in eine Steigerung, die schon seinerzeit als Verwil-
derung empfunden wurde, obwohl Sonnenthal
den römischen Kaiser maßvoll, "wenigstens äu-
ßerlich, vor dem Ausarten in die zerzerrte
Fratzen" bewahrte. "Dämonische MlSCTIOEIUFEHu
waren dem Publikum in der Einkleidung von Frau-
en attraktiver. Charlotte Wolter gab in "Nero" von
Wilbrandt die "Biutglefge, schöne" Poppaa,
vHalb Fleisch, halb Stein - Vestalin und Hetare"
(U5).
Ein Zug ins KoIossaIe und in den starken Gegen-
satz begleitet die Entwicklung von Laubes Köni-
gin Christine in nMonaldeschi" (1841), der es nim
Blute" liegt, nallen Willen sogleich in That verwan-
delt zu sehn", oder von Hebbels Mariamne (1847),
die als Persönlichkeit, nicht als Sache gelten will,
zu Wilbrandts tArria und Messalina" (1872).
Die Wolter gab in der Kurtisane Messalina "in bac-
chantischer, griechischer Schönheit jeder Bewe
gung" itein berauschendes Bild25". Es war eine
Entwicklung zu Leitbildern, die zwar das Gemüt
bezwangen, aber in ihren lockenden, frei ausgrei-
fenden Bewegungen auch den Hintergrund, ihr ei-
genes Systemfeld aufzulösen begannen. Sie sind
Sinnbild der lodernden Kraft, die sich noch dem
schönen Bild oder den harmonisch dirigierten
Gruppierungen angleichen wollte. Für das Publi-
kum war der Spektakel zumindest doch über-
schaubar; "Rom sitzt im Circus, sieht die Fechter
sterben" (Nero ll-t). Für Hebbel war die Gestalt Ne
ros an die Aufgabe gebunden ihn "zu vermenschli-
chen, ihn auf etwas Ewiges in der Menschennatur
zurückzuführen". Für Wilbrandt ist die Spaltung
dieses Charakters aber zu extrem formuliert, um
mit seinen Mitteln psychologischer Deutung hin-
länglich glaubwürdig zu werden.
Was in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s zum Kampf
zwischen dem Bösen und dem passiven Schönen
tendiert, war in Gutzkows Jugendkorriödie wNero"
(1834) noch als Auseinandersetzung zwischen
dem Guten und dem Schönen gedeutet. Gegensät-
ze sollten nicht aufgeschaukelt, sondern über-
brückt werden. Gutzkow versuchte, "die Extreme
in einem höheren Dritten zu vereinen"; nwie nahe
rückten wir immer und immer wieder dem Neroni-
schen Zeitalter!" Es "gibt sich jetzt unter Blumen
gemäßigter, gemilderter in ihren Kundgebungen
durch Civilisation und Christentum; die geheimen
Gelüste der menschlichen Doppelnatur sind die-
selben gebliebenza".
Obwohl schon etwa hundert Jahre vor Gutzkow
ein "Nero" als "politisches Drama" von Bodmer
entstanden war, hatte Wilbrandt noch nicht den
letzten Beitrag zu diesem Stoff geliefert. Der Kreis
des daran interessierten Publikums wurde 1901
noch erweitert, als das Kaiserjubiläums-
Stadttheater rim Zeichen des Kreuzes", den pomp-
haft ausgestatteten Bilderbogen waus der Zeit der
Christenverfolgung unter Kaiser Nero", als lange
ausverkauften Sensationserfolg bot.
Auch hier stand die Ausstattung im Vordergrund
eines Interesses, dem auf dem Gebiet der bilden-
den Kunst Deiacroix mit dem von Byron inspirier-
ten riTod des Sardanapal" (1827) entsprochen hat-
te, in dem schon das Absterben der Romantik ver-
mutet worden war; Hans Makart folgte beispiels-
weise mit den Gemälden i-Messalina" (1876) und
"Bacchantenfamille" (1880), auch "Nero beim
Brand von Rom: (um 1865), wurde ihm zugeschrie
ben, und Alma Tadema, um noch ein Beispiel zu
nennen, hatte diese Themen im wFest der Weinie
se im alten Rom" (1879) und der wWeihung zur Bac-
chuspriesterln" (1889).
in der Wiener Oper wurde das Ballett iiSardana-
pal" von 1869 bis 1881 einhundertrnal aufgeführt,
bevor die Oper iiNero" von Rubinstein 1885 folgte.
Sie war mit einem feierlichen Aufzug Neros vor
rrsnhaiiliistin naffendem Vnlkeu und anderen nrel-
stattet; die großen Kosten für Dekorationen und
Kostüme schienen durch nur sieben Aufführun-
gen nicht gerechtfertigt, obwohl der Kritiker Hans-
lick diese Inszenierung wzu den größten Sehens-
würdigkeiten und den glänzendsten Thaten des
Hofoperntheaters" zählte.
