Rudolf Schmidt
Ein Real-ldeal-Modell
der Weltschöpfung aus dem
frühen 18. Jh.
Mit ikonagraphischen Erläurerungen von
Hanna Egger
Mit der geistigen Durchdringung und Einordnung
der sichtbaren Dinge von Erde und Himmel geht
schon in der Antike die Darstellung des Erschau-
ten in Modellform Hand in Hand. Daß verschiede-
ne Fixslernkonstellatlonen, die allabendlich das
Auge des Betrachters, speziell in südlichen Brei-
ten, erfreuen, zu Sternbildern zusammengezogen
wurden, mag zunächst als Gedächtnisstütze ge
dient haben; so allgemein hat sich dieses System
eingebürgert, daß wir heute auf eine grüßere Zahl
von aus der Antike überlieferten Sternbildern zu-
rückgreifen. Bildhafte Darstellungen dieser Stern-
bilder sind aus dem alten Griechenland erhalten,
eine modellhafte Darstellung der Sternhimmelsl
in der Vereinfachung, daß die Fixsterne alle gleich
weit von einem Mittelpunkt angeordnet sindZ, wie
dies auch heute noch als Himmeisglobus3 gezeigt
wird. ist aus der Antike in einem Exemplar be-
kannt, dem Farnesischen Atlas, einer römischen
Kopie eines griechischen Originals aus dem 3.
vorchristiichen Jahrhundert. Auch die kugelförmig
gestaltete Erde wurde als Modell dargestellt, be-
sonders Strabof verweist auf das Modell des Kra-
tes und empfiehlt den an Geographie und Astro-
nomie Interessierten die Benützung eines Erdglo
bus. Selbst das Pianetensystem wurde in solche
Überlegungen einbezogen, Cicero beschreibt die
angeblich hydraulisch betriebene Maschine des
Archimedes, die den Umlauf mehrerer Planeten
um den Zentralkörper darstellt.
Diesen Modellen der Realität ldealmodelle an die
Seite zu steilen, also nur gedachte, eingebildete,
auf den Schöpfungsakt bezogene Modelle, ist
späteren Zeiten vorbehalten: Der christliche Glau-
be als Bezugspunkt hat In mittelalterlichen Karten
den geographischen. also realen Inhalt von Welt-
karten zurücktreten iassen, hingegen eine de-
skriptlve, mit der Heilsgeschichte verbundene
ldealvorstellung eines Gebäudes, zumlndestens
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unserer Erde5. Die Hinwendung zur Wissenschaft
im Humanismus und in der Renaissance brachte
eine Mischung von realer und idealer Inhalte auf
den Modellen: Ein sprechender Globus, wie er z. B.
von Behaims oder Gemma Frlsius vorliegt, bringt
nicht nur geographische Realitäten, also Küstenii-
nien, Flüsse, Gebirgszüge, Städte etc., nach be
stem Wissen, sondern auch spekulative Nachrich-
ten über Herrschaftsverhältnlsse, über nie gese-
hene Landstriche etc.7. immer mehr tritt der ideel-
le Teil zurück: im auslaufenden 17. Jh. wird wohl
noch spekulativ nicht Gesehenes dargestellt, wie
z. B. ein großer Südkontinent anstelle der nie ge-
sehenen Antarktis, aber der deskriptive Teil auf
dem Erdglobus ist zurückgetreten. Desgleichen
auch auf dem Himmelsglobus, der nur mehr eine
Vielzahl von Sternen und oft raphlsch schön ge-
staitete Sternbilder zeigt, wobei durch inschriften
auf Sterngrößen, Nebel oder Sternhaufen Bezug
genommen wird.
Auch die Armiliarsphare, die wie das Pianetarium
aus der Antike stammt", ihre Entwicklung von ei-
nem Meßgerat her zum Demonstrationsoblekt ge
nommen hat und nur mit Ringen (Kreisen) das Sy-
stem des Umiaufs der Sonne um die Erde - spa-
ter der Erde um die Sonne - mit der Neigung der
Erdachse und evtl. Planetenbahnen veranschau-
licht, wird schon seit der Darstellung von Syrlin
auf dem Chorgestühl des Ulmer Münsters, dem
die Darstellung auf dem Bild des Giovanni dal
Ponte (Prado, Madrid) etliche Jahre vorausgingg,
zu einem einfachen klaren Gerät, das aber viel-
leicht zuwenig zeigte. Daher die Versuche, bei Ar-
millarsphären größeren Gehalt darzustellen, die
letztlich zu so komplizierten lnstrumenten wie le-
nes von Santucci di Pomerance") führte (Florenz,
Museo deila Storia de Scienza, einem ähnlichen
Obiekt in der Bibliothek des Escorial, Spanien). in
der Armillarsphäre des Santucci wurde aber be
reits der Versuch gemacht, neben den realen Mo-
dellen der Sonnen- und Planetenbahn durch Male-
rei und Inschrift auf einer Kaiotteninnenseite auf
die Herrschaft Gottes über die Weit hinzuweisen.
Es überrascht beinahe, aus der 1. Hälfte des
18. Jh.s ein fast spieizeughaftes Gerät vorzufin-
den", das diesen Gedanken ausbaut: Zur Mes-
sung, ja zur Demonstration ungeeignet, gibt die
ses Gerät, wohl eine Einzeifertigung, eine fast ein-
malige Möglichkeit, reale Modeilabbildung (Him-
melsglobus) mit ldeeiiem, im Lockeschen Sinne
des Wortes "Ideen (also nur in der Vorstellung Exi-
stierendem) zu vereinen. Letzteres durch bildhafte
und wörtliche Darstellung der Macht Gottes über
Himmel und Erde, der Macht von Herrschern über
Teile der Weit, der Einflüsse der Natur in der Welt
und der Erforschung und Entschleierung gewisser
Geheimnisse der Himmeisstruktur durch Forscher
(Abb. l Farbe).
Man bedient sich hierbei des Systems konzentri-
scher Kugeln, die alle als Hohlkugeln ausgebildet
sind, gleich der Art der russischen Puppen. Diese
Kugeln bieten jeweils die Möglichkeit, ein be-
stimmtes Thema herauszugreifen, wobei zweifel-
los als Hauptstück für die modellhafte, also reale
Abbildung ein Himmelsglobus Zeuge ist.
Als Außenhüile unseres Gerätes dient eine mit
Fuß versehene Hohlkugei mit Deckel in grisaillear-
tigem Dekor (D : 200 mrn).
Auf der folgenden 1. Kugel (D : 180 mm) huldigen
die himmlischen Chöre (9 Chöre der Engel) dem
Schöpfergott (Abb. 1 - 3). lnschriften: Prirrcipafus,
Archangeli, Angeli, Virfutes; Seraphin. Cherubin
Throni, Dominationes, Potestates.
Zur Darlegung der dem Schöpfergott huldigsnden
himmlischen Chöre oder 9 Chöre der Engel muB
zunächst auf die literarischen Grundlagen hinge
wiesen werden: Cherubim und Seraphim werden
schon im Alten Testament genannt. Dan. 10, 13;