ter Architekturauffassung vor uns - eben jener
Kompositordnung, die Vasari und Cellini als seine
Erfindung bezeichnet haben. Ich möchte dieses
Phänomen zweier verschiedener Architekturkon-
zeptionen in einer Ebene und vor allem ihre gleich-
zeitige Anschaulichkeit als das Phänomen der Inter-
ferenz bezeichnen. Damit soll auch zum Ausdruck
gebracht werden, daß in dieserZweiheit. die nicht in
der verschmelzenden Synthese aufgehoben wird.
sondern anschaulich als Zweiheit erhalten bleibt,
die größte Dichte der architektonischen Form ent-
steht, Diese Interferenz ist also etwas ganz anderes
alsjene Doppelstrukturen, bei denen es von der Ein-
stellung des Betrachters abhängt, welche Struktur-
bezüge wechselweise als dominant erscheinen. Erst
an diesem Punkt der Analyse kann man den Bild-
hauer Michelangelo, an dessen Skulptur die Dichte
der Form gleichsam mit Händen zu greifen ist, auch
in dieser Architektur erkennen, mit der sich die
Kunstgeschichtsschreibung nur sehr zögernd und
kaum restlos anfreunden konnte.
Aus dem Prinzip der Interferenz als einem im umfas-
senden Sinne kompositen Architekturgedanken ist
auch jene oben aufgezeigte Verschränkung moder-
ner und retrospektiverArchitekturformen hervorge-
gangen. Brunellescos Wandsystem und die Formen
der Hochrenaissance finden sich zu einem sozusa-
gen historischen lnterferenzbild zusammen.
Ein Gebilde aus verschiedenen. interferlerenden
Formenkreisen stellt schließlich auch der Masken-
fries dar (Abb. 5). Die gleichzeitige Präsenz der bei-
den sich überschneidenden Formelemente, des
Maskarons und des Eierstabkyma, erzeugt eine
Spannung, die den ganzen Charakter des Frieses
bestimmt. Wir wissen nicht, ob zuerst die Idee einer
Reihe von Masken bestanden hat oder die Idee eines
einfachen Eierstabes; es ist nicht entscheidbar, wel-
che Form die andere überlagert. Die gleichzeitige
und gleichstarke Gegenwart beider Formen hindert
ihre Synthese, denn jede beharrt auf ihrer Eigenart
und verwandelt sich der anderen nur bis zu dem
Grade an, der ihre Verzahnung in einem Formkom-
plex ermöglicht.
Es erhebt sich die Frage nach dem Realitätscharak-
ter dieser kompositen architektonischen und orna-
mentalen Gebilde. Wir haben festgestellt, daß die
entscheidende Kategorie für die simultane Präsenz
verschiedener Gebilde die Ebene bzw. die gerahmte
Wandfläche ist. Die Architektur- und Ornamentglie-
der sind auf die Ebene projiziert und ihre Flächen-
gebundenheit manifestiert sich in ihrem Reliefcha-
rakter. Es gibt keine ganzen, vollkörperlichen Archi-
tekturglieder, sondern nur Reliefkörper. Die Ebene,
in der sie aufeinander bezogen sind und in der sich
ihr komposites Gefüge darstellt, läßt sich mit einem
gerahmten Bildfeld vergleichen und als varchitek-
tonische Darstellungsebeneu bezeichnen. Für den
Realitätscharakterdieser ins Bildhafte abgerückten
Fassaden ist sehr bezeichnend, daß von den acht
Portalen im Inneren der Sakristei nur drei die Funk-
tion einer wirklichen Türe besitzen, von denen nur
eine aus der Kapelle herauslührt. Die übrigen Por-
tale sind blind, sie sind sozusagen nurAbbildungen
ihrer selbst. Noch bedeutsamer für die Frage nach
dem Realitätscharakter ist das Verhältnis dieser Ar-
chitekturzur Plastik, die durchweg Vollskulptu r, d.h.
vollrund und vollkörperlich gearbeitet ist (Abb. 2).
Auf den von den Grabmalswänden abgerückten
Sarkophagen lagern die vier Allegorien der Tages-
zeiten,Tag und Nacht, Morgen undAbend.Zu FüBen
der Sarkophage sollten je zwei Flußgötter auf dem
Boden liegen. In den mittleren Nischen derGrabmä-
ler schließlich sitzen die Gestalten des Giuliano und
des Lorenzo de' Medici, weniger Porträts dieser
eher schwachen Persönlichkeiten als vielmehr Alle-
gorien des Hauses Medici.
