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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 164)

Angela Völker 
Moderne österreichische 
Textilkunst 
Von spezifisch österreichischer Textilkunst kann 
man vor der Gründung der "Wiener Gobelin Manu- 
fakturlr 1921 kaum sprechen. Bis dahin manife- 
stierte sich das Interesse an diesem Kunstzweig 
in der Sammeltätigkeit des habsburgischen Kai- 
serhauses und führte zu einer der umfangreich- 
sten und berühmtesten Tapisserienkollektionen 
der Welt. Viele dieser Objekte sind im Auftrag der 
Herrscher in den Werkstätten der habsburgischen 
Niederlande angefertigt worden; andere kamen 
als Ankäufe oder Geschenke aus niederländi- 
schen und französischen Manufakturen des 16. 
bis 18. Jahrhunderts an den Wiener Hof. Seit der 
zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhun- 
dert spielte in Österreich aber auch textiler 
Wandschmuck eine Rolle, dessen handwerklicher 
Charakter überwiegt und der in Fach- und Kunst- 
gewerbeschulen entstandl. 
Die "Wiener Gobelin Manufakturil ist aus dem Fle- 
staurierungsatelier der habsburgischen Tapisse- 
riesammlung hervorgegangen und stellte so be- 
wußt einen Zusammenhang her mit den histori- 
schen Voraussetzungen der Textilkunst in Öster- 
reich? Ohne eigene Tradition in der Herstellung 
orientierte man sich am Vorbild der Tapisseriema- 
nufakturen der Blütezeit dieser Kunst: Entwürfe 
von Malern, Graphikern oder auch Bildhauern wer- 
den von Webern ins textile Material übertragen. 
Dabei liefert der Künstler nur eine kleinformatige 
Skizze, die der akademische "Kartonmalerrr auf 
das gewünschte Format der Tapisserie vergrö- 
Bert. Der Karton dient dem Weber als Vorlage. 
Eine Textilkunstbewegung in der künstlerischer 
Entwurf und handwerkliche Ausführung in einer 
Hand liegen, hat sich in Österreich erst nach dem 
zweiten Weltkrieg durchgesetzt. In England prakti- 
zierte William Morris diese ldeen schon im späten 
19. Jahrhundert. Um die Jahrhundertwende ent- 
wickelten in Skandinavien Frida Hansen und ihre 
Schule und in Deutschland die Webergruppe von 
Scherrebek dafür charakteristische Formen und 
von 1919 bis 1933 verfolgte das Bauhaus in Des- 
sau und Weimar ähnliche Ziele. Der im Bauhaus 
geschulte Fritz Öhner ist einer der wenigen Künst- 
ler in Österreich, der seine Wandteppiche schon 
vor dem zweiten Weltkrieg entworfen und selbst 
gewebt hat. Nach seiner Ausbildung in Weimar 
und Berlin kehrt er 1937 nach Österreich zurück, 
wo er in Linz vor allem als Lehrer wirkt. Seine Ar- 
beiten zeigen die formale Strenge und sorgfältige 
handwerkliche Ausarbeitung, wie sie auch für an- 
dere Textilkünstler aus dem Bauhaus charakteri- 
stisch sind. 
Zu den Gründungsmitgliedern der "Wiener Gobe 
lin Manufaktur" gehörte der Maler Robin Christian 
Andersen. Seine Entwürfe für Wandbehänge set- 
zen sich mit traditionellen Tapisseriethemen aus- 
einander. Die vVerdürenu z. B. gehen von nieder- 
Iändischen Pflanzenstücken des 16. und 17. Jahr- 
hunderts aus: den Grund bedecken großblättrige 
Gewächse, die sehr plastisch dargestellt sind und 
dennoch keine tiefenraumliche Wirkung aufkom- 
men lassen. Bewußt ist die Farbigkeit auf wenige 
Töne reduziert; der dekorative Charakter wird als 
eine der wichtigsten Funktionen der Tapisserie 
angesehen3. 
Albert Paris Gütersloh hat seit der Gründung zahl- 
reiche Vorlagen für die Wiener Manufaktur gelle 
fert. Das von ihm entworfene und in der Manufak- 
tur ausgeführte r-Triptychom wurde auf der gro- 
Ben Kunstgewerbeausstellung in Paris 1925 mit 
dem Grand Prix ausgezeichnetß. Die Produkte der 
Die hier folgende zusammenfassende Beschreibung der 
Entwicklung moderner ästerreichischer Textilkunst ba- 
siert aul der Arbeit an der Ausstellung aTextilirunst aus 
Österreich, 1900- 1979m die die Kulturabteilung des Am- 
tes der Burgenländischen Landesregierung in Zusam- 
menarbeit mit dem Österreichischen Museum für ange- 
wandte Kunst von Juni bis Oktober 1979 im Schloß Halb- 
turn im Burgenland veranstaltet hat. 
 
1 Fritz Riedl, vBlaue Kompositionr, 1949. 95x175 Cm. 
Osterreichisches Museum für angewandte Kunst, 
Wien 
2 Linda Ohristanell, Berührungsinstrument: "Ich bint, 
1976. 4 Phasen des Fächeröffnens. Im Besitz der 
Künstlerin 
3 Fludolf Hermann Eisenmenger, "Die alte und die neue 
Welt-t (Ausschnitt), 1973. 155x223 crn. Ausführung: 
Manufactura de Tapecarias de Portalegre (Lirnitada). 
