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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

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Periode 1 und jener Zeit, die man Mittelalter nennt, 
sind deutlich. Es wäre zielführender, ln diesem Zu- 
sammenhang nicht von einem mittelalterlichen, 
sondern von einem präurbanen Weltbild zu spre- 
chen. (Siehe auch mein Buch "Anatomie eines Sie- 
gesu, 1967.) Es ist nicht verwunderlich, wenn sich 
zwischen dem präurbanen und dem posturbanen 
Weltbild - im Gegensatz zum Lebensgefühl des 
Urbanen - gewisse Analogien ergeben. 
Der Mensch der präurbanen Kultur sieht sich 
ebenfalls als Teil eines hierarchisch gegliederten 
Kollektivs, das sich in einer Übergangsperiode zur 
Erlösung befindet und unbedeutend ist ange- 
sichts des Makrckosmos Gottes. Seine Kommuni- 
kationsmittel sind gemeinsam apperzipierte Lie- 
der und Märchen, Symbole und allegorische Ara- 
besken und dazu die Bildwelt der Biblia pauperum 
......„ "w..- . -. .. 
Sinne seiner Giaubigkeit, seiner Triebhaftigkelt, 
seiner seelischen Konstellation in dem Maße ent- 
behrlich, in dem sie ihre konkrete Funktion auf der 
Ebene der Ratio erfüllte. 
Für den mittelalterlichen Menschen und ebenso 
möglicherweise für den Menschen der Periode 2 
ist die Kunst eine Inhaltlich nicht vorfixierte, un- 
mittelbar dem emotionellen Bereich entspringen- 
de Äußerung, ein Phänomen, das im Sinne des 
spontanen Ausbruchs der Gefühle psychischen 
Nutzen bringt, um es mit einem anderen Vokabu- 
lar zu sagen: eine magische Funktion hat. Je weni- 
ger Mimesis, um so mehr Spiritualismus, je weni- 
ger realistische Nachahmung, um so mehr kollek- 
tiv empfindbare Symbolik. "Realismus macht sym- 
bolische Gestaltungen von allgemeinem Inhalt 
schwierigu, meint zutreffend Rudolf Arnheim ("Art 
einige Objekte als Hervorbringung der Ti 
angeführt werden, etwa die wOzeanideu (1 
Henri Laurens neben einem weiblichen 
der Zelt 4200 - 3600 v. Chn, das nPOIHÄI N 
selle Poganyu (1913) von Constantin Brar 
ben der sogenannten Venus von Wistern 
2300 v. Chr.) und die Mädchenfigur (1953) v 
naid Butler neben den Gestalten des sti 
Holzbootes von Roos Carr. Exempiarisc 
bekannte Plastik nLa serpentinw (1909) 
tisse neben der Figur einer Tänzerin z 
1. Jahrhundert v.Chr. (gefunden in N 
Sullias): aus dem Dreiecksverhältnis 
menschlicher Körper - Metall entwickelt 
rade durch die Vermeidung der Mimesis u 
den Verzicht auf eine Botschaft eine 
ganz eigener Art: der Gegenstand wird zi 
 
