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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 163)

Walter Zettl 
Kunst und Architektur als 
Spiegel und Kulisse der 
Wiener Gesellschaft um die 
Jahrhundertwende 
en des Übergangs gewinnen durch ihre Viel- 
chtigkeit, mit Abstand betrachtet, an Bedeu- 
1. Es genügt aber nicht, diesen Abstand allein 
zh die zeitliche Entrttckung herzustellen, wir 
isen vielmehr trachten, diesen auch zu unse- 
eigenen zeitgebundenen Standpunkt zu erlan- 
. um zu den großen Zusammenhängen zu fin- 
und damit eine möglichst objektive Wertung 
h jener Geschehnisse zu erreichen, die Gegen- 
1d unserer Untersuchung sind. Nur zu leicht 
nten wir uns bei einem Thema, wie dem mir ge 
iten, zu einer emotionelI-retrospektiven Be 
htung hinreißen lassen, wie wir sie in Reinhold 
neiders (1903-1958) Notizbüchern aus den 
'en 1957158 nach seinem Besuch des Burgthea- 
lesen können, die er während seines Wien- 
Historismus im 19. Jahrhundert zurückß. Mit dem 
Wohnpark in Alt-Erlaa wird hingegen ein Anliegen 
von Adolf Locs (1870-1933) - wenn auch nur 
zum Teil und unter den heute ganz anders gearte 
ten sozialen Voraussetzungen - realisiert, der 
von sich sagt: vEs war immer meine Sehnsucht, 
ein solches Terrassenhaus für Arbeiterwohnun- 
gen zu bauen. Das Schicksal des Prcietarierkin- 
des vorn ersten Lebensjahr bis zum Eintritt In die 
Schule dünkt mich besonders hart. Dern von den 
Eltern in die Wohnung eingesperrten Kinde sollte 
die gemeinschaftliche Terrasse, die eine nachbar- 
Iiche Aufsicht ermöglicht, den Wohnungskerker 
öffneniu Wie sich in dieser Wunschvorstellung 
politische, soziale und künstlerische Elemente 
verbinden, so können wir eine ähnliche Symbiose 
in jener Zeit feststellen, in der wir beginnen, mit 
unseren Untersuchungen einzusetzen. 
Zwei Kräfte bestimmten nach der Mitte des 
19. Jahrhunderts die Entwicklung der Künste in 
Wien: der Neuabsolutismus mit seiner zentralisti- 
schen Staatsgesinnung, welche sich in der Stadt- 
planung und in den Monumentalbauten äußerlich 
manifestierte, sowie das zu Ansehen und Geltung 
gelangte Großbürgertum. Dieses etablierte sich in 
den Ftingstraßenpalais neben den Residenzen der 
Erzherzöge und des Hochadels in dem Bemühen, 
ihrer Existenz ein seiner Bedeutung entsprechen- 
des Dekor zu verleihen. Den Hintergrund für diese 
Vorgänge bildete der Wandel in der politischen 
und gesellschaftlichen Struktur der schnell an- 
wachsenden Großstadt. 
 
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inthaltes, wenige Wochen vor seinem Tod, 
ndruckt von der dortigen vKaiserstiegeu, auf- 
aichnet hat: vDie Stiege wartet auf den Kaiser, 
nicht wiederkehrtki Und weiter: "Der Kaiser 
imt nicht. Er geruht nicht die Stiege zu betre- 
Das Klima der Welt sagt ihm nicht zu. Und wir 
Regisseure und Autoren und das düpierte Pu- 
1m, treiben wesenlcs durch den glänzenden 
tesaall." Aber das Wien von Heute ist nicht 
die ehemalige Kaiserstadt und ein Denkmal 
mitteleuropäischen Koine des hinabgesunke 
Vielvülkerreiches, es hat auch ein sehr gegen- 
tiges Eigenleben, in dem das Wunschdenken. 
i Metropole zu sein, wachgeblieben ist. Auf un- 
Thema eingehend, brauchen wir unseren Blick 
einer der eigenartigsten Schöpfungen zuwen- 
nämlich der vieldiskutierten Hochhaussied- 
1 in Alt-Erlaa am Südrand von Wienz. Mit ihr 
l ein unserem Zeitalter entsprechender Ver- 
1 unternommen, Architektur, Malerei und Gar- 
xaukunst zu einem funktionellen Gesamt- 
stwerk zu verbinden: mit den terrassenförmi- 
Hochhäusern, den weiten Parkanlagen und 
Monumentalgemälden von Georg Eisler (geb. 
i), Adolf Frohner (geb. 1934), Alfred Hrdlicka 
l. 1923) und Fritz Martinz (geb. 1924). 
vird uns dabei der weite Weg bewußt, den der 
imunale Wohnbau in Wien seit seinen Anfän- 
bis in die Gegenwart durchgemacht hat. Die 
nlichen Ausmaße der Trakte und Hofe des 
3 entstandenen Hanusch-Hotes oder die 
:htigkeit der Baumassen des 1930 fertigge 
lten Karl-Marx-Hofes weisen durch ihre Monu- 
italität in die Denkräume des ausklingenden 
1 Neues Hofburgiheaier, Wien 1, DL-Karl-Lueger- 
Ring 2. Südliches Feststiegenhaus gegen Norden, 
sog. "Kaiserstiegew 
2 Hauptansicht der Hochhaussiedlung in Alt-Erlaa am 
Südrand von Wien 
3 Hauptfront des Karl-Marx-Hofes in Wien 19, Heiligen- 
Städter Straße 
Anmerkungen 1- 5 s. S. 29 
 
Die Fladikalisierung der über die anfänglich be- 
scheidenen liberal-konstitutionellen Wünsche hin- 
aus nach demokratisch-soziallstischen Zielen vor- 
stoßenden Massen ließ das um seine wirtschaft- 
lichen Interessen besorgte Bürgertum rasch zu 
einem pseudoliberalen Konservativismus zurück- 
kehren und machten nBesitz und Bildung" zu Bun- 
desgenossen der Gegenrevolution. Schon die 
Märzverfassung und die anderen großen Geset- 
zeswerke der Jahre 1849150 waren auf das politi- 
sche Übergewicht des wohlhabenden Bürgertums 
abgestellt, in dem an Stelle des Vorrechtes der 
Geburt jenes des Besitzes gesetzt wurde. Mit der 
Rückkehr zum Absolutismus ging die nBOUFQBOÜ- 
Siell in Opposition. Diese war um so wirksamer, 
als auch der reaktionäre Staat an der nun schon 
überlieferten liberalen Wirtschaftspolitik festhielt 
und das in seiner Daseinsgrundlage gesicherte 
Großbürgertum in der Beamtenschaft über viele 
Freunde verfügte. 
Die bürgerliche Oberschicht dankte es dieser Ver- 
bindung mit der Bürokratie und ihrer erstarkenden 
Wirtschaftskraft, daß es trotz des Mangesl Jegli- 
cher gesetzlicher Vertretung 1859 nach dem Zu- 
sammenbruch des v-Bachschen Systemsu durch 
die in Italien erlittenen Rückschläge ohne Verzug 
das Erbe der absolutistischen Ära antreten 
konnte5. 
Die Arbeiter standen damals in ohnmächtiger Ver- 
einsamung. Das sich gegenüber aller höfischen 
und hochadeligen Widerstände durchsetzende 
Bürgertum, dessen Führung sie sich in den März- 
tagen 1848 bereitwillig unterstellten, hatte sie im 
Stiche gelassen. Trotzdem wurden sie sich all- 
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