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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 166 und 167)

erst Jetzt wieder zum Vorschein gekommene Taber- 
nakelbekrönungsgruppe überhaupt mit ihnen in 
Beziehung bringen kann oder ob sie nicht aus einer 
anderen. bisher unbekannten Kirche stammt. Vor- 
übergehend im Münchener Kunsthandel (1977). 
konnte die, wie gleich zu sehen sein wird. eigenhän- 
dig geschnitzte Straubsche Tabernakelbekrö- 
 
nungsgruppe alsbald vom Württembergischen Lan- 
desmuseum in Stuttgart für die dortige Plastik- 
sammlung erworben werden (lnv, Nr. 1977-34). Zu 
dieser höchst erfreulichen Neuerwerbung kann das 
Museum nur beglückwünscht werden. Bei unserer 
Gruppe (49x94x3G cm) handelt es sich um die Be- 
krönung eines (nicht mehr vorhandenen) Taberna- 
kelgehäuses von eher kleinerem Format. Als Werk- 
stoff wurde durchweg Lindenholz verwendet, nur 
das Buch ist aus Tannenholz. Die Fassung besteht 
aus einer originalen weißen Grundierung sowie aus 
einer dünnen Weißfassung. Darüber befindet sich 
laut Aussage des dortigen Restaurators ein licht- 
grauer Steingrund mit einer oben aufliegenden 
Licht-Rosa-Fassung in Kasein-Tempera-Technik. 
Der gleichsam schwebende Farbton entspricht in 
ganz besonderer Weise der Akzentuierung der 
Oberfläche im bereits entwickelten Ftokoko. Im Ein- 
verständnis mit dem Museum zeigt unsere Auf- 
nahme absichtlich noch den Zustand der Gruppe 
vor der inzwischen eingeleiteten Restaurierung. 
Von einigen kleinen Spalten im Körper des liegen- 
den Lammes abgesehen und trotz derTatsache, daß 
von den ursprünglich vorhandenen 7 Siegeln am 
Buch nur mehr5 erhalten blieben. ist der allgemeine 
Zustand der Tabernakelbekrönungsgruppe als aus- 
gesprochen gut zu bezeichnen. Über die spezielle 
Tabernakelikonographie und über den Tabernakel 
als Gebrauchsgegenstand im liturgischen Sinn wird 
noch an andererSteIIezu sprechen sein, Bereits hier 
ist darauf hinzuweisen. daß es sich im vorliegenden 
Fall um die charakteristische Form eines Bildhau- 
er-Tabernakels handelt. 
Geht man vorn dem vielzitierten Friihwerk des Bild- 
hauers: dem Hochaltartabernakel (1741) in Fürsten- 
zell aus, läßt sich der hier anzutreffende Typus über 
ein Menschenalter lang im weitverzweigten Werk 
J. B. Straubs verfolgen? Daß gattungsmäßig die 
einmal gefundene Komposition bis in die Spätzeit 
des Bildhauers sich kaum veränderte, zeigt ein the- 
mengleiches Werk (1774) in der Ptarrkirche in 
Allerheiligenkirche am Kreuz in München (ur- 
sprünglich in der Karmelitenkirche) zu nennen', 
Aus tormal-ikonographischen Gründen ist es nahe- 
liegend, die Frage zu stellen. ob man sich nicht auch 
bei der Stuttgarter Gruppe ein Attribut in Gedanken 
zu ergänzen hat. Es ist ein mehrere Male im Werk 
Straubs zu belegender Kreuzstab mit Siegesfahne 
2 Johann Baptist Straub, Engelkindergruppe vom Korpus 
der Kanzel aus der Schwarzspariierkirche in Wien, um 
1730 LaxenburglNiederosterreich, Ptarrkirche 
3 Johann Baptist Straub, Engelkindergruppe vorn Retabel 
des Kreuzaltares. um 1739. Dießen a, Ammersee, ehem. 
Augustiner-Chorherren-Stiftskirche 
4 Johann Baptist Straub. Putto mit Rosenblute im Haar, 
H 36,5 cm. Augsburg, Städtische Kunstsammlungen 
 
frömmigkeit geprägt. zeigt sich mehrfach ein bei 
Straub-Tabernakeln verwendetes Motiv. Es ist aus- 
gesprochen berninesker Art. Bei diesem Motiv wird 
die Darstellung des liegenden Lammes von einem 
großen vergoldeten Strahlenkranz fächerförmig 
hinterfangen. Markante Beispiele dafür sind die 
Straubschen Tabernakelbekrönungen in 
Mün- 
chen-Berg am Laim (1767) und in Eschenlohe? 
Deshalb ist mit guten Gründen zu vermuten. daß das 
gleiche Motiv ebenfalls einst die Stuttgarter Gruppe 
zierte. 
Wenn man sich anschließend dem figürlichen Teil 
des Werks zuwendet. so gibt es offenbar keine feste 
kanonische Regel über die Anzahl der Engelkinder 
auf Tabernakelbekrönungen. Erinnern wir uns bei- 
spielsweise daran, daß es in dem schon genannten 
Fürstenzell drei solcher themengleicher Darstellun- 
gen gibt, während bei dem Stuttgarter Tabernakel 
deren Zahl auf zwei reduziert ist. Als Verkörperung 
der sogenannten theologischen Tugenden stellen 
die Engelkinder Glaube. Hoffnung und Liebe dar. 
Wenn wie bei der eben genannten Gruppe nur zwei 
dieser Engelputten erscheinen. hat man möglicher- 
weise bei der fehlenden dritten Darstellung auf die 
Caritas verzichtet. Entsprechend der Vorstellung 
der Eucharistie hat man sie sich wohl im Tabernakel 
anwesend vorzustellen. 
ln geradezu wörtlicher Übereinstimmung mit der 
Anordnung der Straub-Tabernakel auf den Hochal- 
tären in der Allerheiligenkirche am Kreuz in Mün- 
chen, in Schäftlarn und in Eschenlohe wurde eben- 
falls bei der Stuttgarter Gruppe das auf dem Buch 
mit den sieben Siegeln liegende Lamm zum zentra- 
len Mittelpunkt erkoren? 
Nach derjüngsten theologischen Exegese' wird die 
Darstellung so interpretiert. "Die hohe symbolische 
Bedeutung des Lammes ist in der HI. Schrift zu- 
grunde gelegt: im Genuß des Passahlamms. in dem 
durch sein Blut genährten Schutz (Ex. 12, 3; 29, 
28 ff.) im Vergleich des hier leidenden Gottes- 
knechts mit dem Lamm (Hes. 53,7) und in der daran 
anknüpfenden Bezeichnung Jesu als Lamm Gottes 
durch Johannes den Täufer (Joh. 1.29.36). Gemäß 
der eschatologischen Verheißung (Geh, Offen- 
bar. 5.640) wird das Lamm zum Siegeslamm. wel- 
ches das Sühnopfer Christi versinnbildlicht-l Nach 
J. F. von Allioli (1855)' wurde das Buch mit den sie- 
ben Siegeln versehen, um damit ndie sieben Haupt- 
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