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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

stische Dekorationssucht einerseits und 
rklicher Perfektionlsmus andererseits 
Wurzeln des prunkvollen barocken, meist 
aten Silberschmiedegerätes für den profa- 
Jrauch. Im adeligen Schloß, dem reichen 
'haushalt der Groß-Bürger wie auch in den 
l der Zünfte ist es seit der Zeit um 1500 üb- 
rorden, immer mehr das traditionelle Zinn- 
' durch Silbergeräte zu ersetzen. Diese 
steigerte sich während des 16. Jahrhun- 
ar allem begünstigt durch die manieristi- 
itilprinzipien, zum großartigen Prunk der 
Jme, in denen die vergoldeten Silbergerä- 
nehr dekorative als praktische Rolle über- 
; das heißt, daß die einzelnen Gegenstän- 
immer ihre von einem Gebrauch herstam- 
Form beibehielten, ihre Gestalt aber deko- 
äesetzen folgt, wodurch der einzelne Ge- 
d in das Gesamtgefüge eines mit vielen 
denartigen Gegenständen eingerichteten 
eingefügt werden soll, ftlrdas Wanddeko- 
1d Archltekturteile das Formentscheiden- 
n. Aus dieser Ambivalenz - soweit das 
Gefäß oder Gerät überhaupt noch ge- 
die den einzelnen Gegenstand, versehen mit 
neuem Ornament und in ornamentgebundener Ge- 
samtform, in seiner Totalität fertig zum Umsetzen 
durch den Handwerker vcrstellten. 
Eine neuerliche Möglichkeit von Variation und 
Vielfältigkeit kam hiebei noch dadurch hinzu, daß 
der Handwerker, je künstlerischer er selbst veran- 
lagt war, ein derartiges Vorlageblatt nie genau 
nachmachte, sondern sich bloß davon anregen 
ließ, einen eigenen Entwurf zu gestalten. 
Interessant und charakteristisch gerade für die 
Goldschmiedekunst des ausgehenden 16. Jahr- 
hunderts und des 17. Jahrhunderts ist dabei, daß 
dadurch Gegenstände entstanden, die sich von ih- 
rer Gebrauchbarkeit vollig entfernten und nur 
mehr als Dekorationsstücke zu verstehen sind. 
Das gilt vor allem für die in diesem Zeitraum häu- 
fig hergestellten Tafelaufsätze, die, wenn sie auch 
die Form von Bechern oder Kannen haben, ledig- 
lich dem Schmuck und Prunk dienen. Vielfach ge- 
hören dazu nRiesenu-Pokale, deren Schäfte so fili- 
gran und figurenrelch gearbeitet sind, daß sie ein 
Füllen niemals hätten aushalten können. Vom sti- 
listisch-dekorativen Standpunkt aus und durch ih- 
Noch sehr dem Manierismus des späten 16. Jahr- 
hunderts verhaftet ist ein schöner Nautiluspokal 
der Zeit um 1500 aus Nürnberg (Abb. 3), der so ty- 
pisch alles das vertritt, was wir hier meinen. Die 
prachtvolle Perlmuttermuschel galt als Kuriosi- 
tät, die elne entsprechende Fassung bekam. Zum 
Trinken, obwohl das Gefäß einen vergoldeten 
Mundrand hat, ist das Gefäß wohl kaum zu ver- 
wenden. Aber durch die fein ziselierten figuralen 
Bänder, die tragende Schaftfigur und den orna- 
mentalen Fuß stellt der Pokal ein Prunkstück er- 
sten Ranges dar, hinzustellen auf die gedeckte 
Tafel, um als Kostbarkeit bewundert zu werden. 
Ebenso aus Nürnberg stammt ein Herzpokal von 
Meister Georg Müller vom Beginn des 17. Jahrhun- 
derts (Abb. 4), der auch traditionelle Formen wei- 
terführt. Die glitzernden, hervorragend getriebe- 
nen und ziselierten Facetten seiner Oberfläche ge- 
ben ihm seinen besonderen Reiz. 
