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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

György Sebestyän 
Das Mittelalter 
und die Moderne 
tur machbar? - Diese Frage scheint im er- 
ugenbllck ein wenig zu hinken. Etwas in ihr 
chief. Wenn wir in die Frage hineinhorchen, 
uben wir, eine Tautologie entdeckt zu ha- 
'ir spüren im Wort Kultur noch die ursprüng- 
iedeutung, die auf das lateinische Zeitwort 
zurückgeht, auf rrbebauen, pflegen, ehrenu. 
wohnenu gehört zum selben-Bedeutungsbe- 
(ultur ist in diesem ersten Sinne die Bebau- 
as Wohnbarmachen, die Pflege, das Erwei- 
ier Ehre oder eines ganzen Systems von Eh- 
Sinne von Kultus. Es geht also ganz offen- 
:h um Tun, um Handeln, um Machen, wobei 
s Wort auf eine ganz bestimmte Dialektik 
egen scheint, nämlich auf das Gegensatz- 
iensch und Wildnis. Mit diesen beiden Be- 
ist allerdings - der Natur der Dialektik 
achend - auch eine Wechselwirkung zum 
ick gebracht, eine innige Verbindung und 
ieitige Beeinflussung, denn der Mensch ist 
iur der "Gegnern der Wlldnis, sondern zu- 
auch ihrTeil, und die Wlldnis kann nicht mit 
gleichgesetzt werden, sondern besitzt ihre 
khtonische Ordnung - beziehungsweise, 
für den Menschen nur als Summe von Ord- 
iystemen erkennbar. Durch colere soll aller- 
Stellung bezogen werden; gemeint ist das 
des Menschen, der da die Wildnis wbebaut, 
wohnlich machtu und zugleich einer Konti- 
dient, indem er seine Vorfahren, die sich 
iie gleiche Tätigkeit ausgezeichnet haben, 
Es ist allerdings ratsam, zwischen "bebau- 
.d npflegenu ebenfalls zu unterscheiden. 
las Pflegen hat die Kontinuität zur Vorbe- 
g: etwas muB bereits "bebaut-r worden 
n es dann unter Pflege nehmen zu können. 
rprüngliche Akt - dieses wBebauentr - ist 
'ei vom erhabenen und sanften Gefühisin- 
in "Pfleger: und wEhreii; er ist aggressiv, 
ändernd, schöpferisch und beinhaltet, da 
nsichtlich den Drang zum Überleben zur 
setzung hat, die Möglichkeit des Schei- 
les Todes, also jene tragische Komponen- 
en Pathos wir in jedem Antagonismus zwi- 
Arbeit und Trägheit zu spüren bekommen. 
ler Widerspruch zwischen dem Willensakt 
nschen und jener Energie, die in der Mate- 
orgen liegt und im Augenblick des gewalt- 
Eindringens in die bestehende Ordnung als 
fand zutage tritt. im griechischen Mythos 
e archetypische Wahrnehmung in der Ge- 
e des Prometheus formuliert. 
ist Machen. ist dieses Machen machbar? 
einbare Tautologie löst sich auf, wenn wir 
ndlung des Kulturbegriffes bedenken. Als 
nünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken über- 
hauptr. 
Der Gegensatz zwischen Mensch und Wlldnis im 
Sinne der Urgeschichte ist, wie man sieht, verlo- 
rengegangen. Objekt des Machens ist nlcht mehr 
die Natur, sondern das wvernünftige Wesen", das 
 
