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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXV (1980 / Heft 170)

larsphare. Bedeutend ist dieses Instrument gera- 
de deshalb, weil es ein Darstellungsobjekt ist und 
in den Bereich der Lehre, des Unterrichts und der 
Forschung gehört. Die Erkenntnis des Ablaufes 
und des Systems der Welt, das Geheimnis Gottes 
nicht auf theologische Weise, sondern auf mathe- 
matischer Basis zu erfassen, war das große inter- 
esse dieser Zeit; nicht nur aber des Gelehrten, der 
im Dienste des Fürsten stand, sondern auch des 
Fürsten selbst. Deshalb wurde ein Instrument, 
das der Naturdarstellung diente, so großartig aus- 
gearbeitet, als wäre es ein sakrales Gerät. War es 
doch für die Erfassung des Kosmos erdacht. Die 
Kunstfertigkeit des Menschen im Dienste der Na- 
turwissenschaft ist hiebei ebenso vertreten wie 
das System der Natur selbst, als "künstlerisches-x 
Werk Gottes. Diese Einheit wollte man mit einem 
derartigen Demonstrationsobjekt vor Augen füh- 
ren. 
Wie der Apparat aber praktisch funktionierte, soll 
im folgenden dargestellt werden. 
Generationen von Beobachtern hatten dazu das 
Grundmaterial geliefert. im alten Orient waren es 
Priester, für die Naturbeobachtung und Kult nahe 
einander verwandt waren. im griechischen Kultur- 
kreis waren es schon mehr Forscher und Lehrer in 
unserem Sinne, die sich damit befaßten: die erste 
Erdmessung geht auf einen berühmten Bibliothe- 
kar von Alexandria zurückß. 
Theorien entstanden und sollten anschaulich ge- 
macht werden. Man registrierte bestimmte Vor- 
gänge, wie etwa Sonnen- und Mondfinsternisse, 
von deren Voraussage viel abhängen konnte7. Aus 
der Möglichkeit einer Voraussage schloß man auf 
ein herrschendes mathematisch-erfaßbares Sy- 
stem. 
Zur Veranschaulichung dieses Systems konstru- 
ierte man Modelle: so einen Himmeisgiobus, wie 
er aus der Antike nicht nur nach Schilderungen, 
sondern sogar in einem Exemplar bekannt ist, 
oder Gerät, mit denen man die Sonnenbahn be- 
rechnen und damit - von der Erde aus gesehen 
- die täglichen und jährlichen Phänomene dar- 
stellen konnte. Ein Kosmos im Kleinen entstand. 
Eine derartige Darstellung der Himmelsmechanik, 
soweit sie Sonne Planeten und Erde betrifft, nennt 
man Armiliarsphäre. in diesem Gerät sind jene 
Hauptkreise konstruiert, an denen die tägliche 
und auch jährliche Bewegung von Erde und Sonne 
zueinander wie auch der von der Erde aus gesehe- 
ne Lauf der Planeten ablesbar ist. Diese Geräte 
wurden zur Demonstration verwendet. Islamische 
Gelehrte übernahmen sie von den Griechen, im 
Mittelalter wurde diese Kenntnis über Spanien 
und Sizilien an abendländische Gelehrte weiterge- 
geben. Übersetzungen und Transkriptionen der 
griechischen Philosophen wurden dadurch tra- 
diert. Manchmal trat allerdings diese mathemati- 
sche Anschauung des Kosmos in Gegensatz zu 
den Anschauungen der Kirche. Mit dem Beginn 
der Rückbesinnung auf die Antike im Zeitalter der 
Renaissance feierte die Armiliarsphäre Triumphe: 
sie wurde unentbehrlich zur Darstellung der Him- 
meismechanik und findet sich auf Abbildungen 
und in Büchern des 14. und 15. Jh.s., so im Chor- 
gestühl des Jörg Sürlin (1465-1471) in Ulm, ei- 
nem Bild von Carpaccio, ja sogar schon wesent- 
lich früher auf einem Tafeibild des Giovanni dai 
Ponte (1376 - 143718. 
Ursprünglich war die Armiliarsphäre ein einfa- 
ches, nur aus ein paar Blechspangen zusammen- 
gebogenes Modell, in dem die wesentlichen den 
Himmel darstellenden Kreise vorhanden waren. 
Das Wichtigste dabei ist der sichtbare Horizont, in 
den man das komplizierte System einlegen 
konnte9. Denn in diesen Horizont wird ein System 
30 
dian des Beobachters, der von einer Achse ge- 
schnitten wird. im Mittelpunkt dieser Achse befin- 
det sich eine kleine kugelförmige Darstellung der 
gedachten Erde. Wird nun die Erdachse so schief 
gestellt, daß sie In ihrer Verlängerung zum Polar- 
stern zeigt, dann ist die erste Stufe der Einstel- 
lung einer Armiliarsphäre, bezogen auf den Punkt 
des Beobachters, erreicht. 
An jener Erdachse nun und innerhalb des Merl- 
dians des Beobachters ist das System von Fiingen 
angebracht, die einander schneiden und nur we- 
nig kleiner sind als der Meridian, um sich inner- 
halb dessen drehen zu können. Wenn sie sich dre- 
hen, so dreht sich die kleine Erdkugel im Zentrum 
auch mit. 
Die Ringe haben aber noch eine Koordinatenfunk- 
 