Es ist ein völliges Novum in der Geschichte der Mo-
numentalplastik, Figuren ohne Basis oder Sockel,
d.h. ohne ein waagrechtes architektonisches Bin-
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deglied, auf den Boden zu stellen. Das wäre bei den
Flußgöttern der Fall gewesen. Umso betonter steht
die Architektur selbst auf einer Basis- z.B. die Sar-
kophage. Ohne jede tektonische Vermittlung und
ohne jeden Ausgleich lagern die Felsgebirge der
Zeitallegorien auf den schrägen Unterlagen, die von
den Sarkophagdeckeln gebildet werden. Die Idee
der Basis wird hier geradezu in ihr Gegenteil ver-
kehrt. Doch auch bei den sitzenden Herzögen spürt
man deutlich, daß sie fremd an ihrem Aufstellungs-
ort sind, daß es keine Verwandtschaft der skulptura-
len plastischen Form mit der kühlen scharfen Zeich-
nung ihrer sie beengenden Gehäuse gibt. Auch die
Standplatten unter den Füßen der Sitzfiguren gehö-
ren ganz zu diesen selbst und schaffen keine Ver-
bindung zur Architektur. Weder die Skulptur noch
die Architektur sucht nach Bindegliedern; und als
ob diese unüberbrückbare Trennung noch bekräf-
tigt werden sollte, stehen in den Tabernakelnischen
über den Portalen Statuenbasen ohne Statuen - das
ist, wohlgemerkt, kein unfertiger Zustand, für diese
Stellen waren niemals Skulpturen zur Aufstellung
vorgesehen.
Wir stehen vor einem Konflikt der Gattungen selbst.
Dieser Konflikt ist nicht manieristisch, nicht künst-
lich und genießerisch herbeigeführt, sondern ur-
sprünglicher Natur. Bevor ich auf seine Genese ein-
gehe und auf die Folgerungen, die sich daraus für
die Architektur ergeben, ein Wort zu seiner ikonoIo-
gischen Bedeutung im Hinblick aufdie Grabkapelle.
Bei den trauernden Allegorien, den Flußgöttern und
vor allern bei den Tageszeiten entsteht jener Kon-
flikt, dieses unvermittelte Zusammenstößen eines
architektonischen, aber untektonischen Aufstel-
lungsortes mit der Plastik aus einer der Skulptur von
außen auferlegten, von ihr ungewollten Gebunden-
heit an das Architektonische. Diese Situation spie-
gelt sich unmittelbar im Seelischen. Der Ernst der
Capitani, die Trauer und die Schwermut der Allego-
rien beziehen sich zwar ikonographisch auf die Me-
dici, aber zugleich erhält diese Haltung eine viel tie-
fere, übernominale Rechtfertigung als Ausdruck je-
nes ursprünglichen formalen Konfliktes, der in der
UnversöhnbarkeitderGattungen selbst anschaulich
wird.
Wir müssen noch einmal zurück auf Brunellesco
blicken (Abb. 1). Einer der wesentlichen Unter-
schiede, der Brunellescos Architektur von jeder mit-
telalterlichen trennt, ist ihrvollkommen verändertes
Verhältnis zu den Bildkünsten: Sie dient nicht mehr
als Bildträger. Brunellesco hat die Wandfläche vom
Bild gereinigt oder dem Bild als Relief äußerst be-
schränkte Entfaltungsmöglichkeiten angewiesen.
Man kann so weit gehen, zu sagen, daß die Wand bei
Brunellesco das Bildwerk abstößt, denn sie ist im
selben Maße autonom, wie es gleichzeitig das ge-
malte Bild durch die Aufnahme des Räumlichen, des
Plastischen und Tektonischen wirdf oder wie es bei
der Freiplastik der Fall ist, die in derersten Hälfte des
Quattrocento sozusagen das freie Stehen gelernt
hat. Sehr schön hat Heinrich Klotz diese bildlose
Reinheit und Genügsamkeit der Architektur Brunel-
lescos charakterisiert: -Bar jeden Fresken-
schmucks breitet sich die helle Fläche aus, auf der
sich die Glieder der Architektur selbst zum -Bild-
formieren. Gleichzeitig grenzen dunkle Steinrah-
men große, leere Bogenfelder aus der Wand, als sei
die Fläche selbst eine Kostbarkeit und des Rahmens
würdig: So die Bogenfelder der Paul-Kapelle oder
die Chornischen der Alten Sakristei. Bei einer solch
bewußten Rechnung, Wand und Glied auseinander-
zulegen und diese in ihrerGegensätzlichkeit mitein-
ander wirken zu lassen, scheint nur die eine Mög-
Iichkeit gegeben, die Wand als leere Fläche auszu-
breiten und sie gleichsam in einen rßildgrund- zu
verwandeln, der neben dem Bild der Architektur
kein anderes Bild duldet?-
Die leeren Wandflachen, ehedem selbst wirkliche
oder potentielle Bildträger, sind also selbst bildwer-
tig geworden, sie haben aufgehört, dienende
flachen zu sein. In ihnen verwirklicht sich die
tungsreinheit, denn die reine strenge Säuler
nung konnte nur durch die ungestörte Wirkun
Interkolumnien zu ihrem vollen Wert gelanger
Zwischenflächen sind von gleicher Bedeutun
das Ganze wie die plastischen Glieder selbst,
die Fläche ist das wichtigste Instrument dieser
rer Würde sich selbst darstellenden Architekt
An diese Bildwertigkeit der Fläche in derArchit
seines Vorgängers knüpft Michelangelo an.
