitgleichen Entwicklung des Um-
gangs mit dem bewegten Abbild im "Lebensradii
oder den optischen Zauberscheiben entdecken.
Den Eindruck des Gastspiele der Meininger be-
schreibt Ludwig Speidel auch in diese Richtung
und vermerkt den "Hauptstolz" ihrer Theaterregie
in der "Kunst, Gruppen zu stellen, zu bewegen, in-
einander ÜbEfZUiÜhfEfln. "Wie ein plastisches
Bildwerk, das lebendig wird und sich zu bewegen
beginnt." "Das Meininger Shakespeare-Volk ist
ein Ungeheuer, an dem kein Nerv schlaff, kein