4 Detailansicht der Armiliarsphäre von Volpaia (Abb. 1) 
mit wappenahnlichem Schild in Rollwerkkartuschen in 
transluzidem Email mit der Devise wlmitaminiu. Außer- 
dem sichtbar das Sternbild der Fische als Gravierung 
und künstlerischer Schmuck des "Tierkreisetr-Rlnges. 
Anmerkungen G - 12 
' Ley, Willy, Die Himmelskunde, Econ-Veriag, Düsseldorf-Wien, 
1. Auflage 1955, S. 49 i-Eralosttienes maß als erster die Grüße 
der Efdäu. 
' Kritzlnger, H.H., Die Errungenschaften der Astronomie, Verlag 
Gustav Kieperiheuer, Weimar 1912, S. 2, S. 451. 
' Eggar, GerhariiSchmidt, Rudolf, Eine Wiener Armiliarsphaere 
von Christoph C. Schindler, Alte und moderne Kunst, Jahrgang 
1969 Heil 103, S 27128. 
' Brewster, David, M., Fergusonss Leciures on select subiects, 
Edinburgh 1506, e Second Edition, S. 366 H. und Bildband Fla- 
tes Illustrative Di Fergusorlss Lectures, Tafel XX; BlOn, Uusage 
des GlObeS Celeste et Terrestre et des Spheres sulvanl les dille 
rents Systemes du Monde Paris 112a. Titelblatt (nach Eiriion- 
rung); den}, Martin, The description and Use oi bolh the Globes, 
the Armlllary Schere und Orrery, London 1773, Titelblatt und s. 
1eii., Joseph Moxon, A Tutor to Astronomy a. Geography or The 
U56 O1 ttle Copernlcan Spheres, London 1665, S. 161i. 
1" Blori, 13.0., S. 277 
" Bion, a. a. 0.. S. B 
11 Bernleithner, e, Kartographie und Geographie an der Wiener 
Universität im 15. und 16. Jahrhundert, Der Globuslreund Nr. 25 
bis 27, S. 127 
  
auf der Erdachse stehend, ein neuer Kreis, oe 
Erdäquator simuliert, hinzu. Dieser Kreis wiri 
zwei Meridlanen gehalten, die an der Erdachs 
festigt sind und zueinander in einem Winke 
90 Grad stehen. Damit ist aber ein zweites Be 
system hergestellt: das System des Erdäqu 
zu Nord-und Südpol. 
Dazu kommt noch ein drittes Bezugssystem, 
die Erde beschreibt ja tatsächlich ihre Bah 
die Sonne. Diese Bahnebene wird durch einer 
teren Ring dargestellt, der gegen den Äquatc 
23,5 Grad geneigt ist. Er ist in unserem Exer 
etwas breiter ausgeführt und trägt die Gravi 
gen der Tierkreiszeichen. Er ist so befestigt 
einer der beiden Meridiane ihn dort trifft, i 
den Ring des Äquators schneidet, der ande 
Grad davon entfernt. Diese zum Äquator st 
geneigte Hingbahn nennt man Ekiiptik. An d 
Ring können noch die beiden Wendekreise 
auch die Polarkreise befestigt werden. 
Mit so einem Instrument können viele Aufg 
der Astronomie, soweit sie Erde, Sonne und F 
ten betreffen, gelöst werden"). Darüber hi 
kann man mit diesem Instrument die Berech 
von Tag- und Nachtiänge für jeden Beobachti 
punkt durchführen. Sonnenhöchststand, je 
Stand der Sonne an jedem Tag des Jahres zu 
Zeit über und unter dem Horizont kann darr 
mittelt werden. Man kann an Hand einer soi 
Armiliarsphäre demonstrieren, wie die Äquat 
sonnenuhr funktioniert, und sie daraus 
wickeln. 
Auch die Bahnen der Planeten kann man t 
darstellen. Nur eines kann man nicht: mit Hii 
rier derartigen Armiliarsphäre erklären, we: 
einzelne Planeten im Laufe der Zeit ihre E 
gung von der Erde aus gesehen ändern, ja m: 
mal sogar zurücklaufenll. Dazu hätte man d 
millarsphäre viel komplizierter bauen müssei 
die sogenannten Epizykien zu berücksichtigt 
Erst die durchbrechenden Erkenntnisse de: 
pernikus und seiner Nachfolger, daß nicht d 
de der Mittelpunkt sei, sondern die Sonne Llfii 
die Planeten, wozu auch die Erde gehört, nit 
Kreisen, sondern in Ellipsen mit verschiei 
Winkelgeschwindigkeit sich um den Zentralk 
bewegen, konnte ein klares Modell hervorbrii 
Deshalb tritt im 17. und 18. Jh. oft in Abbildu 
eine geozentrische und eine heliozentrisch 
miliarsphäre auf, also eine mit der Erde und 
mit der Sonne als Mittelpunkt. Letztere siei 
ders aus, kann leicht mit einem mechanische 
trieb versehen werden, so daß dann um eii 
Modell als vergoldete Kugel gebildete Sonn 
Planeten wie auch die Erde in den annähei 
Umlaufzeiten kreisen. 
Für den Betrachter bringt aber die heliozentr 
Armiliarsphäre ein neues Bild: er sieht im M 
Dinge nicht mehr von seinem Standpunkt 
sondern als stünde er als Beobachter auße 
des Sonnensystems. 
Daraus ergibt sich, daß die Armiliarsphäre d 
ten Form mit der Erde in der Mitte aber doch 
ausgedient hat. Würde heute im systematis 
Unterricht eine Lehre über das Aussehen de: 
versums und der Mechanik des Sonnensys 
erfolgen, könnte man viele Dinge mit einer ge 
frischen Armiliarsphäre einfacher demonstri 
Solch eine Ausbildung war im früheren llLehY 
vorgesehenli: An der Wiener Universität wurr 
dem 14. und 15. Jahrhundert für alle Hörer, c 
nun Theologie, Philosophie oder Naturwi 
schaften oder sonst etwas studierten, 
Pflichtvorlesung über den Aufbau des Kosmr 
halten und sicherlich mit einer derartigen Am 
sphäre demonstriert.
	        
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