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der Kirchenfresken, die von allen Mitgliedern des 
Kollektivs gleichzeitig betrachtet werden (wie heu- 
te die Bilder des TV). Die Allgemeinheit der präur- 
banen Kultur hat kein bewußtes Verhältnis zur An- 
tike, sondern benützt sie, ohne sie programma- 
tisch als Biidungsideal hervorzuheben; sie erfüllt 
die griechisch-römischen Formen vielmehr mit 
dem vorchristlichen Weltbild der vorantiken Zeit. 
Typus der präurbanen Kultur ist nicht der Bürger, 
sondern der Mensch der sakralen Hierarchie: Kai- 
ser und Papst, Fürst und Ritter, Monch und Bauer 
- Menschen im Verband der agrarischen Ökono- 
mie. Askese und Ekstase, Visionsfähigkeit und 
grundlegendes Mißtrauen gegenüber dem Positi- 
vismus, extrem, triebhaft noch in der Heilserwar- 
tung, ängstlich, dem Moralisieren zugänglich, ei- 
gensinnig in der Form, in der Kunst nicht auf reali- 
stische Treue ausgerichtet, sondern bestrebt, die 
vspirituelie Harmonieu fühlbar zu machen: sehen 
wir darin nicht Elemente, die charakteristisch sind 
für die Haltung des präurbanen Menschen? Und 
ist sein ideal nicht etwa der schlanke Jüngling, 
von Phantasmagorien besessen - der Heilige? 
An diesem Punkt macht sich ein Paradoxon be- 
merkbar, und zwar was die Beziehung des Men- 
schen zur Kunst betrifft. Man könnte verkürzt sa- 
gen: Der Mensch jener Zeit, die wir Periode 1 nann- 
ten, versuchte die Kunst zur Befriedlgung eines im 
ersten Sinn des Wortes sinnvollen Bedürfnisses 
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and visual perceptionu). Die Fabeltiere und Heili- 
gensymbole, die Pflanzenornamentik und über- 
haupt alle Darstellungen der romanischen Dome 
besaßen eine für den Gläubigen leicht entzifferba- 
re und ihm als religiöses Hilfsmittel dienende Be- 
deutung. Der unmittelbare Kontakt mlt diesen For- 
men durch ihre meditative Dechiffrierung war für 
den gläubigen Menschen ein Akt der Selbsthei- 
lung, zugleich aber auch eln Mittel, sich im Kollek- 
tiv zurechtzufinden. 
Mit dem Wegfalien der Mimesis kann sich das 
Kunstwerk aus der dialektischen Spannung zwi- 
schen dem ich und der Materie zum Ausdruck ar- 
chetypischer Inhalte entwickeln. Der Demokratis- 
mus dieser Kunst besteht nicht in ihrer aufkläre- 
rischen Wirkung, sondern in ihrer allgemeinen 
Nachvollziehbarkeit: die Chiffren lener archetypi- 
schen Zeichensprache, die die verschiedenen psy- 
chischen Bewegungen mit der Notwendigkeit des 
Ausdrucks verbindet, bleiben in ihrer elementaren 
Natürlichkeit als selbständige Emotionsträger je- 
dem entzifferbar. 
Durch den Versuch, das ich mit der Materie zu 
konfrontieren, kann eine Verschüttete, vom zivili- 
satorischen Beiwerk befreite Formwelt aus ihrer 
latenten Traumsxlstenz hervorgeholt und reali- 
siert werden. Dieser von früheren Kulturen als sa- 
kral empfundene Akt führt folgerichtig zu Analo- 
gien, die Jahrtausende überbrücken, da sie - au- 
Bild, der sich selber deutet, indem er in s 
len Undeutbarkeit die entsprechenden 
tionsketten in Bewegung setzt: jene när 
In der Psyche des jeweiligen Betrachter 
nem eigenen individuellen Spannungsfe 
menschlicher Körper - Metall entstehei 
Ähnliche Analogien, allerdings den Mögl 
des biidnerischen Mediums entsprechen 
sich auch in der Malerei bzw. der Tapissei 
wir zögern, Graham Sutherlands Cove 
pich (1958-62) neben einer Abbildung 
Evangeliar Ottos lli. (Fleichenau, Ei 
10. Jahrhunderts) in das hier angedeute 
näre Museum aufzunehmen, so nur desl 
die Möglichkeit besteht, daß Sutherland 
Mandorla thronende schwebende? Ges 
bewußte Replik mittelalterlicher Beisp 
stellt und als Hervorbringung des spontz 
der Zeit hervorgegangenen künstlerische 
nicht in Frage kommt. Dieser - möglicr 
wand fallt aber weg bei der Gegenüberst 
nes Details aus dem Gemälde "Uentree 
a Bruxeliesrt (1888) von James Ensor u 
Weihwasserbeckens aus der Kathedrale 
ges (1 1.112. Jahrhundert). Wie so oft bei 
scheint die Maske nicht als Attribut ei 
klerten, sondern als eigenständiges Geb 
sen allegorische Bedeutung vom Betra 
Hilfe dessen archetypischen Chiffresys
	        
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