fornien) gilt das gleiche, was wir bereits oben fest-
stellten (Abb. 17).
Noch nicht genannt wurden bisher zwei unge-
wöhnliche kunsthandwerkliche Arbeiten Friedrich
Adlers. Sie befinden sich im Nürnberger Gewerbe-
museum. Bei dem einen Werk (Abb. 18, 21) handelt
es sich um eine Tischlampe in Pokalform mit ab-
nehmbarem Deckel (1911). Sie ist mit reicher
durchbrochener Elfenbeinschnitzerei versehen.
Ausgeführt wurde sie nach Entwürfen Friedrich
Adlers von Emil Kellermann, Nürnberg. Besonders
instruktiv ist das auf der Vorderseite eingelassene
Relief, hochrechteckig mit eingestelltem Vierpaß.
Es zeigt ein geigendes junges Mädchen, von stili-
siertem Rankenwerk und von Vögeln umgeben.
Die Auffassung erinnert durchaus an die romanti-
schen Jungmädchenbildnisse von Heinrich Voge-
Ier, Worpswede, die etwa um die gleiche Zeit ent-
standen sind.
Den Namen Friedrich Adler im Zusammenhang
mit der Elfenbeinschnitzerei des deutschen Ju-
gendstils muß man sich merken. Dies gilt insbe-
sondere für eines seiner bisher noch nicht ge-
nannten Hauptwerke (Abb. 20, 22). Es ist dies eine
in Silber mit Edelsteinen besetzte und mit reichen
Elfenbeinschnitzereien ausgestattete Prunkdose
(Nürnberg, Gewerbemuseum; Inv.-Nr. 9246). Eine
der geschnitzten Mädchendarstellungen ist am
unteren Rand mit der geläufigen Adler-Signatur
(A) in Kreisform versehen. Es ist ein merkwürdig
hieratisch wirkender Stil, der hier gleichbedeu-
tend mit dem Ende des Jugendstils (1914) ist.
Friedrich Adler, auf vielerlei Gebieten arbeitend,
war auch, was so gut wie gar nicht bekannt ist,
schriftstellerisch tätig.
In einer Zeit, als dem Künstler jede öffentliche
künstlerische Tätigkeit untersagt war, schrieb er
im April 1938 im Mitteilungsblatt des jüdischen
Kulturbundes Hamburg mit der Überschrift "Der
Kampf um die Form-i folgenden Aufsatz:
"Die Biologie und ihre Mutter, die Chemie, lassen
uns ahnen, wie Stoff sich in Form wandelt. Wir er-
leben es groß gesehen als einen Kreislauf und die-
ses ewige ,Stirb und Werde' ist nichts anderes als
die geniale Formel für jenen fortwährenden Kampf
um die Form, welchem wir beiwohnen, wo immer
wir die Welt, das Leben und den Tod betrachten.
Leuchtend, verführerisch und mächtig steht am
Anfang aller Formung die Liebe. Unbekümmert
um das, was sie uns Menschen an Glück oder Tra-
gik bringt, verfolgt sie ihr Ziel: wir sind nur Stoff
und Werkzeug und unsere Schicksale zählen nicht
in jenem Kampf, an dessen Beginn immer wieder,
stärker als der Tod, die Liebe steht.
Leuchtend, verführerisch und mächtig steht aber
Liebe auch immer da, wo Geistiges sich formen
will, wo Traum und Gedanke flutet und rauscht.
Bald schmeichlerisch lockend, bald unerbittlich
und zwingend trifft jene in Wahrheit ,himmlische
Liebe' ihre Wahl und auch die Stunde. Und wäh-
rend der Erwählte glaubt, eine Eingebung zu ha-
ben, sie zu besitzen, ist er schon der Besessene.
Sein sensibler Magnetismus hat, bevor er sich
dessen bewußt ist, bereits aus der Fülle frei ge-
wordener und kreisender Kräfte das angezogen,
was diesem Magnetismus eben gerade tauglich
erscheint, einverleibt zu werden, um befruchtend
zu wirken.
Dies ist ein Zeugungsvorgang geistiger Art, mit al-
len seinen Folgerungen, und damit ist jener Pro-
zeß im Geiste eingeleitet, den wir als den Kampf
um die Form zu nehmen und zu führen haben.