Ein kurioses Ding aus Augsburg ist ein Hochzeits- 
pokal aus der Zeit um 1630 (Abb. 15). Das darge 
stellte Mädchen, die Hauptgestalt des Bechers, 
trägt ein stilisiertes Kleid ihrer Zeit mit reichern, 
großartig ausgearbeitetem Ornament. Auf ihren 
 
lf blieb - entsteht die Gestalt des Objek- 
z Erfordernisse der dekorativen Gesamt- 
eines lnnenraumes in die Tat umzuset- 
den dem Handwerker ornamentale Vorla- 
zur Verfügung, Kupferstiche oder Fladie- 
iie in großer Zahl mit fast unendlicher Va- 
reite in Einzelblättern, Heften und Fol- 
igar Büchern herausgegeben wurden und 
oße Verbreitung dekorativer neuer Ideen 
die rasche Abfolge von stilistischen Mo- 
JFIQSH erwirkten. Neu erfundene Orna- 
urden auf diese Weise oft kopiert und 
I Werkstatt zu Werkstatt weitergegeben. 
s bedingen gerade jene Vorlagebiätter 
gleichzeitige Nebeneinander verschiede- 
nentarten, weil man in einigen Werkstät- 
i längere Zeit hindurch die gleichen Vor- 
wendete, während andere schon weit 
ire-t Blätter zur Vorlage nahmen. All das 
' im allgemeinen zu einer raschen Abfol- 
tilvariationen innerhalb des Kunsthand- 
l Vorlageblättern gibt es vor allem zwei 
jene, die ganz allgemein neue Dekora- 
en brachten, Einzelornamente, die auf 
nstände anwendbar waren, und solche, 
re perfekte handwerkliche Herstellung sind aber 
gerade diese Objekte die bedeutendsten. 
Wie in jedem Museum, so sind auch die Sammlun- 
gen des Österreichischen Museums für ange- 
wandte Kunst gewissen Zufälligkeiten unterwor- 
fen; nie war eine kunstgeschichtlich erstrebens- 
werte Vollständigkeit zu erreichen gewesen. 
in dem Sammlungstell der profanen Prunkgeräte 
des 17. und 18. Jahrhunderts, der mit den schön- 
sten Stücken hier kurz vorgestelit werden soll, 
spielt eine Privatsammiung eine große Rolle, die 
1952 als Widmung des Wiener Bürgers Ernst 
Böhm (1916 - 1975) in das Museum kam. Böhm be- 
faßte sich vorzüglich mit dem Sammeln deutscher 
Goldschmiedekunst, wodurch auch im heutigen 
musealen Bestand die deutschen Arbeiten im Vor- 
rang stehen. Innerhalb der deutschen Gold- 
schmiedekunst sind die Vororte ohne Zweifel 
Nürnberg mit der großen Tradition der Dürerzeit 
und Augsburg, die Heimat der Fugger. Sicherlich 
haben aber daneben auch andere große Städte 
mit ihrem mächtigen Bürgertum, wie die Hanse- 
städte oder Breslau, bedeutende Beiträge gelie- 
fert. Die immer strenger werdenden Zunftordnun- 
gen dieser Zeit ermöglichen an Hand der Punzie- 
rungen in fast allen Fallen eine weitgehend ge- 
naue Zuordnung. 
erhobenen Armen hält sie ein kleines Schaff, das 
beweglich in ihren Händen angebracht ist. Kippt 
man die Figur, so ergibt das ganze zwei Becher ne- 
beneinander: einen großen und einen kleinen für 
den Hochzeitstrunk. Sosehr also dieses Gerät ver- 
wendbar ist, so sehr ist auch die dekorative Ge- 
samtfcrm in der Ruhestellung zu erkennen: Ge- 
brauchsgerät für einen besonderen Moment und 
Ziergegenstand für die dauernde Erinnerung dar- 
an. Ein glänzendes Beispiel für die wAmbivalenzu 
barocken Kunsthandwerks. 
Kurios ist auch der Augsburger Bartmannskrug 
aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts (Abb. G). 
Scherzgefäße dieses Typus - allerdings aus Ton 
- gibt es bereits unter römischen Soldaten des 1. 
und 2. Jahrhunderts. Seither dürften derartige 
Späße bis in das 17. Jahrhundert nicht mehr in 
Vergessenheit geraten sein. Es sind zum Trinken 
verwendete, sicher zunftgebundene Humpen. in 
ihrer Ausführung fügen sie sich grotesken Plasti- 
ken des späten Manierismus und frühen Barock 
ein. 
Der Hamburger Traubenpokal von Meister Jakob 
Mores aus der Mitte des 17. Jahrhunderts 
(Abb. 10) führt in etwas derber Arbeit eine alte Tra- 
dition fort. Traubenbecher, gut getrieben und zise- 
liert, stehen in Beziehung zu einer recht einfachen 
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