mählich ihrer in der Masse liegenden Macht be-
wußt und begannen die Unternehmer fühlen zu
lassen, daß sie ihre Arbeitskraft als einen den an-
dern "Produktionsmittelnu gleichzusetzenden
Wert erkannt hatten. Im künstlerischen Erschei-
nungsblld der Stadt Wien wurde diese Entwick-
lung dadurch sichtbar, daß neben den, die dyna-
stiche Macht verherrlichenden Monumenten, die
ersten Zeugnisse einer neuen bürgerlichen Kultur
traten. Einen Beweis dafür stellt allein schon die
wRingstraßeu dar, die sowohl in ihrer finanziellen
als auch in ihrer architektonischen Konzeption
nicht auf einem fürstlichen Mäzenatentum, son-
dern auf dem bürgerlichen Selbstgefühl beruhte.
Den Auftakt gab dazu das kaiserliche Handschrei-
ben an den Minister des Inneren, Alexander Frei-
herr von Bach (1813- 1893), das am Weihnachts-
tag 1857 veröffentlicht worden ist und aus dem
hervorgeht, daß durch die Auflassung der Umwal-
Meister des Historismus bauen wollten, wwie es
sein konnten, so lieferten ihre Nachahmer in den
Vorstädten eben Gebäude, wie sie nicht sein soll-
ten. Dieser Abglanz der Wiener Ringstraße durch-
drang im Guten und im Schlechten die ganze M0
narchie von Lemberg bis Laibach und von Aussig
bis Temesvarlß.
Bereits um 1870 stand das Bild von "Neu-Wien"
fest. Dieser Terminus wurde vom Selbstgefühl je-
ner Generation geprägt, die alle Umwandlungen
und Neuerungen seit 1857 selbst mitgemacht und
bei ihnen mitgewirkt hatteia.
Mit der Gründung der wGenossenschaft der bil-
denden Künstler Wiensu im Jahre 1861, der als er-
ster Präsident der Architekt August Sicard von Si-
cardsburg (1813- 1868) vorstand und der gemein-
sam mit Eduard van der Null (1812 - 1868) die Wie
ner Oper erbaut hatte, ist zugleich jenes Forum
geschaffen worden, auf dem sich Adel und Bür-
italienischen und nordischen Barocks fortsetzte,
war aller Wiener Tradition zum Trotz der Primat
der Musik im Kunstleben auf die Malerei über-
gegangenli Der Wiener Kunstkritiker Ludwig He
vesi (1842 - 1910) bekennt, daB Makart einem farb-
losen Menschenaiter den Todesstoß gegeben ha-
be: nMan fürchtete sich nicht mehr vor der sinnlo-
sen Pracht der Erscheinung. Man trug 'Makart-
Rof, man setzte sich weit ausgreifende 'Makart-
Hüte auf, man machte in Kostüm und Mobiiar
eine augenschwelgerische Plüschepoche in den
Lippigsten Makartfarben durchlö."
Den größten seiner Triumphe erzielte Makart, als
ihm 1879 vom Wiener Gemeinderat die Oberlei-
tung des Huldigungsfestzuges zur Silberhochzeit
des Kaiserpaares anvertraut worden ist. Dieser
Festzug war aber zugleich auch eine Verherrli-
chung des Wiener Bürgertums und der auf dieses
angewiesenen Künstierschaft. Als Makart selbst
lung und Fortifikationen sowie der Stadtgraben,
die Erweiterung der inneren Stadt und ihre Verbin-
dung mit den Vorstädten in Angriff genommen
werden soll7.
Aus dem Wettbewerb für eine Gesamtlösung des
Problems dieser geplanten Stadterweiterung ging
der aus Bayreuth stammende Architekt Ludwig
von Förster (1797-1863) als Gewinner hervor.
Sein Plan, der eine breite, die Stadtmitte um-
schließende Prachtstraße, vorsah, erhielt durch
die mit der Realisierung beauftragten Architekten
Moritz Löhr (geb. in Berlin) und Ludwig Ritter von
Zettl (1821 -1891) einige durch praktische Gege-
benheiten geforderte wesentliche Änderungenß.
Der Wiener Kunsthistoriker Bruno Grimschitz
(1892 -1964) nahm vor mehr als dreißig Jahren die
heutige Valorisierung der Wiener Ringstraße be
reits vorweg, indem er feststellte, daß durch sie
dem barocken Ideal straffer begrenzender Raum-
bildung ein neues, malerisch freier Raumauflö-
sung gegenübergetreten sei; auf diese Weise sei
die Architektur durch die Malerei revolutioniert
wordeng.