Technische Universität, Wien 
Anmerkungen 1-6 
t 
Vgl. dazu: Angela Völker: Textilkunst aus Österreich, 1900-1979. 
Ausstellungskatalog Schlüß Halbturn 1979 - im folgenden nur 
Halbtum 1979 - S 38139, 55157 
7 Die Manutaktur wurde vDrl Dr. August Mader und Dr. E. Beck- 
Mannagetta als Privatunternehmen gegründet und von der Kron- 
gülerverwaltung gefördert. Sie arbeitet heute noch in Räumen der 
Wiener Hofburg. 
3 Halbturn 1979, S. 14l15. 
' L'Autriche a l'EXp0siti0n internationale des Arts deCOratifs e! indu- 
strials modernes. Ausstellungskatalog Paris 1925, 0.8.; Halbturn 
1979, s. 36137. 
Auf dem Umschlagblatt -Ausstellung lranzosischer moderner Go- 
halins... ' 
Fritz Riedl. Bildteppiche. Ausstellungskatalog Österreichisches 
Museum fur angewandte Kunst, Wien 1975. Katalog Neue Folge 
Nr. 52 0.5 
Wiener Manufaktur waren also sehr bald auch in- 
ternational anerkannt. Gütersloh bevorzugt in sei- 
nen Tapisserieentwürfen allegorische, mythologi- 
sche, aber auch religiöse Themen. Von der Malerei 
ausgehend gestaltet er seine Kompositionen in 
der Art klassischer Tapisserien. Obwohl er auf den 
spezifisch textilen Charakter nicht eingeht, er- 
reicht er durch subtile Farbigkeit und zuweilen 
durch die Verwendung einer breiten Rahmung in 
der Art der Tapisserien des 16. und 17. Jahrhun- 
derts die für einen Bildteppich typische Wirkung. 
In der 1949 entstandenen "Glorietteri ist der vege- 
tabile Rahmen in das Bildfeld integriert. 
Franz von Zülow, als Maler kleiner, intimer Land- 
schaften bekannt, hat ebenfalls Wandbehänge für 
die Wiener Manufaktur entworfen. Seine ins große 
Format übertragenen Porträts bestimmter Gegen- 
den haben durch ihre tonige Farbigkeit und verein- 
fachte Detailformen einen besonders tapisserie- 
gemäßen Charakter. Thematisch und formal bil- 
den sie eine neue, in der Geschichte der Tapisse 
rie so nicht verankerte Gattung. 
Bestimmte in der Zwischenkriegszeit die "Wiener 
Gobelin Manufakturii die österreichische Textil- 
kunst, so wurde das Bild bald nach dem zweiten 
Weltkrieg vielfältiger. Wichtige Impulse gab die 
vAUSSIGIiUHQ französischer Wandteppichkunst 
von heute-i, die 1949 im Österreichischen Museum 
für angewandte Kunst stattfandö. Fünfzig Wand- 
behänge waren zu sehen, die nach Entwürfen be- 
rühmter Künstler wie Georges Braque, Le Corbu- 
sier, Andre Derain, Fernand Leger, Jean Lurgat, 
Henri Matisse, Jean Mirö, Picasso oder Georges 
Ftouault in französischen Manufakturen meist ge 
webt, gelegentlich aber auch gestickt worden 
sind. Die Ausstellung zeigte die Ergebnisse der 
Versuche Jean Lurgats, die Tapisserieweberei als 
Monumentalkunst neu zu beleben. Schon in den 
dreißiger Jahren hatten Lurgat und sein Kreis da- 
mit begonnen, zuerst in Aubusson dann aber auch 
in Felietin und Paris, traditionsreichen Manufak- 
turen neue Aufträge zu vermitteln. Die entwerfen- 
den Künstler paßten sich durch bewußte Reduk- 
tion der Farbskala sowie vereinfachte flächenhaf- 
te Formen den ursprünglichen Bedingungen der 
Bildweberei an. Alle 1949 gezeigten Exponate wa- 
ren also - wie die Produkte der Wiener Manufak- 
tur - in der traditionellen Arbeitsteilung zwi- 
schen entwerfendem Künstler und ausführendem 
Weber entstanden. Um so erstaunlicher ist es, daB 
die Ausstellung österreichische Maler anregte, 
sich selbst mit der Bildweberei auseinanderzuset- 
zen. Einer der Maler, der so zum "Selbstweberrr 
wird, ist Fritz Fliedl, dessen erste Tapisserie 
"Blaue Komposition-i 1949 entsteht. Seine Motiva- 
tion, sich mit dem Weben zu beschäftigen, be- 
schreibt er als v. . . Unbehagen an der pastosen Öl- 
farbe und (als) das Suchen nach einem transpa- 
renten Material mit anderen, für mich neuen, 
Möglichkeiteniiii Fliedls Kompositionen der fünfzi- 
ger Jahre sind zunächst von der Eigengesetzlich- 
keit des neuen Materials und der neuen Technik 
bestimmt. Er baut seine Bildteppiche aus geome 
trischen Flächen auf, tiefenräumliche Wirkung ist 
vermieden. Zunehmende Vertrautheit mit Material 
und Technik läßt die Einzelformen offener und die 
Farbigkeit differenzierter werden. Melierte Farbtö- 
ne, die in der Malerei nicht möglich wären, entste- 
hen, indem mehrere verschiedenfarbige dünne 
Wollfäden zusammengedreht und als ein Schuß in 
die Kette eingetragen werden. 
Daß 7 zumindest anfangs - auch Künstler, die 
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