Die Welt ist voll von Form, und welche wir auch
herausgreifen, und was wir auch betrachten mö-
gen, immer sehen wir in dieser Form die Kristalli-
sation eines Gedankens, dessen Bild und Sinn-
bild.
Eine der ewigen und heiligen Formen ist das Ei,
und wir erkennen, biologisch gesehen, im Ei und
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in der Frucht Endprodukt und Zelle zugleich, das
Kunstwerk ist es nicht weniger, denn in dem Au-
genblick, da es sichtbar wird, als Formung eines
langen und kampferfüllten Prozesses, wirkt es
auch schon wieder befruchtend auf unsere Sinne.
Wir erleben nun aber etwas sehr Erstaunliches:
Das Ei und die Frucht sprengen ihre Form, um ei-
ne neue von derselben Art zu gebären. Das Bild-
werk, die Musik, das Gedicht, sie behalten ihre
Form, und die einmal in sie gepreßten Kräfte wir-
ken und strahlen unvermindert, solange das Werk
existiert; ja, aus seinen Bruchteilen noch strömen
uns Jahrhunderte nach seiner Entstehung Kräfte
zu, die nichts von ihrer ursprünglichen Gewalt ver-
loren haben. Diese Gewalt, diese Summe von
Energie, die von solchem Werk ausgeht und die
seine Spannkraft ausmacht, verrät uns fast alles,
was an Kräften und Energien, an Gedanken, Sehn-
süchten und Spannungen in diesem Werk aufge-
speichert ist, und man kann wohl sagen, auch in
der Welt des Geistigen geht nichts verloren.
Die Berufenen, jenen immer kreisenden Gedanken
Gefäß zu sein, ihnen Form, Ausdruck und Gestalt
zu verleihen, sind die Künstler. Wir wissen aus ih-
rem Leben, aus dem Leben der ganz Großen, wie
dieses so in ihr Werk einging, daß der Körper nur
noch der Schlacke glich, als sie ihr Werkzeug für
immer aus der Hand legten. Der Kampf um die
Form hat diese Körper ausgehöhlt, die Form
selbst blieb und schlackenlos kündet sie uns nach
Jahrhunderten noch von dem, der sie schuf, sie ist
unsterblich wie die Seele, die sie umschließt. So
bei Michelangelo, dessen Genie ihm selbst zum
Daimon wurde und dessen Formwille viel stärker
war als seine Physis. So bei Rembrandt, einem
Künstler von fast unwahrscheinlicher Gewalt, bei
dessen Malerei man so oft versucht wäre, an He-
xerei zu glauben, wenn man nicht sähe, daß man
es nicht nur mit einem ,Gott', sondern auch mit ei-
nem Handwerker par excellence zu tun hat. Denn
das ist ja das Wunder des Kunstwerkes und unter-
scheidet dieses vom Naturwunder, daß zaubri-
sche Hände mit anorganischen Mitteln eine Welt
gestalten, nein, ein Destillat der Welt.
Viel zuwenig denkt der Laie an den unerhörten
Kampf, den der Künstler um sein Werk führt. Nur
wenig weiß er von den Mühen, Zweifeln und Qua-
len, die immer gegenwärtig sind, wo starkes
Naturerleben oder heißes Mitgefühl mit dem Men-
schen, mit dem Tier, mit der Welt um ihren letzten
adäquaten Ausdruck in der Linie, in der Farbe
oder in der plastischen Form ringen. Das Kunst-
werk, das Ergebnis solchen Ringens, verrät selten
den Leidensweg und will nur sein: die Uberwin-
dung, die Inkarnation, die Form schlechthin. Das
sehen wir bei den alten Meistern und wir sehen es
bei Munch; wir spüren es nicht nur bei dem tempe-
ramentvollen Rodin, sondern auch bei dem viel
verhalteneren, aber nicht weniger geladenen Phi-
dias.
Der Wille zur Form ist so alt wie der Mensch und
das Bedürfnis nach knapper Mitteilung von Ding
und Geschehen hat zuerst den Laut und das Wort,
oder aber das Zeichen und den plastischen Aus-
druck geprägt. In der Erfindung eines Zeichens, ei-
nes Wortes und der dadurch erfüllten Aufgabe, für
Ding und Geschehen den knappen und allen ver-
ständlichen letzten sicht- und hörbaren Ausdruck
gesetzt zu haben, liegt Anfang und Ende aller For-
mung und Anfang und Ende der Kunst überhaupt.