Dieser positiven Erkenntnis hält Hermann Broch
(1886-1951) in seiner Studie "Hofmannsthal und
seine Zeit" jedoch entgegen, daß sich die "Wesens-
art eines Zeitabschnittes jeweils an ihrer archi-
tektonischen Fassade ablesen läßta, und die ist
für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, also für
die Periode, in die Hoffmannsthals Geburt fällt,
wohl eine der erbärmlichsten der Weltgeschichte;
es war die Periode des Eklektizismus, die des fal-
schen Barocks, der falschen Renaissance, der fal-
schen Gotikiou.
Der bürgerlichen Großmannssucht folgte auch
bald die Verflachung. So wurden z. B. die Karyati-
den, welche Balkone und Portale tragen mußten,
statt in Marmor aus Gips und Zement hergestellt.
In den Vorstädten wurden hinter dem Talmiprotz
der Fassaden die Kleinbürger- und Arme-Leute
Quartiere aneinandergereiht, in denen es nur eine
Wasserleitung pro Stockwerk gab". Wenn die
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gertum begegneten. Der Kaiser schenkte dieser
Vereinigung den Bauplatz zur Errichtung eines ei-
genen Ausstellungsgebäudes, des "Künstler-
hausesW, für das 1868 von ihm selbst der Schluß-
stein gelegt werden konnte. Der Kaiser erschien
fortan zu den Eröffnungen der Jahresausstellun-
gen und der internationalen Kunstausstellungen
höchstpersönlich. Noch heute befindet sich im
Depot des "Künstlerhausesw der schwarz-gelbe,
mit einem Mäandermuster verzierte "Kaisertep-
pichtt, der bei diesen Gelegenheiten bis auf das
Trottoir hinaus gelegt worden ist. Nach den vorn
Kaiser in den Ausstellungen erworbenen Kunst-
werken orientierten sich der Adel und das ver-
mögende Bürgertum bei ihren eigenen Bilderein-
kaufen.
1881182 stand Hans Makart (1840-1884) dieser
Wiener Künstlergenossenschaft vor. Durch ihn,
der gemeinsam mit Heinrich Rahl (1812-1865)
und Hans Canon (Pseudonym für Johann von Stra-
slripka, 1829-1885) die Phantasieweit der Histo
rienkunst durch den Rückgriff auf die Malerei des
den langen Zug der Prunkwagen hoch zu Roß be-
schioß, galt ihm der frenetische Beifall der Wie
ner, als wäre er der im Triumph empfangene
Kaiser". Dieser stand unter einem von Otto Wag-
ner (1841 - 1918) entworfenen Riesenzelt vor dem
Äußeren Burgtor, neben ihm mit einem weißen
Makart-Federhut die Kaiserin Elisabeth.
Otto Wagner rühmte sich, durch die Gestaltung
dieses Zeltes und seinen Dekorationen "dem ewi-
gen Kirmesstil mit Tannenreisig etc. den Todes-
SiOßtt versetzt zu habenlß.
Mit Wagner, der selbst vom Historismus herkam,
mit dem er aber gründlich gebrochen hatte, tritt
ein Architekt auf die Wiener Kunstszene, dessen
Namen am Anbeginn jeglicher modernen Archi-
tektur genannt werden muß, wenn es ihm auch
nicht gegönnt gewesen ist, gerade seine grcßan-
gelegten urbanistischen Pläne, wie jene der unbe-
grenzten Großstadt, zu realisierenß.
im Gefolge von Otto Wagners i-Nutzstilu, der auf
den Prinzipien Zweck, Material und Konstruktion
aufbaut, der wieder als Reaktion auf den Historis-
mus des Ringstraßen-Stils zu verstehen ist, und
Wagners Tätigkeit als Lehrer an der Akademie der
bildenden Künste, wo er eine Meisterklasse für Ar-
chitektur leitete, vollzog sich die Revolte der Jun-
gen gegen das Akademische, gegen den Pathos
der Repräsentation und gegen die Giäubigkeit an
die historischen Vorlagen. Parallel dazu kamen
bei vielen jungen Malern Österreichs Einflüsse
durch die neuen Tendenzen im übrigen Europa,
die von den eingesessenen Künstlern und der seit
vielen Jahren nur an eine heimische Kost gewöhn-
ten Kritik heftig bekämpft wurdenlü.
Das Kunstleben resultierte damals nicht mehr aus
der Fieziprozität: Künstler-Auftraggeber; der Kunst-
schaffende hatte mit einer zweifachen Partner-
schaft zu rechnen: mit den Käufern und mit den
Kunstkritikern. Die letzteren wollten sowohl Ein-
fiuß auf das Angebot als auch auf die Nachfrage
ausüben, so daß oft die Kritik einer Ausstellung
auch zu einer Kritik an dem Publikum wurde.