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lergetragenen Baldachinsystem besitzt. Es kommt
hier vor allem auf den Rang an, den Brunellescos
Neuerung einer mit reinen korinthischen Pilastern
und Architraven instrumentierten Wand im Bewußt-
sein Michelangelos und seiner Auftraggeber, der
Medici, einnahm.
Genau einhundert Jahre nach dem Beginn von Bru-
nellescos Alter Sakristei als Gründungsbau der Me-
diceischen Hausmacht unter Giovanni di Bicci, der
in der Kapelle begraben ist, war mit dem Tode des
Giuliano, 1516, und des Lorenzo de Medici, 1519,
der männliche Stamm der Mediceischen Hauptlinie
praktisch erloschen. Als Klerikerkonnten Leo X. und
Giulio, der spätere Papst Clemens Vll., keine legiti-
men Nachkommen haben; der Auftrag, den sie Mi-
chelangelo zur Errichtung der Neuen Sakristei als
Grablege für die vier letzten weltlichen Mediceerer-
teilten, war also zugleich ein Memorialbau, in dem
die Geschichte der Medici besiegelt wurde. In zwei
Tatsachen dokumentiert sich diese Bedeutung der
Kapelle: Während die Alte Sakristei dem Namenspa-
tron des Stifters San Giovanni geweiht ist und tat-
sächlich auch als Sakristei ihre liturgische Funktion
erfüllte, hat die Medicikapelle Michelangelos als Pa-
trozinium die Auferstehung Christi und ist niemals
als Sakristei in Benutzung gewesen, sondern hat
ausschließlich den Seelenmessen und dem immer-
währenden Gebet für die verstorbenen Mitglieder
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des Hauses gedient. In der Neuen Sakristei schließt
sich also der hundertiährige weltliche Macht- und
Lebenskreis der Medici. Dadurch erhält die symme-
trische Anordnung der beiden Sakristeien im
Grundriß von San Lorenzo ihren tieferen Sinn: Sie
ist Abbild einer geschichtlichen Symmetrie, in der
das Ende dem Anfang entspricht. Von hier aus er-
klärt sich auch die Bedeutung, die dem zunächst er-
staunlichen Zitat von Brunellescos Pilastergiiede-
rung zukommt: Der Gründungsbau wird im finalen
Memorialbau wiederholt und geht in ihm auf.
Es ist nötig, hier zu prüfen, ob diese Überlegungen
auch vor der architektonischen Form standhalten,
ob und wie die Architektur diesen Sinn tatsächlich
trägt. Vergleicht man die Pilaster miteinander, so
wird man, außerdem dunklen Sandstein, dem soge-
nannten Macigno oder Pietra Serena, und der korin-
thischen Ordnung wenig Gemeinsames entdecken
(Abb. 1, 2). Für Brunellesco ist der Pilaster ein fester
stereometrischer Körper, der mit zwei Seiten frei
steht und dessen andere zwei Seiten in der Mauer
stecken. Alles ist knapp und dicht auf einen plasti-
schen Kern bezogen, das Gebilde ist körperhaft. Bei
Michelangelo ist das anders; man würde erwarten,
daß gerade der Bildhauer eine Steigerung der Kör-
perhaftigkeit anstrebt und das Volumen allseitig
ausdehnt. Aber nichts davon, sein Pilaster ist kein
ganzer Körper mehr, sondern nur noch die i-Fassa-
derten Pfeiler appliziert wird. Freilich ist der Si
auf sieben Kanneluren verbreitert und das Ka
mit herausgewölbten vollen Akanthusblättern
sehen, aber gerade das betont die Flächigkeit
ergibt keinen massiven, tragenden Körper, den
sich als vollplastisch in der Wand steckende:
bilde vorstellen kann. Es ist nur noch das Bild I
solchen: trotz oder vielleicht gerade durch die
gerung seines Reichtums tritt seine Auffassun
Körpergebilde zurück und erscheint schwäche
mittelbarer- es ist eben jene Veränderung des
litätscharakters, die dem Zitat in dem neuer
sammenhang gegenüber seinem ursprüngli
Kontext zukommt, Von allen Forschern hat Hei
v. Geymüller schon 1904 am schärfsten gesi
daß die Architektureinheiten im inneren der N
Sakristei eine "Verschiedenheit der Stilfon
zeigen, "daß hier zwei oder richtiger drei stilis
ganz verschiedene Manieren Michelangelos ne
einander auftreten, ineinandergreifen und sic
genseitig störend beeinträchtigen. 1. Seine r
strenge. klassische Manier, bestehend in derei
lichen Architektur der Sakristei mit ihrer gesa
Gliederung in dunklem Macigno-Stein. 2. Dir
samte Marmorarchitektur im Anschluß an die t
mäler. in der zweiten halbbarocken Manier des
sters. 8. Das hohe Gestell der Türen mit Ble
schen darüber, welches die Seitentraveen derE
architektur ausfulltir
Geymüller nennt diese drei Stile die "strenge
t-gemischteß und die "freie Richtung-i und l
alle drei bei Michelangelo nur an diesem t
Bau nebeneinander. t-Wir stehen vor der 1
nen, . . . vielleicht einzigen Erscheinung, dal
chelangelo gleichzeitig, und zwar für denselbt
nenraum. in drei verschiedenen Stilphasen
Manieren komponiertß-
Das Bedeutende an Geymüllers Charakterisii
ist die Einsicht, daß diese Gleichzeitigkeit der
schiedenen Stilphasenu nicht von verschiec
Planungsphasen herrührt, sondern einem eini
chen Stilwillen entspringt. Damit hat Geymüllei
der ästhetischen Kritik, der er das Ganze unte
klarer gesehen als mancher nach ihm. lndemi
Gegensätzlichkeit als historische Einheit r
ohne nach einem harmonisierenden Ausgleic
jeden Preiszu suchen, hat er die Frage nach de
chitektonischen Denken und Wollen, das ir
grunde liegt, gestellt,
Wie verhalten sich nun diese Architekturen 2
ander und gibt es in ihrem Verhältnis weiter
züge auf das Haus der Medici? In Brunellescos
Sakristei ist die Pilaster-Gebälk-Gliederung
Kernstück der Architektur, Mit seiner Übertrz
in die Neue Sakristei wird es sozusagen zur e
matischen Fiahmenform, die alle anderen Arc
turgebilde umgreift. Dali dies auch so geseher
den soll, wird durch den leeren Fries über de
chitrav sinnfällig, er trennt und isoliert die S
werke gegeneinander. Die marmornen Archi'
ren, die Grabmäler und die Portale mit den Tat
keln sind nicht Teile eines Wandkontinuums
dem gleichsam kostbare solitäre Schaustück
wie Bilder einer Ftahmenlorm bedürfen unr
übereinen Rahmen mitderWand in Verbindur
bracht werden können (Abb. 2, 4). Zwischen c
v-Bildarchitektureni- und der Rahmengliedi
gibt es nun eine sehr bezeichnende Wechsell
hung, durch welche die von Geymüller besch
nen Kontraste ineinander verschränkt werde:
Mit dem Zitat von Brunellescos Pilaster-Gs
System wird in der Neuen Sakristei die Stilstu
1420 repräsentiert. Seine Ausstattung, seine
mentale lnstrumentierung ist dagegen vollkoi
wmodern-r, d.h. sie steht auf der Stufe von 152
hat Bramante und Raffael zur Voraussetzung
gekehrt verhält es sich mit den Grabrnalswä
die nicht in ihrem Dekor, sondern in ihrem A