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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXV (1980 / Heft 171)

Michael W. Fischer 
Salzburg im Skizzenbuch 
des Züricher Romantikers 
Johann Jakob Ulrich 
1 Johann Jakob Ulrich, Ansicht von Salzburg aus der Ge- 
gend vor dem Bürgistein aus. Bleistift, 99 x 166 mm 
Das geistige Gefüge einer jeweiligen Epoche fin- 
det unter anderem in den Motiven der Malerei sei- 
nen sichtbaren Ausdruck. Fürdas 19. Jahrhundert 
ist das frei gestaltete Landschaftsbild wesentlich. 
Als Reaktion auf die einseitige Verstandeskultur 
der Aufklärung kam es zu einem erneuerten reli- 
glösen Bewußtseln, das in der Natur das Sichtbar- 
werden Gottes anerkannte. Für die Romantiker ist 
1a die Außen- und Umwelt nicht bloß eine geprägte 
Form, sondern die Biiderschrift eines Schicksals, 
in der sich geheimnisvolle Beziehungen zwischen 
Mensch und Natur offenbaren. Es geht um verbor- 
gehe Bedeutungen, um die Fähigkeit, in der Dar- 
stellung stiller Naturformen eine Vision überzeu- 
gend zum Ausdruck zu bringen. 
Gerade die Romantik entdeckte die Schönheit der 
Stadt Saizburg und ihrer Umgebung aufs neue. 
Das Bewußtsein der Romantiker kann angesichts 
der iichtumflossenen Silhouette der Stadt im 
glücklichen Augenblick schweigen, in der kurzen 
Ewigkeit, die ein verganglicher Traum ist. Die her- 
be Umgebung, die Landschaft bei Föhn bedeutet 
dem Romantiker leidenschaftlichen und verzwei- 
feiten Weltschmerz, und gerade in dieser Erfah- 
rung der Meianchoile kann der schöpferische 
Mensch nicht mehr übersehen, daß es gestalteri- 
scher Wille ist, der sich in der spontanen Freiheit 
der Kunst verwirklichen muß. Eine Fülle romanti- 
scher Veduten der Stadt und ihrer Landschaft ist 
beredtes Zeugnis von Nesseithaier über Runk, 
Waliee, Michael Sattler, Jakob Alt, Schlctterbeck, 
Schoppe, Loos bis hin zu Pezolt. Für die Romanti- 
ker aus den verschiedensten Landern ist Salzburg 
ein unwiderstehilcher Magnet, so auch für den Zü- 
richer Johann Jakob Ulrich, der innerhalb der 
schweizerischen Landschaftsmalerei eine hervor- 
ragende Stellung einnimmt. Die vorliegenden Ab- 
bildungen stammen aus einem bisher unveröffent- 
lichten Skizzenbuch dieses Malers (Blattformat le- 
wslis 9,9 x 16,6 cm), das sich in Züricher Privatbe- 
sltz befindet. Aus den biographischen Quellen 
geht hervor, daB dieses Skizzenbuch auf einer Rei- 
se von Zürich über Konstanz durch Bayern, Salz- 
1 
burg und Tirol zwischen 1840 und 1844 entstanden 
sein dürfte. Ulrich wurde 1798 in Andeiflngen ge- 
boren und war Aitersgenosse von Deiacrolx. Er 
trat 1816 in ein Pariser Handelshaus ein, ent- 
schloB sich aber dann zur Aufgabe seines kauf- 
männischen Berufes und besuchte die Ateliers 
von Gudin und den Brüdern Le Prince, daneben 
war er gleichzeitig mit dem um zwei Jahre älteren 
Oorot Schüler von Bertin. Paris war ja immer noch 
die Stadt revolutionärer Experimente, und Ulrich 
erlebte dort elementar den Aufbruch der romanti- 
schen Malerel, die spitze Polemik der Klassizlsten 
gegen die Vertreter der iungen Schule. Die span- 
nungsvolie Dichte damaliger Verhaltnlsse prägte 
Ulrichs künstlerischen Gestaitungswillen: Die 
Dichter und Denker zeichneten mit scharfer Kritik 
die Größen und Schwachen der menschlichen Ge- 
sellschaft auf, die Bürger kampften zum zweiten 
Mai um eine liberale Weltordnung. Die bildenden 
Künstler traten in Wettbewerb mit den Meistern 
der Vergangenheit und vereinigten sich im leiden- 
schaftlichen Drang zur Schaffung einer neuen, na- 
turbetonten Ästhetik. 
Für die Romantik ist das Genie nicht mehr, wie in 
der Aufklärung, ein Licht des Geistes oder eine 
bloße Fähigkeit verstehenden Gestaitens, viel- 
mehr verbindet Kunst und Künstler die schöpferi- 
sche und göttliche Macht der Natur, die Ihr Werk 
dank der Vermittlung des Künstlers welterführt. 
Kant, der ln einigem die Romantik vorbereitet, 
sieht im künstlerischen Genie ndie angeborene 
Gemütsiage (lngenium), durch welche die Natur 
der Kunst die Regel gibtc. Statt einfach eine Fa- 
higkeit zu sein, das wahre ideal zu denken und zu 
finden, wird die Genialität in romantischer Sicht 
zur wirkenden Gegenwart der höchsten Kraft: die 
Kunst wird als menschliche Fortsetzung einer 
kosmischen Fruchtbarkeit gesehen. Goethe teilt 
diese Ansicht; die Natur verleiht dem Menschen 
die höchste Gewalt der Schöpfung, um über sich 
selbst hinauszusteigen und sich zu betrachten. 
Der Künstler verewigt eine Schönheit, die sich oh- 
ne ihn nur für die Dauer eines flüchtigen Augen- 
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