Udo Kultermann
Richard Turners Palmen-
haus in Kew Garden
1 Richard Turner + Decimus Burton, Palmenhaus in
Kew Garden, Gesamtansicht mit Teich. Erbaut 1845 bis
1848.
Anmerkungen 1- 5
' Konrad Wachsmann: Wendepunkt im Bauen, Wiesbaden IQSO.
1 Uber Turner ist wenig bekannt, man weiß nicht einmal sein Ge-
burtsdatum. Er stammt aus Irland, wo 1813 sein Name zum er-
sten Male genannt ist.
-" John Hix; The Glass House, Cambridge, Mass. 1974, S. 125.
- Burton, osuo - 1881, war akademisch gebildet und galt als einer
der erfolgreichsten Architekten seiner Zeit irl England.
n. P. Jones: Tne Llle und Work ol Declmus Burton, The Archi-
teclural Review 17, 1905.
1 n. Desmond: Who DBSIQHBG the Palrn House In Kew Gardensii,
Kaw Bulletin 26, 1972, S. 3.
Im Sinne der Transformation in der Architektur-
entwicklung von den historischen Stilen der Ver-
gangenheit zur sogenannten funktionellen moder-
nen Architektur sind Bauten von Ingenieuren und
Gartenkünstlern von besonderer Bedeutung.
Nicht nur die neuen technischen Baustoffe wur-
den in diesen Bauten vollendet angewandt und
teilweise bereits offen zur Schau gestellt, auch die
raumstrukturellen Gegebenheiten einer auf Offen-
heit und Klimatisierung gerichteten neuen Kon-
zeption kamen in ihnen vollendet zur Ausprägung.
Die zeitgenössische neue Beachtung von energie-
einsparenden Faktoren beim Bauen überhaupt
hat zu einer Wiederbesinnung auf die Pionierlei-
stungen in diesem Bereich geführt.
In der bisherigen Betrachtung war es im wesentli-
chen der Kristallpalast von Joseph Paxton, der
das Zentrum der Aufmerksamkeit der Architektur-
historiker einnahm. In diesem von 1850 bis 1851 in
einer ungemein kurzen Zeit errichteten riesigen
Gebäude aus Glas und Gußeisen wurde für lange
Zeit der Ursprung einer neuen Architekturkonzep-
tion gesehen, und für Konrad Wachsmann war es
der "Wendepunkt der modernen Architekturul. Die
neuere Forschung hat neben dem Kristallpalast
eine Reihe von weiteren Bauten wiederentdeckt,
die teilweise vor den entscheidenden Leistungen
von Joseph Paxton liegen und seinem nicht mehr
erhaltenen Hauptwerk an die Seite gestellt wer-
den können, besonders das Werk des Ingenieurs
Richard TurnerZ. Turner hat gegenüber Paxton den
Vorzug, daB sein Meisterwerk noch heute erhalten
ist und seit seiner Entstehung eigentlich ununter-
brochen bewundert wurde, sein Palmenhaus im
Garten von Kew. John Hix nannte es das nschön-
ste Glashaus der Wsltu3. Mit diesem Werk, dessen
Autorschaft lange Zelt umstritten war, steht Tur-
ner mit einem Hauptwerk zur Diskussion, und das
frühe Entstehungsdatum des Baus - er wurde in
den Jahren 1845 - 1848 errichtet - macht ihn ent-
wicklungsgeschichtlich besonders bedeutsam.
Bauen mit Gußeisen und die Verwendung von
Glas in vorher unbekannten Ausmaßen hat hier ei-
ne unnachahmliche ästhetische Artikulation ge-
funden. Die Angemessenheit von technischen
Baustoffen und eleganter architektonischer Form-
gebung kann heute in vollendeter Meisterschaft
bewundert werden.
Über lange Zeit hinweg galt es als gesichert, daß
der Bau nach einem Entwurf des Architekten Deci-
mus Burton errichtet worden wart. In der Tat war
Burton am Bau beteiligt, und sicher war es sein
Prestige und Ansehen, das den Gründer und Er-
neuerer des Gartens, Sir William Jackson Hocker,
veranlaßt haben mag, den Kontakt mit Burton zu
suchen. Neuere Forschung hat jedoch eindeutig
erweisen können, daß dessenungeachtet alle
wichtigen Entscheidungen von Turner getroffen
wurden und daB nur er es war, der die eigentliche
Gestalt des Gebäudes zu schaffen in der Lage
war-ä.
Turner hat vor dem Palmenhaus in Kew bereits an-
dere Werke gebaut, teilweise zusammen mit sei-
nem Bruder, dem Architekten Thomas Turner, mit
dem er für die Hammersmith-Werke in Ballsbridge
bei Dublin beschäftigt war. 1839 war er maßgeb-
lich an der Ausführung des von Sir Charles Lany-
on entworfenen Palmenhauses im Botanischen
Garten in Belfast beteiligt, und bereits hier mag es
die revolutionäre Verwendung von Gußeisen in ei-
ner Gertlstkonstruktion gewesen sein, durch die
Turner diesen Bau bahnbrechend machte. 1842
baute Turner das Palmenhaus in Glasnevin bei
Dublin, in dem die frühere Entwicklung fortgesetzt
wird und eine maßgerechte eigenständige Form
für die neuen Baustoffe gefunden wurde. Der Bau
wurde im Jahre 1859 von Turner erweitert.
Im Vergleich mit gleichzeitigen Bauten von Jo-
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