Angela Völker
Moderne österreichische
Textilkunst
Von spezifisch österreichischer Textilkunst kann
man vor der Gründung der "Wiener Gobelin Manu-
fakturlr 1921 kaum sprechen. Bis dahin manife-
stierte sich das Interesse an diesem Kunstzweig
in der Sammeltätigkeit des habsburgischen Kai-
serhauses und führte zu einer der umfangreich-
sten und berühmtesten Tapisserienkollektionen
der Welt. Viele dieser Objekte sind im Auftrag der
Herrscher in den Werkstätten der habsburgischen
Niederlande angefertigt worden; andere kamen
als Ankäufe oder Geschenke aus niederländi-
schen und französischen Manufakturen des 16.
bis 18. Jahrhunderts an den Wiener Hof. Seit der
zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhun-
dert spielte in Österreich aber auch textiler
Wandschmuck eine Rolle, dessen handwerklicher
Charakter überwiegt und der in Fach- und Kunst-
gewerbeschulen entstandl.
Die "Wiener Gobelin Manufakturil ist aus dem Fle-
staurierungsatelier der habsburgischen Tapisse-
riesammlung hervorgegangen und stellte so be-
wußt einen Zusammenhang her mit den histori-
schen Voraussetzungen der Textilkunst in Öster-
reich? Ohne eigene Tradition in der Herstellung
orientierte man sich am Vorbild der Tapisseriema-
nufakturen der Blütezeit dieser Kunst: Entwürfe
von Malern, Graphikern oder auch Bildhauern wer-
den von Webern ins textile Material übertragen.
Dabei liefert der Künstler nur eine kleinformatige
Skizze, die der akademische "Kartonmalerrr auf
das gewünschte Format der Tapisserie vergrö-
Bert. Der Karton dient dem Weber als Vorlage.
Eine Textilkunstbewegung in der künstlerischer
Entwurf und handwerkliche Ausführung in einer
Hand liegen, hat sich in Österreich erst nach dem
zweiten Weltkrieg durchgesetzt. In England prakti-
zierte William Morris diese ldeen schon im späten
19. Jahrhundert. Um die Jahrhundertwende ent-
wickelten in Skandinavien Frida Hansen und ihre
Schule und in Deutschland die Webergruppe von
Scherrebek dafür charakteristische Formen und
von 1919 bis 1933 verfolgte das Bauhaus in Des-
sau und Weimar ähnliche Ziele. Der im Bauhaus
geschulte Fritz Öhner ist einer der wenigen Künst-
ler in Österreich, der seine Wandteppiche schon
vor dem zweiten Weltkrieg entworfen und selbst
gewebt hat. Nach seiner Ausbildung in Weimar
und Berlin kehrt er 1937 nach Österreich zurück,
wo er in Linz vor allem als Lehrer wirkt. Seine Ar-
beiten zeigen die formale Strenge und sorgfältige
handwerkliche Ausarbeitung, wie sie auch für an-
dere Textilkünstler aus dem Bauhaus charakteri-
stisch sind.
Zu den Gründungsmitgliedern der "Wiener Gobe
lin Manufaktur" gehörte der Maler Robin Christian
Andersen. Seine Entwürfe für Wandbehänge set-
zen sich mit traditionellen Tapisseriethemen aus-
einander. Die vVerdürenu z. B. gehen von nieder-
Iändischen Pflanzenstücken des 16. und 17. Jahr-
hunderts aus: den Grund bedecken großblättrige
Gewächse, die sehr plastisch dargestellt sind und
dennoch keine tiefenraumliche Wirkung aufkom-
men lassen. Bewußt ist die Farbigkeit auf wenige
Töne reduziert; der dekorative Charakter wird als
eine der wichtigsten Funktionen der Tapisserie
angesehen3.
Albert Paris Gütersloh hat seit der Gründung zahl-
reiche Vorlagen für die Wiener Manufaktur gelle
fert. Das von ihm entworfene und in der Manufak-
tur ausgeführte r-Triptychom wurde auf der gro-
Ben Kunstgewerbeausstellung in Paris 1925 mit
dem Grand Prix ausgezeichnetß. Die Produkte der
Die hier folgende zusammenfassende Beschreibung der
Entwicklung moderner ästerreichischer Textilkunst ba-
siert aul der Arbeit an der Ausstellung aTextilirunst aus
Österreich, 1900- 1979m die die Kulturabteilung des Am-
tes der Burgenländischen Landesregierung in Zusam-
menarbeit mit dem Österreichischen Museum für ange-
wandte Kunst von Juni bis Oktober 1979 im Schloß Halb-
turn im Burgenland veranstaltet hat.
1 Fritz Riedl, vBlaue Kompositionr, 1949. 95x175 Cm.
Osterreichisches Museum für angewandte Kunst,
Wien
2 Linda Ohristanell, Berührungsinstrument: "Ich bint,
1976. 4 Phasen des Fächeröffnens. Im Besitz der
Künstlerin
3 Fludolf Hermann Eisenmenger, "Die alte und die neue
Welt-t (Ausschnitt), 1973. 155x223 crn. Ausführung:
Manufactura de Tapecarias de Portalegre (Lirnitada).