im Sinne der optimistischen Auffassung der Auf- 
klärung gewisse Fähigkeiten besitzt, die Kant mit 
dem Wort "Tauglichkeit-r subsumiert. Es handelt 
sich um einen Begriff, der mit "tüchtig-i und "Tu- 
gend" zusammenhängt und dessen Sinn durch 
das etymologische Wörterbuch einfach mit 
"brauchbarer definiert wird. Brauchbarkeit setzt al- 
lerdings jemanden voraus, der aus der Brauchbar- 
keit Gebrauch macht. im Wort "Tauglichkeit-r er- 
scheint die soziale Komponente, der andere 
Mensch, die menschliche Gesellschaft. Sie allein 
ist in der Lage, die rrTauglichkeitu, die da hervorge- 
bracht werden soll, in ihrer praktischen Anwen- 
dung zu überprüfen. Diese Praxisbezogenheit darf 
allerdings nach Kant nicht zu eng gefaBt sein. 
Sein Zusatz "zu beliebigen Zwecken überhaupt- 
betont zwar nochmals das Motiv der Vernunft 
(denn ein Zweck setzt rationale Überlegungen vor- 
aus), bietet aber immerhin Raum für jede Tätig- 
keit, ohne Einschränkung, wenn sie nur irgendei- 
nen Zweck verfolgt. Damit erscheint neben der ra- 
tionalen und der sozialen Komponente der Aufklä- 
rung auch noch deren drittes Ideal: die Freiheit. 
Der Kuiturbegriff des 19. Jahrhunderts gab der 
Kantschen Definition jene Einseitigkeit, die Kultur 
tet, als L'art pour Part geduldet, wobei man die Ar- 
beit des Künstlers, der da daranging, sich mit dem 
Chaos in sich und in der Form auseinanderzuset- 
zen, ohne den Zweck einer solchen Betätigung im 
voraus bestimmen zu können, dann nach und 
nach nur aus dem einen Grund anzuerkennen be- 
reit war, daB L'art pour Iart die gleiche esoterische 
Aura, die gleiche hehre Würde und holde Erhaben- 
heit aufweisen konnte, die sich die übrigen rient- 
wickeltenu und "veredelten-i Kulturäußerungen 
ebenfalls beizulegen wünschten. Die Kantschen 
Begriffe nHervorbringungu, "Tauglichkeit" und 
r-vernünftiges Wesenu wurden im Sinne eines 
monströsen, nur in Quantitäten denkenden, allein 
auf Gußeisen, Dampfmaschine, Nationalstaat und 
Ökonomie ausgerichteten Materlalismus gedeu- 
tet, der sich in seiner Traumiosigkeit freilich ad 
absurdum führte. Die r-Hervorbringungu mußte im 
Sinne der herrschenden Vorstellungen nützlich, 
die "Taugiichkeitu im Gebrauch erwiesen, das 
nvernünttige Wesen:- nach dem Maß des primiti- 
ven Positivismus vernünftig sein - wobei die 
Gegner dieses Wertsystems meistens nicht in der 
Lage waren, die eigentliche Substanz dieses ein- 
seitigen, die menschliche Phantasie einschrän- 
kenden Weltbildes als Verbiendung zu entlarven, 
vielmehr bestrebt waren, den vorherrschenden 
Materlalismus sozusagen für sich selbst in An- 
spruch zu nehmen - genauso wie das heute ent- 
stehende neue Bürgertum bestrebt ist, sich die 
Untugenden des früheren Bürgertums zu enteig- 
nen und die Laster der Aristokratie zu kollektlvie- 
ren. Anarchisten, Narodniki, Nietzscheaner leiste- 
ten, isoliert und verzweifelt, Widerstand; religiöse 
Gruppen richteten sich auf ein Leben nach innen 
ein; eine eigenständige Synthese mit der Aufklä- 
rung fand Rudolf Steiners Theorie. 
Nicht diese Denker und Denkrichtungen, sondern 
die Leistungen des materialistischen Weltbildes 
selbst führten zu dessen Hypertrophie und zum 
notwendigen Sprung ins Konträre. 
Der Vorgang ist am Beispiel des realistischen Flo- 
mans wie in einem kulturhistorischen Laborato- 
rium zu beobachten. Zur Demonstration ist der Ro- 
man deshalb besonders geeignet, weil er gezwun- 
gen ist, den Menschen in seinem Verhältnis zur 
Zeit darzustellen. Zeit und Raum aber sind "be- 
stimmende Parameter der Existenz der Welt und 
grundlegende Formen der menschlichen Erfah- 
rung.  Der Mensch wird nicht mit einem ,Zeitge- 
fühl' geboren, und seine Zeit- und Raumbegriffe 
werden immer von jener Kultur bestimmt, welcher 
er angehört.  Die lrreversibilität der Zeit stellt 
sich unserem Bewußtsein als natürlich und 
selbstverständlich dar, als etwas, ohne das man 
sich die Zeit dar nicht denken kann; aber sie be-
	        
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