Damit ist der klare Weg vorgezeichnet, der von der
Natur her - und zur Kunst hin führt.
Man schreibt das so leicht hin, und das ,klare
Weg' ist so voll Dornen und Gefahr! Denn auch
dem Künstler ist das Naturerlebnis eine Art von
Nahrungsaufnahme, auch sein Körper empfindet
das Chemische und Physikalische: die Luft zum
Beispiel als Sauerstoff, und das Licht ist gerade
ihm unentbehrliches Requisit. Diese beiden Ele-
mente waren aber in der Geschichte der Malerei
zugleich Formprobleme. Von Rembrandt über Co-
rot bis zu Liebermann reihen sich, wie Glieder ei-
ner Perlenschnur, die Werke, in denen das Licht
bald dämmernd, bald strahlend in jene Rahmen
eingefangen ist, in welchen die Luft, jenes flüchti-
ge Element in ihrer jeweiligen und vom Licht be-
dingten Farbigkeit, vibriert und ihre diesmal farbi-
ge Form gefunden hat. Das Problem der farbigen
Form wird jedoch in dem Augenblick zum Problem
der plastischen Form, wo ich ,das Ding an sich'
betrachtend vom Raum loslöse, oder aber, es in
ihn hineindenke.
Vor mir steht eine Tulpe, das Wunderwerk eines
Kelches, sein Vor- und Sinnbild. Ich sehe aber
auch das Wunderwerk ihrer Struktur, ihre Physis.
ich sehe auf jedem ihrer Blütenblätter, wie Farb-
flecke kontraster Art, die Struktur klug benutzend,
ineinander züngeln, ohne den ihnen angewiese-
nen Bezirk zu verlassen. Ein leuchtendes Vorbild
für die Gobelinweber aller Zeiten. Ich empfinde
dankbar die Mäntel der Blätter, die wie Mütter
sind. Neidlos, bewundernd und voller Würde ge-
ben sie in stillem samtenem Grün der Tochter das
Geleit und bescheiden sich, dieser Herrlichen als
,Foliet und nicht nur als ,Blatt' zu dienen. Und das
alles, diese Summe von Empfindungen, ach, ist
noch nicht erschöpft, darf mich nicht hindern, die
große, einfache und ewige Form zu suchen, zu fin-
den und zu laden mit dem lnhalt dieser Empfin-
dungen. Und es ist nur eine Tulpe von tausenden,
an denen wir täglich vorbeigehen! Aber in ihr
steckt das gleiche Problem wie im Baum, im Tier
und in allem, was Odem hat: das Problem der
Form.
In der Lösung dieses Problems erschöpft sich das
Leben des Künstlers, und nur solange ihm jede
neue Aufgabe als Problem erscheint, lohnt es
sich, den Kampf aufzunehmen, lohnt es sich, für
ihn - zu lebens-
Soweit die sehr bemerkenswerten Ausführungen
von Friedrich Adler. Sie sind ein geistesgeschicht-
Iiches Dokument ohnegleichen. Es ist um so mehr
zu bewundern, weil der damals Güjahrige Künstler
sie inmitten einer Zeit der größten Gefährdung
schrieb. Bereits wenige Jahre später - es war am
11.Juli 1942 - wurde der deutsche Jude Friedrich
Adler, Designer, Künstler, Schriftsteller und Pro-
lessor, in das KZ Auschwitz deportiert. Sein ge-
naues Todesdatum ist nicht überliefert.
23 Friedrich Adler, Elfenbeinbrosche (Entwurf). 1912.
Ausführung: E. Kellermann(?). Hohe 8,5 cm, Breite
4,5 Cm. Privatbesitz Göppingen
Wegen Ersteilung eines nach Möglichkeit vollsiandigen Werkver-
zelchrusses lSl der Verfasser für jeden Hinweis dankbar. Vielleicht
hilft er dazu, das eine oder andere bisher unbekannte Werk Fried-
rich Adlers wieder aufzufinden.