1
Kennzeichnend für die Latenekultur ist ein eigen-
artiger, unverwechselbarer Kunststil, der uns vor
allem in der Verzierung von Metallgegenständen,
auf Schmuck, Waffen, Gerätschaften und Metall-
gefäßen, aber auch auf Keramik entgegentritt. Oh-
ne daß ein Entwicklungsprozeß, ein allmahliches
Werden dieses neuen Stils erkennbar wäre, tritt
dieser plötzlich in Erscheinung.
Wie man das Problem auch betrachten mag, man
stößt immer und immer wieder auf dasselbe Phä-
nomen, nämlich, daß die keltische Kunst keine
i-Genesisu, keine Entwicklungsgeschichte erken-
hen läßt. - Diese Zeilen schrieb einer der bedeu-
tendsten Kenner keltischer Kunst, Paul Jacobs-
thal, in seinem umfassenden Werk über die frühe
keltische Kunst (Early Celtic Art, Oxford 1944).
Diese Feststellung hat im wesentlichen auch heu-
te noch Gültigkeit. Zwar haben zahlreiche neue
Forschungen das Problem einer Lösung näherge-
bracht, erst durch neue Funde jedoch, insbeson-
dere jene des Dürrnberges, hat sich die Material-
basis für systematische Untersuchungen wesent-
lich verbreitert. Von einer endgültigen Klärung die-
ses Phänomens sind wir jedoch noch weit ent-
lernt.
Paul Jacobsthal führt weiter aus: "Die keltische
Kunst hat drei Wurzeln: Italien, den Osten und
Hallstattnt
Die Hallstattkultur (ca. 730 bis 450 v. Chr.) bildete
die Grundlage für die Entfaltung des keltischen
Stiles. Diese Kultur, benannt nach dem bekannten
Salzort In Oberösterreich, war in weiten Gebieten
Mitteleuropas, von Ostfrankreich über Süd-
deutschland und Österreich bis Ungarn und Nord-
jugoslawien, beheimatet. Im westlichen Verbrei-
8
tungsgebiet wurde diese Kultur zweifellos von kel-
tischen Völkerschaften getragen.
Zwar hat der Hallstattstil mit seiner rein geometri-
schen Ornamentik (Dreiecke, Quadrate und Rhom-
ben) nur wenig mit der Kunst der Lateneperiode
gemein, in der Hallstattzeit wurden jedoch die
technischen Grundlagen erarbeitet, auf denen das
frühkeltische Kunsthandwerk aufbauen konnte.
So hat man z.B. das Verfahren des Bronzegusses
in verlorener Form perfekt beherrscht. Einfache
Drehbanke zur Holz- und Metallbearbeitung stan-
den bereits in Anwendung. In der Keramik wie
auch in den Schmuckformen lebt hallstattzeitli-
ches Formengut auch noch in der Lateneperiode
fort.
Eine zweite Wurzel des keltischen Stils um-
schreibt Jacobsthal mit dem Begriff "Osten-i.
Gemeint sind damit Einflüsse aus der Kunst der
östlichen Reiternomaden, insbesondere der Sky-
then, die im Frühlatenestil wirksam werden. Man-
che Motive scheinen von den Thrakern im heuti-
gen Bulgarien übernommen worden zu sein, ein-
zelne Formen haben noch weifer im Osten, z. B. im
Kaukasus, ihren Ursprung. Diese östlichen Ein-
flüsse machen sich vor allem in keltischen Tier-
darstellungen geltend, so z. B. im Motiv des Adler-
kopfes mit geöffnetem Schnabel, das im gesam-
ten frühkeltischen Bereich Verbreitung fand. Auf
welchen Wegen diese Einflüsse den Kelten über-
mittelt wurden, läßt sich nicht befriedigend klä-
ren. Zwar sind die Skythen im Verlauf des 7. Jahr-
hunderts v. Chr. in die ungarische Tiefebene vor-
gedrungen und haben sich dort niedergelassen,
zum Zeitpunkt der Entstehung des Frühlatenestils
waren sie jedoch nicht unmittelbare Nachbarn der
1 Bronzehelm aus dem i-FiJrstengrab-i Nr. 44 vom Dürrn-
berg. 2. Hälfte 5. Jahrhundert v. Chr. Der Helm getrie-
ben aus Bronzeblech, der Aulsalz separat gegossen
und aufgenietel. Keltenmuseum, Hallein,
3 Fünf Tonkannen mit schnabel- bzw. röhrenförmigem
Ausguß aus Gräbern des Dürrnbergs. 2. Hälfte 5. Jahr-
hundert v. Chr. Keltenmuseum, Hallein