Derselbe Eduard Hanslick zog eine Parallele wide-
korativer Genialität" zwischen Wagner, Makart
und Hamerling, die besonders die beiden Letzte
nannten thematisch in einem r-Schwanenlled der
Romantik" nahebringt. Diesen Titel trug ein be-
zelchnender lyrischer Erguß von Robert Hamerling
aus 1862, in dem der Dichter nachts von Venedig
aufs Meer gondelt, dabei Vergangenheit und Ge-
genwart vergleicht, befürchtet, daß der Kult des
Herzens und der Schönheit gegen die Nüchtern-
heit der Zeit verschwinden werde, und Rettung im
Gedanken an die Liebe zum Vaterland glaubt.
Weit wirkungsvoller als mit derartigen nationalen
Zügen blieb Hamerling mit seinem Versepos
nAhasver in Rom" (1865), das Neros Zelt in roman-
tischer Übersteigerung wiedergibt und hier zur
Kennzeichnung von Historismus zitiert werden
darf:
"Wollt Bilder ihr von reichstem Lebensprunkl Und
tollster Schwelerei? Ich gebe sie. I Wollt ihr
titan'sche Laster und Verbrechen?! ich gebe sie.
Singen will ich eine Epopöel Des Sinnentaumels,
des Genusses Euch, I Der Sättigung und - Über-
sattigung, I Des Lasters - nah' dem Punct, wo
sich's erbrichtn
Und wieder ist es das Thema des großen Zuges,
das hier in genau der Form durch die Zeiten geht,
wie sie die Front des Burgtheaters ziert; es ist ein
Blick zurück ins alte Weltbild, die große Heer-
schau vor dem Kehraus: itWas stört die Ruhe der
Olympier, I Die nie gestörte seit Jahrtausenden?
Bacchanten sind's, geführt von Dionysos! in
ihrer Mitte I Auf prächtgem Triumphatorwagen
fährt! Der hauptumlockte Dionysos selbst Sie
thront an seiner Seit' als Ariadne Als Herold
wandelt Jetzt voran Silen: I Zum Thronsitz des er-
schrocknen Jupiteryr der Herold verkündet dem
Olympier, daß seine Zeit vorüber sei: wes geht I Die
Welt schon allzulang den alten Trott Der neue
Gott ist Nero-Dionysos!"
Dieses neue Programm klingt wie eine Absage an
jene Kontinuität, die dem Apollinischen zugeord-
net bleibt: i-Wozu wär' aller Reichthum dieser Welt
I Zusammen hier geströmt im goldnen Rom, I
Wenn wir in süßem Rausch ihn nicht verpraßten!
Der Mensch will göttlich werden durch die Lust,
I Und schicksallos - und ein Naturbeherrscher."
Nero-Dionysos wird alsbald vor der christlichen
Lehre, vor den Bildern des Friedens und der Entsa-
gung von Todessehnsuchr ergriffen, er fühlt die
bestandigere, stärkere Kraft, und stößt sich vor
den Augen des greisen Ahasverus das Schwert
des Germanen durchs Herz. Der unversöhnte Jude
zeichnet die Zukunft: wDie wilde Größe des Cäsa-
renalters, I Hinstürzt sie jetzt mit ihm; was nach
ihm kommt! lst nur ein schnödes EpigonenthumJ
Ein klägliches, selbst nicht mehr groß genug I Zu
größern Lastern. Eine neue Zeit I Sucht neue Hel-
den sich auf neuer Stätte! Der neugeborne Phö-
nix Menschengeisi, I Gen Norden fliegt er, und in
freiern Lüften I Abschüttelt er von goldner Schwin-
ge dort I Den Aschenrest des Brandes, daraus er
stieg."
Nero-Dionysos hatte hier teil an der romantischen
Todessehnsucht, an der von mörderischer Leiden-
schatt historischer Wallungen ausgebrannten
Menschlichkeit, die dem r-fin-de-siecle" In der Ent-
sagung aristokratische Züge lieh.
Das Leitbild war vor der übersteigernden Dekora-
tion des Theaters in großer Unstimmigkeit, es war
eine Krise des sich in Flammen verzehrenden Äu-
ßeren. das in der hohen Ästhetik seinen letzten
6 Ausschnitt aus der rechten Hälfte vom itTriumphz
des Bacchus und der Aliädnßu
7 Bacchisches Waldidyll vom Ende des i-Triumphzug
des Bacchus und der Ariadne"
Anmerkungen 24-61
1' Neues Wiener Tagblatt a. 12. 1575. s ii (s. Schlesingcr)
1' Köhier a.a.O. S. B6
" Gutzkow, Karl: Dramatische Werke. Jene 1a12. au. 20 Vorw1
" Gegen den Strom a.a.O. Halt XVll (was). s. 10
1' Troeitsch. Ernst: Der Historismus und seine Überwindung. l
Vorträge. Berlin 1924. s. 451.
1' Weilen, Jnset: Szenischur Prolog zur Eroiinung des u. Hofb
theaters. Wien iaae
s" Berliner Courier2. t1.1BßE(Dle Miristitnus im neuen Burgthea
Bauernfeld, Eduard: Erinnerungen aus dem Alten Eurgtheate
Neues Wiener Tagblatt 15 1. iaae
Wirikier aaO. 5,14