Technische Universität, Wien
Anmerkungen 1-6
t
Vgl. dazu: Angela Völker: Textilkunst aus Österreich, 1900-1979.
Ausstellungskatalog Schlüß Halbturn 1979 - im folgenden nur
Halbtum 1979 - S 38139, 55157
7 Die Manutaktur wurde vDrl Dr. August Mader und Dr. E. Beck-
Mannagetta als Privatunternehmen gegründet und von der Kron-
gülerverwaltung gefördert. Sie arbeitet heute noch in Räumen der
Wiener Hofburg.
3 Halbturn 1979, S. 14l15.
' L'Autriche a l'EXp0siti0n internationale des Arts deCOratifs e! indu-
strials modernes. Ausstellungskatalog Paris 1925, 0.8.; Halbturn
1979, s. 36137.
Auf dem Umschlagblatt -Ausstellung lranzosischer moderner Go-
halins... '
Fritz Riedl. Bildteppiche. Ausstellungskatalog Österreichisches
Museum fur angewandte Kunst, Wien 1975. Katalog Neue Folge
Nr. 52 0.5
Wiener Manufaktur waren also sehr bald auch in-
ternational anerkannt. Gütersloh bevorzugt in sei-
nen Tapisserieentwürfen allegorische, mythologi-
sche, aber auch religiöse Themen. Von der Malerei
ausgehend gestaltet er seine Kompositionen in
der Art klassischer Tapisserien. Obwohl er auf den
spezifisch textilen Charakter nicht eingeht, er-
reicht er durch subtile Farbigkeit und zuweilen
durch die Verwendung einer breiten Rahmung in
der Art der Tapisserien des 16. und 17. Jahrhun-
derts die für einen Bildteppich typische Wirkung.
In der 1949 entstandenen "Glorietteri ist der vege-
tabile Rahmen in das Bildfeld integriert.
Franz von Zülow, als Maler kleiner, intimer Land-
schaften bekannt, hat ebenfalls Wandbehänge für
die Wiener Manufaktur entworfen. Seine ins große
Format übertragenen Porträts bestimmter Gegen-
den haben durch ihre tonige Farbigkeit und verein-
fachte Detailformen einen besonders tapisserie-
gemäßen Charakter. Thematisch und formal bil-
den sie eine neue, in der Geschichte der Tapisse
rie so nicht verankerte Gattung.
Bestimmte in der Zwischenkriegszeit die "Wiener
Gobelin Manufakturii die österreichische Textil-
kunst, so wurde das Bild bald nach dem zweiten
Weltkrieg vielfältiger. Wichtige Impulse gab die
vAUSSIGIiUHQ französischer Wandteppichkunst
von heute-i, die 1949 im Österreichischen Museum
für angewandte Kunst stattfandö. Fünfzig Wand-
behänge waren zu sehen, die nach Entwürfen be-
rühmter Künstler wie Georges Braque, Le Corbu-
sier, Andre Derain, Fernand Leger, Jean Lurgat,
Henri Matisse, Jean Mirö, Picasso oder Georges
Ftouault in französischen Manufakturen meist ge
webt, gelegentlich aber auch gestickt worden
sind. Die Ausstellung zeigte die Ergebnisse der
Versuche Jean Lurgats, die Tapisserieweberei als
Monumentalkunst neu zu beleben. Schon in den
dreißiger Jahren hatten Lurgat und sein Kreis da-
mit begonnen, zuerst in Aubusson dann aber auch
in Felietin und Paris, traditionsreichen Manufak-
turen neue Aufträge zu vermitteln. Die entwerfen-
den Künstler paßten sich durch bewußte Reduk-
tion der Farbskala sowie vereinfachte flächenhaf-
te Formen den ursprünglichen Bedingungen der
Bildweberei an. Alle 1949 gezeigten Exponate wa-
ren also - wie die Produkte der Wiener Manufak-
tur - in der traditionellen Arbeitsteilung zwi-
schen entwerfendem Künstler und ausführendem
Weber entstanden. Um so erstaunlicher ist es, daB
die Ausstellung österreichische Maler anregte,
sich selbst mit der Bildweberei auseinanderzuset-
zen. Einer der Maler, der so zum "Selbstweberrr
wird, ist Fritz Fliedl, dessen erste Tapisserie
"Blaue Komposition-i 1949 entsteht. Seine Motiva-
tion, sich mit dem Weben zu beschäftigen, be-
schreibt er als v. . . Unbehagen an der pastosen Öl-
farbe und (als) das Suchen nach einem transpa-
renten Material mit anderen, für mich neuen,
Möglichkeiteniiii Fliedls Kompositionen der fünfzi-
ger Jahre sind zunächst von der Eigengesetzlich-
keit des neuen Materials und der neuen Technik
bestimmt. Er baut seine Bildteppiche aus geome
trischen Flächen auf, tiefenräumliche Wirkung ist
vermieden. Zunehmende Vertrautheit mit Material
und Technik läßt die Einzelformen offener und die
Farbigkeit differenzierter werden. Melierte Farbtö-
ne, die in der Malerei nicht möglich wären, entste-
hen, indem mehrere verschiedenfarbige dünne
Wollfäden zusammengedreht und als ein Schuß in
die Kette eingetragen werden.
Daß 7 zumindest anfangs - auch Künstler, die
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