nicht indem er sie zum Bildträger macht, sor
indem er ihre bildhaften Eigenschaften archit
nisch entfaltet, d.h. die Grabmäler und Porta
Architekturbildern macht. - Eine Feststellung
vorhin schon von anderer Seite her gewc
wurde und hier aus der genetischen Ableitur
bildhafte Realität der Architektur bestätigt win
Charakter der gerahmten Wandfläche bei Br
lesco erklärt also nicht nur die Bildwertigkei
Michelangelos lnterkolumnienflächen in noo
herem Maße besitzen, sondern auch ihre a
sende Haltung gegenüber den eigentlichen
werken. Zwischen der Bildwertigkeit der St
wändeund der Bildhaftigkeit der Skulpturen b:
ein Zwiespalt-ein Konflikt, über den Michelan
Architektur innerlich dem Gedanken Brunell
verbunden bleibt.
Jede Analyse der formalen Verhältnisse, wie ii
hier zu umreißen versucht habe, wäre nicht m
vollständig, sondern sogar zweifelhaft, wen
nicht wenigstens die Richtung anzeigte, aus c
len Einzelbeobachtungen ein übergreifender
zukommt- vorausgesetzt, diese Einzelbeobac
gen sind richtig. Mustert man die sehr zahlre
Deutungen, die von kunsthistcrischer Seite z
Medicikapelle herangetragen worden sind, s
gegnet man nicht selten Wörtern wie "Gehei
und v-RätseI-i. Sosehr der Charakter des Sir
borgenen, Enigmatischen auch zur Medicik.
gehört, so wenig wird sich seine lnterpretatic
dieser Sphäre gewinnen lassen. Die Dinge sin
der nach Art eines ikonographischen Rate
oder eines Rebus zusammengesetzt, noch l
sie den literarischen Spekulationen, die ma
dem ldeengut des Neuplatonismus oder den
tersinn zeitgenössischer Karnevalslieder ans
kann, Es fällt auf, daß in fast allen Deutungen
immerzu kurz gekommen ist, die Frage nämlii
das Patrozinium der Neuen SakristeLdie-Res
tio Domini" - die Auferstehung Christi, hier vr
staltgebender und damit von weiterreichendi
deutung ist, als es das Fehlen jedes bildliche
weises auf dieses Thema vermuten läßt. Die
dieses Patroziniums erscheint zwar inleinem
soleumsbau außerordentlich sinnvoll, ist g
hier aber erstaunlich, da als Patrone ja die Ha
Iigen der Medici, Cosmas und Damian, zur
gung gestanden hätten. Was hat das Patroz
der Resurrectio also zu bedeuten?
Die Auferstehung ist theologisch der --Typus
das geschichtliche Vorbild der endzeitlichen
stehung des Fleisches am Jüngsten Tag, Das
zinium der Neuen Sakristei ist also ein hr
schichtliches Ereignis, das die Verheißung
eschatologischen Ereignisses am Ende aller
enthält und vorwegnimmt. Es lohnt sich, i
Hinweis auf die Zeitlichkeit, der damit gegeb
näher zu bedenken.
Das Thema der Zeit ist uns bereits auf vierver
denen Ebenen begegnet:
1. Als historische Zeit. Sie erscheint als Bild
synoptischen Verzahnung von Zeitstilen, duri
Zitieren von Architektur- und Ornamentstruh
die die hundertjährige weltliche Macht des m
ischen Hauses abdecken.
2. Als profane Zeit. Sie erscheint im Bildederl
rien der Tageszeiten, als die trauernde Zeit.
3, Als liturgische Zeit. Sie erscheint in der von